Eveline Dächer

Weihnachten - alle Jahre wieder

Wir haben den 23. Dezember.
Eva wurde von der Station entlassen. Sie war geheilt.
Sie hatte Scharlach wie im Lehrbuch des Jahres 1953.
Lag drei Monate auf der InfektiWonsabteilung des Herz-Jesu-Krankenhauses.
War wochenlang blind, schwerhörig, hatte Gelenkrheuma, lag im Koma.
Das Krankenhaus war die letzten 12 Monate ihr zu Hause, die Nonnen ihre Arbeitgeber,
ihre Familie , Mutter, Schwestern Freundin, Feindin.
Sie hat dort ein so genanntes. „Caritasjahr“ absolviert.
Die Arbeit ging von früh um 6h bis abends 8h Dienst für eine Vergütung von DM 10,- p.Monat.
Nun ist sie gesund und möchte nach Hause.
Doch ihr zu Hause ist ca. 400 km entfernt.
Sie sprach mit dem Arzt darüber, der wollte ihr verbieten, sich in den Zug zu setzen.
Sie unterschrieb, dass sie es auf eigene Gefahr machte, packte kurz ein paar Sachen in den Koffer und stellte sich für früh um 5h den Wecker.
Sie schlief unruhig diese Nacht, war froh, dass sie endlich aufstehen konnte.
Sie machte sich leise fertig, nahm ihren kleinen Koffer und ging in den Frühstücksraum.
Dort saß schon Sr. Maria Magdalena, die Personalschwester um sich zu verabschieden,
sie wollte Eva noch mal ins Gewissen reden, nach so einer Krankheit, setzt man sich nicht einfach in den Zug und fährt ab.
Ob sie denn hier wieder arbeiten solle, fragte Eva vorwurfsvoll, das wäre anstrengender als die Zugfahrt.
Sie ging zum Bahnhof, löste eine Fahrkarte und wartete auf den Zug nach Koblenz.
Sie setzte sich auf eine der Holzbänke, es war genug Auswahl, kaum ein Fahrgast war in dem Abteil. In Koblenz fragte sie sich nach Verbindungen nach Hannover – Braunschweig durch. Sie hatte Glück auf Bahnsteig 3 sollte der Zug in 15 Minuten einlaufen, er war pünktlich.
Hier gab es Abteile mit gepolsterten Sitzen. Sie suchte sich einen Fensterplatz
Und ab ging es Richtung Hannover, dort sollte sie umsteigen. Doch bis dahin hatte sie viel Zeit, viel Zeit zum Nachdenken. Sie ließ das letzte Jahr an sich vorüberziehen.
Einfach war das Jahr nicht, für 10,-DM wurde gearbeitet wie wahnsinnig.
Gut dass sie Tagebuch führte. Sie nahm sich ihr Büchlein aus der Tasche, wie sah das aus?
Da hat jemand drin rumgeblättert. Sie war geschockt. Wer war das wohl? Die Schwester?
Die letzte Eintragung war am 16.Oktober.: mir ist es so schlecht, hab furchtbare Halsschmerzen, kann kaum sprechen, hab wohl auch Fieber. Die Schwester meint, ich soll mich nicht anstellen und mich anziehen und am Arbeitsplatz erscheinen.
Ich stand aus dem Bett auf, meine Beine knickten ein, ich lag auf dem Fußboden.
Die Schwester ließ einen Arzt kommen. Der stellte eine schwere Angina fest. Ich gehöre ins Bett meinte er. Ich blieb im Bett, das Fieber stieg.
Nun hörten meine Eintragungen auf.
Eva wurde müde, sie kuschelte sich in ihren Mantel; das gleichbleibende Ruckeln des Zuges
Ließ sie schnell einschlafen. Kurz vor Hannover wurde sie wach, sie hatte fast 3 Stunden geschlafen. In Hannover stieg sie um. Der Zug nach Braunschweig stand schon dort an der anderen Seite des Bahnsteigs. hier gab es keine warmen Polster mehr, nur nacktes Holz.
Aber egal, nun war sie nicht mehr so weit von zu Hause weg. Und es war Heilig Abend.
Vater hat bestimmt schon den Baum geschmückt. Und Mutti hat den Kartoffelsalat und die Würstchen
Sicher schon fertig, so wie immer.
Was macht wohl Günter, mein Bruder, ob er den Kleinen was vorliest?
Ich wär so gern jetzt zu Hause
Es wird schon dunkel, bald ist man in Braunschweig, dann muss sie noch weiter.
Hoffentlich kommt der Zug dann auch bald.
Sie zieht ihren Mantel an. Sie ist müde, es ist doch sehr anstrengend.
Der Zug fährt in den Braunschweiger Hauptbahnhof ein,hier endet der Zug, Sackbahnhof.
Es sind kaum Leute unterwegs, kalt ist es, bitterkalt. Sie muss nun auf Bahnsteig 6
Treppen runter, Treppen wieder rauf mit dem Koffer. Sie hat das Gefühl jeden Augenblick zusammenzubrechen. Der Zug Richtung Celle wird hier eingesetzt. Er steht schon da,
fährt aber erst in einer Stunde ab. Sie trinkt unterwegs ein Glas Tee, die Wärme tut ihr gut. Hunger hat sie auch, sie kauft sich ein Brötchen an dem Stand. Die alte Verkäuferin packt ihr noch eins ein, heute kommt sicher keiner mehr kaufen, sie will das Büdchen schließen und auch heim gehen. Eva bekommt die 2 Brötchen geschenkt. Dankbar nimmt sie die an, verschlingt eins sofort. „Verschluck dich nicht, Mädchen, iss langsam“, sagt die Frau, Eva nickt, trinkt ihren Tee
aus, wünscht der Frau noch “Frohe Weihnachten“ und schlürft langsam zum Gleis 6.
Hier steigt sie ein. Der Zug ist leer, sie ist die einzige Reisende, es ist schon dunkel..
Endlich ruckt er an, stößt seinen Dampf aus und kommt langsam in Fahrt.
Nun hält er in jedem Dorf an. Die Fahrt will nicht enden,
Endlich Watenbüttel , so nun noch eine Station. Sie schaut aus dem Fenster, Schneeflocken tanzen draußen. O weia, jetzt schneit es noch und sie muss noch 3 km zu Fuß laufen, da fährt kein Bus mehr nach Zweidorf..
Wendezelle, sie ist da, steigt aus und steht frierend und verloren auf dem Bahnsteig.
Den Weg nach Zweidorf kennt sie, sie nimmt ihren Koffer, bindet sich den Schal um den Kopf und geht los Richtung Wendeburg, das ist nicht sehr weit.
Manche Bauern haben erleuchtet Fenster, sie feiern sicher schon. Der Schnee fällt immer dichter, Eva geht die Hauptstraße lang, sie ist mutterseelenallein auf der Straße. Nein, sie hat keine Angst, jetzt ist Heilige Nacht. Sie kommt sich auch vor wie auf Herbergssuche. Sie singt das Lied Wer klopfet an...... es klingt nicht besonders, sehr kurzatmig. Dabei hat sie eine wunderbare weiche Altstimme und sie singt so gern.
Ab und zu lugt ein Stern am Himmel durch die Schneewolken.
Sie kommt an der Wendeburger Kirche vorbei. Dort wird gesungen. Die Evangelischen haben Gottesdienst. Für die Katholiken ist erst Morgen am 1.Feiertag Gottesdienst.
Die haben keine eigene Kirche, wechseln sich immer mit den Evangelischen ab.
Sie marschiert an ihrer Schule vorbei. Bleibt stehen , bekommt plötzlich so schlecht Luft.
Bindet sich den Schal auch um den Mund, das ist sicher die Kälte.
Der Koffer wird immer schwerer, aber sie muss weiter, nur noch 1 ½ km dann bin ich endlich
Zu Hause. Sie kommt am Haus von Onkel Hermann und Tante Hedi vorbei, da ist alles dunkel, die sind bestimmt bei uns in Zweidorf. Sie hält sich an dem weißen Stakettzaun fest um sich auszuruhen. Nicht stehen bleiben, sagt sie sich, du musst weiter, es ist zu kalt.
Sie sagt sich Weihnachtsgedichte auf, jeder muss eins aufsagen, die Kleinen zuerst.
Was sie wohl geschenkt bekommen heute? Ihre Schwester Ellen ist 7 Jahre und Heidrun die kleinste gerade mal 3.dann kommt Günter ihr Bruder, der ist schon 14 Jahre alt. Den vermisst sie, nun freut sie sich auf ihn. Sie beschleunigt ihre Schritte , nun ist sie schon am Spritzenhaus, jetzt geht es nur noch geradeaus. Aber hier ist der Schnee auf der Straße schon hoch, stellenweise muss sie richtig dadurch stapfen, der scharfe Wind hat richtige Wehen aufgehäuft. Sie kommt bei Scheringhausen vorbei, “noch 2 Häuser, gleich bin ich da,“ denkt sie
“Spürt ihr das denn nicht ? Ich komme! Ich komme gerade aus dem Bergischen Land, hab es geschafft. Am Heiligen Abend zu Hause zu sein. Kommt mir denn keiner entgegen ?“
Sie stolperte über eine Schneewehe und fiel hin, der Koffer rutschte über die Straße, wäre bald in dem Teich bei Scheringhausen gelandet. Blieb aber an den großen Birnbaum hängen.
Sie rappelte sich wieder auf, irgendwie war ihr nicht mehr kalt, sondern warm wurd ihr,
sehr warm, sie flog fast die letzten Meter. Nun kam Waldvogel, die Bäckerei, das nächste Haus .................. ja, oben brennt Licht, sie singen , sie hört es, holt tief Luft, steigt die 5 Steinstufen zur Haustür rauf. Die alte Decke soll hier immer noch die kalte Luft abhalten.
Da ist die Treppe. Der Koffer fällt ihr aus der Hand. Sie steht am Fuße der Treppe und lauscht.
Sie hört Kinderlachen, alles redet durcheinander, dort oben ist gerade Weihnachtsbescherung.
Geschafft!!!
Sie bleibt unten an der Treppe stehen und beginnt zu singen :
“Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde nieder nieder, wo wir Menschen sind........“.
Oben öffnet sich eine Tür, Vater steht dort
„Mädchen“ ruft er, Eva wird es schwarz vor Augen, sie sieht und hört nichts mehr,
sackt in sich zusammen.
Als sie die Augen öffnet, liegt sie im Bett, Mutter beugt sich über sie, streichelt sie,
„Schön, dass du wieder hier bist“, sie weint, Eva schließt wieder die Augen , „bin ich zu Hause ?“ fragt sie. „Ja, nun bist du wieder zu Hause“ sagt Mutter.
Sie schläft, hatte einen Rückschlag, der fast 3 Monate dauerte. Der Arzt hatte recht, es war zu viel für sie.
Aber Eva war glücklich.
Jedes Jahr Weihnachten, wenn dies alte Lied gesungen wird, denkt die Familie zurück.
An das Weihnachtsfest 1953

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.12.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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