Volker Hofmann

@ Karl Marx

Guten Tag Herr Marx,

Sie haben ja schon einiges bewegt, das muß der Neid Ihnen lassen. Man kommt nicht umhin, sich mit Ihren Theorien auseinanderzusetzen, denn von denen geht eine unverkennbare Faszination aus. Gut gut, diese Aussage ist so nicht ganz richtig, ein wenig Interesse für Philosophie und Politik sollte man schon haben.
Ich muß gestehen, daß mir Ihre Schriften zu anstrengend sind. Interessante Gedanken, aber leider in einer Form, die es sehr schwer machen, über Ihre Bücher Zugang zu diesen Gedanken zu finden. Lag das in Ihrer Absicht?
Es ist eine angenehme Vorstellung, allen Menschen auf freiheitlich-brüderlicher Basis die gleichen Voraussetzungen zum Leben zu schaffen. Wieso aber den Materialismus als Stoff für diese Basis? Das ist der Fehler in Ihrer Theorie: Da basteln Sie - entschuldigen Sie bitte meine flappsige Ausdrucksweise - eine Philosophie zusammen, ein Programm, das dem Menschen dienen soll, das für den Menschen gemacht ist. Und den Menschen und seine Eigenschaften ignorierend organisieren Sie das ganze nach einer Formel, die eben diesen Menschen als Konstante enthält, und nicht als Variable.
Ach, jetzt habe ich einen Fehler gemacht. Sicher, der Mensch ist durchaus als Konstante zu gebrauchen, allerdings nicht mit den Eigenschaften, die erforderlich wären damit Ihre Formel aufgeht. Hatten Sie wirklich ein Menschenbild, das Ihnen die Verwirklichung dieser Ideen möglich erscheinen ließ?
Campanella stellte seinen "Civitas solis" (Sonnenstaat) noch unter die Herrschaft einer religiösen, genauer: katholischen Monarchie. Diese Utopie erscheint mir trotz der auch dort dargestellten Verneinung von Privateigentum doch ein wenig näher an der wirklichen menschlichen Natur.
Und so kam es dann, daß sich die Apologeten Ihrer Lehre nach der erfolgreichen Durchsetzung gegen den Kapitalismus vor die Aufgabe gestellt sahen, die für das Funktionieren und Sichern dieses Systems erforderlichen Menschen heranzubilden und zu erziehen. Die Folgen haben wir erlebt.
Herr Marx, hatten Sie jemals versucht, einen Streit in einer bierseligen Stammtischrunde vermittels Hegelscher These und Antithese zu schlichten? Und die Menschen sind irgendwie eine sehr große bierselige Stammtischrunde! Also braucht es Macht, um den Streit zu schlichten; ja, schon um ihn zu verhindern. Am Stammtisch in der Kneipe mag diese Macht noch in Ihrem Wort oder - wahrscheinlicher - in Ihrer Stimme liegen. Wenn sich der Stammtisch aber in der Größenordnung einer staatlischen Gesellschaft bewegt, dann sind andere Machtmittel vonnöten, dann muß die Stimme schon sehr laut sein.
Macht steht immer in Wechselwirkung mit der Person, die diese Macht einsetzt und verwaltet. Macht übt auf diese Person eine Wirkung aus, und weil diese Person ein Mensch ist, zeitigt diese Wirkung ein Ergebnis, daß dann wieder zu den von Ihren Schriften angeprangerten Strukturen führt.
Ja, das einzige als Konstante brauchbare Attribut des Menschen ist sein Egoismus. Dieser Egoismus strebt nach Besitz, er strebt danach, mehr zu haben als der Nebenmann, dieser Egoismus strebt nach Macht. Das kann man bedauern, aber man kann es nicht leugnen.
Auch mit der Gleichheit aller Menschen ist es nicht so gut bestellt. Die Unterschiede in den physischen, intellektuellen und charakterlichen Eigenschaften sind sehr groß. Da ist mit Gleichheit nicht viel zu machen.
Trotzdem, Herr Marx, Ihre Ideen haben etwas. Als Vorschrift meiner Ansicht nach untauglich, sind sie doch als Bestandteil einer Direktive nicht schlecht.
Na, was man sich eben so zurechtdenkt als Laie.

Mit freundlichen Grüßen

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.02.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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