Rita Latz-Orlowski

Chaos-Tage!



Das wird eine verwickelte Geschichte. Ich versuche mal, das auf die Reihe zu bekommen.
Eines Tages rief mich Sven an, dass ihm eine Kur genehmigt wurde. Sven hat ein Problem: eine falsche Bewegung, und der Arm kugelt aus. Operieren will man das nicht, also soll die Muskulatur des Bewegungsapparates gekräftig werden.
„Wo geht es denn hin?“ fragte ich. – „In den Thüringer Wald!“ – „Na grossartig, da werden ja alle Wünsche erfüllt: Du wolltest raus aus Berlin und in den Wald – jetzt ist es der Thüringer Wald.“ So begeistert war er auf einmal gar nicht. Also fragte ich schnell: „Wann soll es denn losgehen?“ – „Am 28. November. Übrigens, kannst Du mir mal die Bahnverbindungen raussuchen?“ Natürlich mache ich es gern.
Am 27. November Anruf von Sven: „Die Fahrt verschiebt sich doch um eine Woche. Kannst Du mal…?“ Ich kann.
Weil er Weihnachten nicht in Berlin ist, lade ich ihn zum 1. Advent zu einem Festessen ein: Hirschgulasch in Sahnesosse mit frischen Champignons und Bratapfel mit Preiselbeeren zum Nachtisch. Essen gelungen! *strahl*
Auf dem Tisch stand ein hübsches kleines Töpfchen mit einer Kerze, Tannengrün und etwas Schmuck. Dafür habe ich stolze 7,50 Euro hingelegt und mich dann geärgert: Töpfchen habe ich genug, Steckmasse ist auch vorhanden, Kerzen habe ich ein ganzes Schubfach voll und Schmuck kartonweise! Also habe ich Tochter Löckchen angemailt, ob sie noch ein paar Zweige aus ihrem Garten übrig hat, dann bekäme ich den restlichen Weihnachtsschmuck zum Null-Tarif. Löckchens Antwort: „Klar, soviel Du haben willst! Wann brauchst Du sie?“
In der Zwischenzeit hatte ich aber einen Anruf bekommen von der Tischlerei. Erinnert Ihr Euch noch an meine Fensterprobleme? Im Mai begann der Krampf. Jetzt waren die Fenster zur Strassenseite fertig zum Einbau. Termin: 1.12. – gestern also.
Also habe ich erst einmal Löckchen die Nachricht gemailt: Ich kann die Zweige ja mitnehmen, wenn ich zu Sandras Geburtstag komme… Die Weihnachtsvorfreude war erst einmal hin!
Anruf von Sven am Wochenende: Er muss die Fahrkarte kaufen, braucht noch Schuhe und ein paar Kleinigkeiten. Ob ich mitkomme. „Wann denn?“ – „Passt es Dir am Montag?“
Montag war mir lieber als jeder andere Tag – na gut.
Sven kommt am Montag nicht um 2 Uhr nachmittags, sondern erst um 4 Uhr – und hat offensichtlich keine Lust. Ich auch nicht. Aber was sein muss, muss sein. Mit einiger Kraftanstrengung – natürlich nur mental! – schaffe ich es, Sven von meiner Couch hochzukriegen. Wir fahren nach Spandau. Erst einmal die Fahrkarte. Eine Schlange vor den Schaltern, als ob es etwas umsonst gäbe! Vier Schalter besetzt, aber zwei davon mit dem Schild „geschlossen“! Und dann noch die Leute, die nicht wussten, ob und wohin sie fahren wollten! Es dauerte ewig, bis es weiter ging! Bei uns ging es dann nicht nur sehr schnell, sondern die Frau am Schalter fragte sogar, ob Sven einen Platz zum „Aktionspreis“ haben wollte, also statt 51 Euro nur 34. – Sven sah mich verwirrt an. „Nimm ihn“, sagte ich. Sven: „Aber wieso…???“ – „Nimm ihn! Erklär ich Dir draussen!“ – Er sagte brav „Ja“, die Frau am Schalter lächelte erst ihm und zwinkerte dann mir zu. Sven bekam seinen Fahrschein. – Öhmm – Euch muss ich wohl nichts über den Aktionspreis der Bahn erzählen? Ich überspringe das mal.
Nächstes Problem: Schuhe kaufen. Habt Ihr schon mal mit einem Mann Schuhe gekauft? Ein Glück, dass ich durch meine drei Kinder Übung hatte! Im Vorfeld hatte ich mich schon erkundigt: Preiswert sollten sie sein – klar. Für einen Winterspaziergang im Wald geeignet – auch klar. Knöchelhoch – ok.
Mehr durch Zufall kamen wir in den Arcaden an einem kleinen Schuhgeschäft vorbei, dass einen Aufsteller rausgestellt hatte: Herrenschuhe, knöchelhoch, mit starker Sohle, in schwarz oder braun, die braunen zweifarbig, aber auch nur mittelbraun und etwas dunkleres Braun – also vertretbar. Während Sven noch unentschlossen auf die Schuhe guckte, kam eine junge Verkäuferin. Sven: „Haben Sie die auch in Grösse 47?“ – „Nein, diese Grösse führen wir nicht.“ – Ich mischte mich ein: „Zeigen Sie uns doch mal ihre grössten.“ Sie suchte herum und reichte Sven einen braunen, Grösse 46. Sven im Rückwärtsgang: „Aber…“ – Ich: „Probier ihn doch erst einmal an“, und schiebe ihn zu einem Höckerchen. Habt Ihr schon mal Kinder gesehen, die etwas machen müssen, was sie gar nicht wollen? So sah Sven aus. Er stellte den Schuh neben den angezogenen Fuss: „Guck mal, die passen nie!“ – „Red nicht so viel, probier den Schuh an!“ Unwillig und in Zeitlupe gehorchte er. Männer muss man wirklich zu ihrem Glück zwingen! Bloss nicht nachgeben! Dann ein Lächeln: „Du hast wirklich einen guten Blick!“ – „Passen sie?“ – „Ja! Guck mal, hier ist mein Zeh!“ Er drückt auf die feste Kappe, die sich nicht eindrücken lässt. Ich lächle, als ob ich irgend etwas gesehen hätte. „Na gut“, sage ich, „dann hole ich mal den zweiten.“ Die Verkäuferin guckt mich erstaunt an. „Ich denke, er hat Schuhgrösse 47?“ – „Rückzugsgefecht“, antwortete ich, „er weiss doch gar nicht, welche Schuhgrösse er wirklich hat!“ Der Verkäuferin scheint dieses Benehmen nicht unbekannt zu sein, denn sie lächelt verständnisinnig und holt den zweiten Schuh aus dem Lager.
Leider dauert es ein paar Minuten, denn inzwischen hat Sven einen anderen Schuh in Grösse 46 gefunden. „Guck mal. Wie gefällt er Dir?“ Warum fragt er mich? Ich würde solche Schuhe niemals anziehen! Schon bei dem Gedanken an knöchelhohe Schuhe bekomme ich Blasen! Er: „Guck mal, die hier sind am Rand genäht und nicht nur geklebt. Die geklebten halten nicht lange.“ Ich halte den Mund, habe ich doch vor kurzem erst einen Bericht darüber gelesen, dass diese Randnähte häufig nur Scheinnähte sind. Ich lasse mir also die Vor- und Nachteile der beiden Modelle ausführlich und geduldig schildern und sage schliesslich: „Na gut, dann hole ich mal von diesem Paar den zweiten Schuh.“ Die Verkäuferin lächelt ebenso geduldig und macht sich auf den Weg. Anprobieren. Alles klar. Während Sven seine alten Schuhe wieder anzieht, gehe ich schon mal zur Kasse und hoffe, dass sich Sven nicht noch einmal auf die Suche begibt. Nein, er kommt gleich nach und bezahlt seine Schuhe.
Als wir wieder auf der Strasse stehen, kommt der Zettel mit dem Krimskram ran. „Das bekommen wir am besten bei MäcGeiz“, sage ich. „Wo ist denn das?“ – „Hinter dem Rathaus.“
Wir gehen gerade über die Strasse, als Sven sagt: „Ich muss mal.“ – Toll, das ist eigentlich mein Job! Statt das in den Arcaden zu erledigen! Männer! Und dabei sind neuerdings die Polizisten auf der Lauer nach „Fremdpinklern“ – Berlin braucht Geld. Aber Sven hat Glück. An einer dunklen Ecke kommen wir an einem riesigen Container für Schutt vorbei, hinter dem er mal verschwinden kann.
„Wo ist denn nun der Laden?“ Sven erleichtert, aber ungeduldig. Ist das sein Krempel oder meiner? Ich deute auf die Ampel vor uns. Die paar Meter bis dort hin ziehe ich ihn in ein Gespräch über den Sinn von Parkhäusern. Fein, Sven redet, und ich nicke zwischendurch.
Wir sind aber auch schon da. Wir gehen durch die Reihen und suchen alles zusammen. Auf einmal stellt Sven die Tüte mit den Schuhen ab und sagt: „Pass mal auf, ich gehe mal nach hinten.“ Ich warte. Schliesslich nehme ich auch noch die recht schwere Tüte mit den Schuhen. In der anderen Hand habe ich den Einkaufskorb mit den Einkäufen. Ich schwöre mir, dass ich das nächste Mal wieder meinen Fridolin mitnehme, denn um durch die Reihen zu kommen, muss ich schräg gehen, und dass nimmt mir mein Ischias übel. Schliesslich klopft es an die Schaufensterscheibe: Sven steht schon draussen!
Als ich auch rauskomme, kann ich kaum noch vor Rückenschmerzen laufen. Sven hat sich im Laden auch noch schnell ein Paar Turnschuhe gekauft! Mich hat er abgeblich nicht wiedergefunden. Ich bin ja auch so klein!
Aber jetzt bin ich maulig. Ich habe Hunger, Durst, vor allem aber Schmerzen! Sven ist bereit, meinen Einkauf mitzutragen: Zwei Tütchen Katzenfutter und eine CD mit Kindergeburtstagsliedern. Unterwegs noch ein Imbiss? Nein, ich will nur noch nach Hause!
Sven bringt mich zur Haltestelle. Da kommt auch schon der Bus. Ich greife die Tüte mit dem Krimskrams und steige ein. Sven will mit einem anderen Bus fahren. Soll er. Er will sich am nächsten Tag den Krempel abholen. Auch gut.
Wenn Ihr jetzt denkt, die Geschichte ist zu ende, habt Ihr Euch getäuscht. Aber Geduld, das meisten habt Ihr geschafft.
Mir tat auch noch am nächsten Tag der Rücken weh. Dazu hatten die Tischler im Haus zu arbeiten angefangen. Es hämmerte und bohrte über mir den ganzen Tag, so dass ich nicht nur Rückschmerzen hatte, sondern auch noch Kopfschmerzen bekam.
Am Mittwoch kamen dann die Tischler zu mir. Den ganzen Tag lang hämmerte und bohrte es nicht nur bei mir, sondern es war auch noch saukalt! Es wurden nicht nur die Fensterflügel ausgewechselt, sondern auch alle Scharniere. Die Löcher von den alten Scharnieren wurden mit einer nach Lösungsmitteln stinkenden Paste zugespachtelt und später glatt geschliffen. Jetzt wunderte mich der Lärm nicht mehr. Der einzige warme, wohlduftende Platz war das Badezimmer! Am liebsten hätte ich meine Gartenliege aus dem Keller geholt und es mir dort bequem gemacht, aber der Platz reicht nicht. Damit ja nicht wenigstens in meinem Schlafzimmer ein bisschen Wärme bleibt, spielte sich das Ganze so ab: Eine halbe Stunden Arbeit, eine halbe Stunden war der Tischler verschwunden und liess die Wohnungstür weit offen stehen. Und die Haustür stand natürlich auch offen.
Aber ich habe mich gerächt! Ich habe den Tischler gefragt, ob er auch die Jalousie in Ordnung bringt, die ja durch die Arbeiten kaputt gegangen ist. Nein, sagte er, dazu hätte er keinen Auftrag und auch keine Zeit. Na gut, kaputt hatte das Zugband der Maler gemacht. Aber eigentlich ist es doch Tischlerarbeit, dachte ich mir. Also rief ich bei der Firma an: Jalousie kaputt, Fensterscheibe wurde schon eingeworfen. Fensterscheibe war nun kein Thema mehr, aber wie lange würde das dauern, bis wieder eine eingeworfen wird, ich wohne schliesslich paterre. „Moment mal“, sagte die freundliche Frau am anderen Ende. Nach kurzer Zeit der Rückruf: Der Tischler soll das mitmachen und die Stunden aufschreiben. „Na, das sagen Sie ihm besser selbst!“ Ich gab mein Telefon dem Tischler: „Anruf für Sie!“ Er sah mich verwirrt an, diskutierte eine Weile, gab mir mein Telefon wieder, rannte aus der Wohnung. Ich hörte ihn im Hausflur an dem Firmenhandy diskutieren.
Immerhin: Nachmittags tauchten noch zwei Tischler auf! Sie standen herum, überlegten, wie man das wohl macht. Und schliesslich wurde die gesamte Zugbandanlage ausgetauscht. Vorläufig werde ich mit diesem Zugband keine Probleme mehr haben!
So gegen 18 Uhr war die Aktion abschlossen. Alle Tischler verliessen meine Wohnung. Ich habe wieder Fenster und sogar eine reparierte Jalousie!
Aber…. Sven hatte seinen Krempel immer noch nicht abgeholt! Dafür erhielt ich gegen 19 Uhr einen Anruf, ob ich etwas gegen eine schlaflose Nacht hätte!!!???? Das Problem: Der Zug fährt so früh ab, dass der Bus in seiner Gegend noch Nachtpause hat. Ob er nicht bei mir bleiben könnte, denn mein Bus fährt dann schon, und ausserdem braucht er ja noch seinen Krempel. Also, die Sache mit der Hilfsbereitschaft muss ich noch mal überdenken. Ich hatte von dem Lärm Kopfschmerzen und den ganzen Tag gefroren – ich wollte eigentlich nur noch etwas essen und ins Bett! Aber ich liess mich überreden – wie sonst auch. So um Mitternacht kam Sven an: mit einem Koffer, drei Taschen und zwei Beuteln!
„Sag mal! So viel habe ich ja nicht einmal mitgeschleppt, wenn ich mit drei Kindern verreist bin!“ Wir haben also erst einmal das Überzählige aussortiert (z.B. einen Seidenblouson für den Sommer!) und den Rest ordentlich eingepackt. Die Sachen können ja bei mir bleiben, bis er wieder kommt. Aber eigentlich brauchte ich jetzt noch einen Schrank! Immerhin: Als Sven sich dann kurz vor 5 Uhr verabschiedete, hatte er nur noch den Koffer und zwei Taschen, einschliesslich Reiseproviant und Krimskrams!
Kaum war er zur Tür hinaus, habe ich mir Peterle gegriffen, und wir sind schafen gegangen! Und wir haben gut geschlafen bis… gegen 14 Uhr die Klopferei wieder anfing, in einer Wohnung von einem berufstätigen Mitbürger.
Jetzt muss nur noch der Maler kommen… ob ich den noch vor Weihnachten reinlasse, weiss ich noch nicht.

Danke für Eure Geduld!
Rixi

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.12.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Ein diabolischer Plan von Doris E. M. Bulenda



„Krachen, Scheppern und dann gewaltiger Lärm, als ein schwerer Gegenstand an die Wand geworfen wurde. Oh verdammt, die Verrückte spielte drüben in der Küche schon wieder ihr absolutes Lieblingsspiel – Geister vertreiben. Gleich würde sie hierher ins Wohnzimmer stürzen, wo ich versuchte, in Ruhe meine Hausaufgaben zu machen. Und dann würde sie mir wieder lang und breit erklären, welches Gespenst gerade versucht hatte, durch die Wand zu gehen und sie anzugreifen. Ich hasste sie! Ich hasste dieses Weib aus ganzem Herzen!“ Die 13-jährige Eva lebt in einer nach außen hin heilen, kleinbürgerlichen Familie. Hinter der geschlossenen Tür herrscht Tag für Tag eine Hölle aus psychischer und physischer Gewalt durch die psychopathische Mutter und den egomanischen Vater. Verzweifelt versucht sie, sich daraus zu befreien. Vergebens - bis ihr ein altes Buch in die Hände fällt. Als letzten Ausweg beschwört sie daraus einen Teufel. Er bietet ihr seine Hilfe an. Aber sein Preis ist hoch...

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