Gerda Schmidt

Weihnachtsplätzchen

Am Wochenende wollte ich Plätzchen backen und damit meine Weihnachtsschulden abgelten. Die Vergangenheit zeigte jedoch, wie genetisch unbelastet mit Bäckern unsere Familie war. Nur einenTante hatte sich in den Stand eines Konditors hinaufgearbeitet und beanspruchte dafür das gesamte Erbpotential dreier Generationen. Meine Funktion in der Familie lag eher bei der Bezeichnung „Laie“.

Da ich am Freitag bereits alle Zutaten besorgt hatte – Mehl aus dem Vorrat, Butter aus dem Supermarkt, Eier beim Pferdewirt, Zucker beim Nachbarn – hielt ich das bereits für die halbe Miete des Gelingens. Wie man sich doch täuschen kan! Die Hauptarbeit lag eindeutig noch vor mir.

Nachdem ich den ganzen Haushalt auf Vordermann gebracht hatte und sogar das Bad ein zweites Mal putzen wollte, blieb keine andere Arbeit mehr übrig, die mich vom Backen abhielt. Missmutig kochte ich mir erst mal einen Tee, mit dem bekanntlich das Abwarten einhergeht. Als auch das nichts mehr nutze, betrat ich stöhnend die Folterkammer, auch Küche genannt.

Der Backofen liess sich schnell in einen betriebsbereiten Zustand überführen, indem ich einfach die gewünschte Temperatur wählte. Dann begann ich mit der Zubereitung des Teiges. Auf dem Tisch häufte ich das Mehl wie einen Vulkan auf und schlug in die Mitte einen Krater. Ab diesem Augenblick begann die Gratwanderung. Mit ein paar geübten Karateschlägen zerkleinerte ich die Butter, die nun wie kleine Gebirgszüge aus der staubigen Landschaft ragten. Doch diese Formation änderte sich schlagartig, als ich die Eier öffnete. Das Eiweiß trennte ich vom Eigelb, das bekanntlich zu 90% aus Eiweiß besteht und ließ es wie Lavaströme aus gigantischer Höhe in die Täler fliessen. Die Butterinseln schienen sich darüber zu freuen. Nun tauchte ich meine Hände, die ich bis auf die Fingernägel und deren Nagelbett mit einer Bürste gereinigt hatte, in die Masse. Schnell sammelten sich die Zuckerkristalle in der Eiersuppe und bildeten unförmige Klumpen. Die glibberige Butter vereinte sich mit dem Mehl und bot den Süsslingen kontra. Mit kräftigen Knetbewegungen versuchte ich die beiden zu vermischen. Das gelang mir jedoch erst, als das Telefon klingelte. Unbeirrt knetete ich weiter. Dabei stellte ich mir vor, wie es wohl sein mochte, wenn man in einem Moor ertrinkt. Langsam wurde der Butterberg so weich, dass er mit allen anderen Zutaten eine homogenen Masse bildete. Weiteres Kneten, Klopfen und Schlagen resultierte in einem dicken, unförmigen Kloß, der sich beliebig formen ließ. Doch in diesem Zustand blieb der Teig wie angewachsen an meinen Fingern kleben. Zum Glück hatte ich einen kleinen Rest an Mehl beiseite gehäuft, mit dessen Hilfe ich die Backmasse von den Händen rubbelte. Erleichtert durfte ich nun eine Zwangspause einlegen, in der der Teig, kühlgestellt, etwas gehen musste.

Bevor meine Karenzzeit abgelaufen war, begann ich die Kuchenbleche einzufetten, denn die Erfahrung lehrte mich, nicht am falschen Platz oder Plätzchen zu sparen.Genauso ging ich auch beim Nudelholz vor, das bereits zwei kalte Nächte auf dem Balkon verbracht hatte. Ich begann mit dem Rundholz die Masse flach und breit auszurollen. Dabei fuhr ich wie eine Dampfwalze unerbittlich über die nachgiebige Masse. Jede Unebenheit fiel mir gnadenlos zum Opfer. Das ging so lange gut, bis der Teig anfing aufdringlich am Holz festzukleben. Verärgert riß ich daran, bis die ersten Löcher mich zum Einhalt geboten. Deshalb beschloß ich, die Dicke als geeignet zu befinden.

Als nächster Schritt erfolgte das Ausstechen. Schöne Formen versprachen ein schönes Aussehen des Zuckerwerkes zu erstellen. Auf so etwas fiel aber nur der Ungeübte herein. Auch ich hatte meine Wunschformen vom filigranen Schlittengespann über zierliche Krippenfiguren zu einfachen Sternen reduziert. Selbst die Zacken an der Riesenform waren abgerundet, weil auch diese gerne etwas von den Ecken für sich behielten. Emsig stach ich nun meine Formen aus, bevor der Teig wieder zu warm und dadurch nicht bearbeitungsfähig wurde. Bei der Grösse der Form waren die Bleche schnell gefüllt. Nun begann der kritische Teil, das Backen. Mit zwei gleich gestellten Eieruhren stand ich wie gebannt vor der Backofentür. Die kleinen Backwaren brauchten nicht lange, um ihren erwünschten Zustand zu erreichen. Da klingelte wieder das Telefon. Gemäß meiner Gewohnheit meine Telefonate in 50 s abzuwickeln, nahm ich den Hörer sorglos ab. Schliesslich hatte ich noch ganze 4 Minuten 12 Sekunden Zeit.

„Hallo Schwesterherz, warum gehst Du denn nicht ans Telefon? Ich habe vorhin schon einmal klingeln lassen.“ begrüsste mich mein Bruder.
„Ich bin gerade dabei Plätzchen zu backen. Was gibt’s?“
„Ohje, dann ist der Streit ja wieder vorprogrammiert. Mach es diesmal richtig, ja.“
Etwas verärgert blaffte ich ihn an: „Du bist doch immer derjenige, der mich zu solchen Taten drängt. Wenn sie Dir nicht schmecken, kauf Dir doch welche.“
„Es liegt doch weniger am Geschmack“, konterte er, „als vielmehr daran, warum es immer misslingt. Pass doch besser auf.“
„Bis jetzt hat alles geklappt. Also unke nicht schon wieder herum.“ Fuhr ich ihn an.
„Das war letztes Jahr auch so, bis Du zum Schluß die Milch umgekippt hast und über die fertigen Plätzchen geschüttet hast.“ warf er mir vor.
Immer mehr verärgert hielt ich ihm eines seiner Vergehen entgegen.
„Dafür hast Du die Soße beim Braten solange mit Vermut köcheln lassen, bis alles eingetrocknet war. Das vertrocknete Fleisch wollte nicht mal Meiers Hund fressen.“
„Stell diese Mal nicht die Bleche zum Abkühlen auf die Steinplatten in der Küche, sonst trittst Du wieder hinein. Die Vögel bekamen vorletztes Jahr genug davon.“
Entrüstet warf ich ihm vor, an der Misere Schuld gewesen zu sein, da er den vorgesehenen Platz unbedingt brauchte, um ausgerechnet dann die Salatsoße anzusetzen. Ohne Unterbruch fuhr er fort mich zu beschimpfen.
„Hast Du diese Mal wenigstens daran gedacht die Dosen vorher nicht mit Salbei- und Pfefferminzduft auszustatten? Der Geruch machte das ganze Gebäck ungeniessbar.“
Geruch? Ja, jetzt roch ich es auch. Es roch verbrannt. Sofort ließ ich den Hörer auf die Gabel fallen und stürmte in die Küche. Zu spät! Den Raum durchzogen bereits erste Rauchschwaden. Als ich den Backofen öffnete, schauten mich kleine Kohlesterne an.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.12.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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