Volker Hofmann

@ Fingal O'Flahertie Wills

Hallo Oscar,
in Deinem wohl berühmtesten Werk schriebst Du den Satz, der nicht nur dem Protagonisten Dorian Gray, sondern nun auch mir nicht mehr aus dem Kopf geht:
"Die Seele mit Hilfe der Sinne und die Sinne mit Hilfe der Seele heilen."
Wer käme heute überhaupt noch auf die Idee, die Seele als Faktor einer Heilung, einer medizinischer Arbeit zu betrachten? In einer Welt, in der die Seele als Relikt einer überholten Religion gesehen wird?
War die Medizin ursprünglich die Wissenschaft von der Wiederherstellung der Gesundheit, so ist sie heute aufgebläht zur Wissenschaft vom Bau, der Funktion und den Erkrankungen des Körpers. Ein riesiges Gebilde, konstruiert aus den Erkenntnissen der Naturwissenschaften Biologie, Chemie und Physik. Leider läßt sich die Seele mit keiner dieser Naturwissenschaften erfassen, also wurde sie kurzerhand aus der Medizin gestrichen.
Ich bestreite nicht, daß profunde Kenntnisse der Zusammenhänge und Vorgänge im menschlichen Körper nötig sind, um die Wiederherstellung der Gesundheit zum Wohle des Menschen immer weiter zu perfektionieren. Allerdings finde ich es mehr als bedenklich, wie die Seele dabei aus dem Blickfeld der Wissenschaft gerät.
Man nennt es Aufklärung oder Fortschritt, aber trotz aller erbrachten Leistungen und erworbenen Kenntnisse ist es doch mehr eine Abstumpfung, eine Illusion.
Wie war das bei Deinem Vater, Oscar? Der war doch auch Arzt.
Die Seele, das, was das Leben ausmacht, wird durch den wissenschaftlichen Shredder gejagt und dann mit Schrottpresse der modernen Psychiatrie zu handlichen kleinen Paketen gepresst, die ordentlich quadratisch und vernünftig stapelbar sind. Diese Pakete stehen im gleichen Verhältnis zur Seele, wie die Schrottwürfel in der sogenannten Realität zu dem Auto, das sie vorher waren.
Gefühle werden seziert und analysiert, ihre vermeintlichen Ursachen ergründet - und dann wird beherzt an den Symptomen rumgedoktert.
Liebe wird, wenn sie nicht in den von der Gesellschaft allgemein akzeptierten Bahnen verläuft, zur Krankheit degradiert und ein Psychiater zu ihrer "Heilung" empfohlen. Kaum jemand kommt noch auf den Gedanken, daß Liebe zum einen unheilbar, und zum anderen eher Heilmittel als Krankheit ist.
Tja Oscar, wenn ich mich umschaue muß ich konstatieren, daß es auch ohne Seele zu funktionieren scheint. Der Wohlstand wächst, wir sind gegen alles und jeden versichert; auch die angestellte Sekretärin ist in der Lage, sich durch "medizinische" Eingriffe das Glück der Jugend zu kaufen. Nein, so ist es natürlich nicht, die "seelischen Schäden", die ihr durch ihre zu große Nase und ihre zu kleine Brust entstanden sind, können heute Gott sei Dank (DIESER Ausdruck wird alle atheistischen und agnostizistischen Bewegungen überstehen!) "geheilt" werden. Und die Medien beteiligen sich an den Kosten der "medizinischen" Eingriffe, weil eine Serie produziert wird, die der breiten - oder sollte ich sagen: tumben? - Masse zeigt, wozu die Medizin heute fähig ist. Kein Problem.
Lebenserhaltende Systeme ermöglichen es, die physischen Körperfunktionen unabhängig vom Leben am laufen zu halten, und manch ein Mensch konnte dadurch einen weiteren Geburtstag feiern. Naja, nicht direkt feiern, aber ein Jahr älter geworden war er, kalendarisch betrachtet.
Gestern das Schaf, heute die Katze - was kopieren unsere Genforscher morgen? Denn in der Gentechnik liegt die Zukunft der Medizin! Das dürfen wir nicht vergessen!
Halt, eine kleine Rolle spielt die Seele gelegentlich doch. Zum Beispiel in der Werbung für einen Brotaufstrich.
Oscar, Du warst ein oberflächlicher, arroganter Spötter. Warst Du das? Du wußtest aber noch, was die Seele ist, sonst hättest Du diesen Satz nicht schreiben können. Damit erhebst Du Dich turmhoch über die meisten Menschen unserer Tage. Die Dich, das möchte ich zum Schluß bemerken, heute genau so behandeln würden wie damals. Aus den gleichen Gründen.

Gruß

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.02.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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