Farhad Salmanian

Ist die Armut noch ein Riese?

Ein kalter Wind stieß pfeifend gegen das Klassenfenster, in dessen Rahmen ein Stück Karton als Fensterscheibe eingesetzt worden war. Der Karton klapperte und störte die Ruhe des Klassenzimmers. Manchen Schülern war es kalt. Ich brachte den Klassenofen, der brannte und nach Petroleum roch, zu den Schulbänken und forderte diejenige Schüler, denen es kalt war,auf, sich zum Petroleumofen zu kommen und sich zu wärmen. Sahra, eine der Schülerinnen, die immer ein trauiges und betrübtes Gesicht hatte, war ganz in Gedanken vertieft. Ich dachte vor mich hin:”Vielleicht ist ihr kalt.,, Dann sagte ich zu ihr:”Sahra! Komm her zum Ofen! Wärme dich!,, Sahra löste sich aus der Schulbank und kam zum Ofen. Ich nahm ihre Hände, die vor Kälte rot geworden waren. Nach einer Weile sagte ich:”Ist dir jetzt warm?,,Sie nickte mit dem Kopf. ”So! Kannst du nun das Wort Brot in Silbe trennen?,,fragte ich. ”Ja, Frau Lehrerin.,,sagte sie.”Bravo! Also, dann trenne es in Silben!,, Sahra hob ihr Hand sehr langsam und schwächlich hoch, um das Wort <> in Silben zu trennen. Aber sie zog die Hand herunter und bewegte sich nicht mehr.”Warum hebst du deine Hand nicht hoch?,,fragte ich. ”Meine Hand ist schwach. Ihr fehlt die Kraft.”antwortete sie sehr leise. ”Warum?,,fragte ich. Sie sagte:”Weiß nicht. ,,Ich sagte:”Komm näher!,, Sie kam näher. Ich fragte sie:”Liebe Sahra! Was hast du zum Frühstück gegessen?,,Sie antwortete:”Frau Lehrerin! Ich hab’ nichts gegessen.,, Ich fragte:”Warum?,,
Sie antwortete:”Zu Hause hatten wir kein Brot.,, Ich sagte:”Ihr habt doch ein paar Schafe! Zumindest hättest du ja ein Glas Milch trinken können. Sie liess Ihren Kopf auf die Brust sinken und sagte traurig:”Frau Lehrerin! Unsere Schafe sind erkrankt und bereits gestorben. ,,Ich sagte:”Da habt ihr keine Milch mehr, oder? Sie sagte:”Nein!, Ich war wie vom Donner gerührt. Erstaunt und verblüfft schaute ich Sahra an. Mir fiel ein, dass ich ein Käsebrot (von zu Hause) mitgebracht hatte, das in meiner Tasche war. Ich nahm Sahras Hand und holte sie auf die Seite des Klassenzimmers, die mit einem Vorhang von der anderen getrennt worden war, und als Schulbüro diente. Ich setzte sie neben den Ofen, holte das Käsebrot aus meiner Tasche heraus und gab es ihr. Ich sagte:”Liebe Sahra! Iß das! Ich goß auch Tee für sie in ein Glas, stellte es daneben und sagte: ,,Wenn du das gegessen hast, komm in die Klasse! Dann ging ich selbst in die Klasse zurück. Es dauerte nicht lange, bis Sahra in die Klasse zurückkam. Ich dachte nur an sie. Bis zum Mittag war ich in Gedanken vertieft. Die letzte Stunde war Sportunterricht. Ich führte die Schüler aus der Klasse heraus, damit sie im Sonnenlicht Sport treiben.Ich stand selbst in eine Ecke und beobachtete Spiel dieser Kinder, die Kummer und Betrübnis ihres Lebens in der Tiefe ihres Wesens vesteckten. Ich war in Gedanken vertieft, als mein Blick plötzlich auf Sahra fiel. Sie bückte sich, um etwas vom Boden aufzuheben, als ob etwas aus ihrer Tasche zu Boden gefallen wäre. Sie bückte sich, um es zu nehmen. Ich ging zu ihr. Auf einmal blieb ich stehen und schaute sie erstaunt an. Ich fragte mich:”Warum hat sie das Käsebrot, das ich ihr in der ersten Stunde gegeben hatte, noch nicht gegessen, sondern es in ihre Tasche gesteckt.?!,, Nun war das Käsebrot zu Boden gefallen. Ich rief nach ihr. Sie kam auf mich zu.”Liebe Sahra warum hast du nicht das Käsebrot nicht gegessen? Magst du kein Käsebrot?,,fragte ich. “Doch, Frau Lehrerin! Ich habe es nicht gegessen, um es für meinen jüngeren Bruder mitzunehmen.”antwortete sie. Ich verstand die Welt nicht mehr. Mir schwindelte, als ob man mit einem Vorschlaghammer auf meinen Kopf geschlagen hätte. Als ich wieder zu mir kam, sah ich, dass sie mich gerade betrachtet.”Liebe Sahra! Geh und spiel!”sagte ich. Sie ging und ich dachte eben an sie und ihre Probleme. Als der Unterricht aus war, rief ich Sahra und sagte ihr:”Liebe Sahra! Sag zu deiner Mutter, sie solle morgen in die Schule kommen!“
“In Ordnung! Frau Leherin!”sagte sie. Unsere Schule lag in einem der Dörfer der Vorstadt. Die Entfernung betrug ein paar Kilometer (von der Stadt). Die anderen Lehrerinnen und Lehrer und ich fuhren gewöhnlich mit dem Schulbus dorthin und kehrten mit demselben in die Stadt zurück. An diesem Tag gingen die anderen Lehrerinnen und Lehrer und ich aus der Schule und warteten am Wegrand auf den Schulbus. Am nächsten Morgen, als ich wieder in die Schule kam, sah ich Sahra und ihre Mutter, die im Schulhof standen. Die Schulglocke klingelte. Nach der Morgenandacht, als die Schüler in ihre Klassen gingen, sprach ich mit Sahras Mutter über die Lebenslage der Familie.Sie sagte, ihr Mann sei seit Jahren krank und habe Fuß- und Rückenschmerzen und könne deswegen nicht arbeiten. Deshalb habe die Familie keine Einkünfte, obwohl sie acht oder neun kleine und große Kinder habe. Ich sagte zu ihr:”Ich habe darüber nachgedacht. Wenn Sie einverstanden sind, schreibe ich einen Brief an die Zuständigen des Sozialamtes, damit sie Sie unterstützen. Sie sagte sehnsüchtig:”Vergelt’s Gott! Ich bin Ihnen sehr dankbar, wenn Sie das tun.,, Ich lud sie ein, ins Schulbüro zu kommen und dann schrieb ich einen Brief an das Sozialamt und stellte ihm diese Familie vor. Nach einigen Tagen kamen die Mitglieder des Sozialamtes in das Dorf und nachdem sie sich erkundigt hatten, bemerkten sie, dass es sich um eine bedürftige Familie handelte. Danach gewährten sie dieser Familie Unterstützung und ich sah endlich wieder auf Sahras Lippen ein Lächeln der Freude.


Übertragen aus dem Persischen von:
Farhad Salmanian

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.12.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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