Sandra Würdig

Alter Balken, morsche Scheune und ein zweimeter langer Strick

Alter Balken, morsche Scheune und ein zwei Meter langer Strick
- Eine Abhandlung über den Suizid -

Weiße Rosen liegen nieder, vor einer großen steinernen Säule inmitten eines kleinen Dorfes. Graue, schwere Nebelschwaden ziehen über das weite Land, ein eisiger Wind bläst über die sanften Hügelketten der winterlich dunklen Region. Einzelne Wachskerzen, die sich in den Zwischenräumen der hellsten Rosen befinden geben ein klares, düster rotes Licht, so leuchtend wie die tiefste Nacht. Auf den Straßen mischt sich der saisonale Dreck mit dem weißen reinen Schnee zu einem zähen dunklen Brei. Die bittere Nahrung der tiefsten Trauer?
Menschen nähern sich der alten schwarzen, steinernen Säule. Ihre langen Mäntel verwischen die Spuren im Schnee und nehmen den zähen Dreck der Straße bis in die tiefste Faser auf. Bittere Tränen laufen in wirrendem Spiel über die fahlen Gesichter, Hände halten einander fest gedrückt. Eine eisige Stille liegt über dem ruhigen Spektakel. Nur der eiskalte Ostwind heult sein trauerndes Leideslied dazu. Nach langer Zeit des innigsten Innehaltens setzt sich der schwarze Zug fort zur kleinen düsteren Kirche, die sich im kalten Zentrum des bäuerlichen Dorfes befindet. Die Kälte frisst sich in die leidenden Körper und zehrt an den einst so froh gesinnten Gemütern.
"Warum?" Die tiefgehende Frage, die sich jeder des Trauerzuges stellt. Wie konnte es nur so weit kommen?
Ein junger Mensch, zu jung, um sich selbst trauernd vom Leben zu verabschieden. Keiner ahnte es, keiner sah das Leid in seinen so tiefen schwarzen Augen, keiner stand ihm so nah, wie die bitterste Verzweiflung selbst. Der einzige mögliche Ausweg, schien für ihn ein zwei Meter langer rauer Strick zu sein, den er um den alten Balken einer morschen Scheune wand. Ein Strick, gemacht von Menschenhand, genutzt durch den Erdenbürger, erstickend den menschlichen Funken...
Es war ein noch tristerer Tag gewesen als der heutige. Dunkle schwarze Wolken zogen an der aufgehenden Sonne vorüber, die niemals so farblos war wie an diesem Sonntag. Unbeobachtet stahl er sich in die väterliche Scheune und entschied sich selbst dazu, seinem Leben ein Ende zu setzen, ehe er vom inneren Leid langsam aufgefressen worden wäre.
Nun ist es zu spät. Seine leere Hülle, sein vom Leid zerfressener Körper hängt reglos an jenem alten hölzernen Balken der morschen Scheune, aufgehängt an einem zwei Meter langen schroffen Strick. All das Leid scheint vergessen, all die Sorge scheint verschwunden. Friedlich wirkt seine leere Hülle, ein kaltes stechendes blau erfüllt sie. Einige Stunden war er dort gehangen, ehe ihn sein bester Freund durch Zufall fand. Und die kalte Scheune war erneut erfüllt von neuem tiefstem Leid, von neuen stechend schwarzen Sorgen.
Der Priester spricht die letzten Worte für den leblosen Körper. Dunkelste Gefühle verstecken sich in den schwarzen Mänteln der trauernden Gemeinde. Vorbei, beendet ist sein Fristen, doch lebt er weiter in ihren tiefen Herzen, wenn auch als ein anderer.
Wehalb hatte es ihm niemand angemerkt?
Weiße Rosen versuchen die schwarze Unschuld der Angehörigen zu zeigen. Doch jede Rose wird einmal dunkel werden und wird sterben, wenn man sie nicht wässert.
Mit großem Schall schlägt die klare Glocke ein letztes Mal einen monotonen Laut in Andacht an den, der sich keinem anvertraut hatte.
Der lange Trauerzug erhebt sich und zertritt beim Verlassen der Kirche die weißen Rosen, die manche auf dem Gang verloren hatten. Zurück bleibt die tiefste Erinnerung.
Ein neues Leben erwartet die Angehörigen und Freunde des einstig Verstorbenen. Der Alltag mit all seiner Trauer und seinen Freuden trachtet nach den eintönigen Lauten ihrer schweren Seelen. Und wahrlich, nach kurzer Zeit ist er da und erfüllt wieder die gähnende Leere.
Manche vergessen schnell was geschehen war, manche verstecken sich hinter einer undurchsichtigen Maske, manche beginnen zu denken, manche machen sich Vorwürfe, manche denken selbst an gleiche Taten, manche sind manche,k einer ist jeder.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.12.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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