Meine Vorlesung beginnt in
10 Minuten und Werner ist immer noch nicht da. Immer das gleiche mit dem. Aber
in letzter Zeit wird es immer schlimmer. OK er schreibt seine Diplomarbeit und
das ist eben stressig, aber deswegen muss man doch nicht gleich jeden Termin
verschwitzen. Bestimmt hat er wieder mal Probleme und kommt nicht weiter bei
seinen „Recherchen“. Das wäre ja auch nichts neues und dann darf ich wieder mal
ran und für ihm im Internet auf die Suche gehen.
Jetzt wird es mir aber
langsam zu blöd hier. Ich schaue hektisch und verlegen auf mein Zeiteisen und
will eigentlich so langsam mal rein gehen. Ich muss ja auch irgendwann mal
meine Diplomarbeit fertig schreiben. Kaum habe ich ihn abgeschrieben kommt
Werner auch schon, mit hochrotem Kopf, um die Ecke gerannt.
„Na endlich du Arsch. Ich
warte hier schon fast eine halbe Stunde. Meinst du etwa das ich sonst nichts zu
tun hab, als hier auf dich zu warten? Soll ich dir mal ne Uhr zu Weihnachten
schenken!“
„Ach jetzt hab dich mal
nicht so. Ich hab dafür auch was sehr ... sieh es dir am besten selbst an. Ich
hab die ganze Nacht keine Auge zugemacht deswegen“:
„ICH geh jetzt da rein.
Meine Vorlesung beginnt in 3 Minuten. Wir können uns ja zum Mittagessen
treffen. Oder noch lieber wäre mir heute Abend. Du schläfst dich besser erst
mal aus. Wie du wieder rumläufst. Kein Wunder, dass du nie ne Alte abkriegst,
wenn du deine Klamotten bei Clochard Paris bestellst!“: schnauze ich Werner an. Der ist natürlich beleidigt,
lässt aber nicht locker.
„He was ich anziehe geht
dich einen Dreck an. Ich habe eben keinen Papi, der mir das Geld vorne und
hinten reinschiebt.... Wann sind deine Vorlesungen zu ende?“
„Sagen wir, 17.00 Uhr bei
Paul. Und tschüss jetzt . Ich muss jetzt wirklich gehen Werner!“: sind meine letzten Worte, bevor ich in den Hörsaal
renne. Wie gut das man nach fünf Semestern Mathematik fast schon Hürdenlauf
über die Bänke machen kann. Da brauche ich mir keine Sorgen machen ob ich auch
einen Sitzplatz bekomme!
Ich kann mir ehrlich gesagt
auch nicht vorstellen, dass mein Kumpel Werner etwas wirklich neues entdeckt
hat. Dazu ist er etwas zu „out“. Entsprechend heiter gehe ich abends in meine
Stammkneipe in der Altstadt. Der Wirt dort heißt Paul und hat selbst mal
studiert. Biologie und Sport als Lehramt, leider hat er eine etwas zu intensive
Beziehung zum Alkohol entwickelt und diese Kneipe hier übernommen. Wenn man
sich mal ansieht wie die Jugend von heute verkommt, kann man das auch nur allzu
gut verstehen. Ich bestelle mir erst mal einen schönen starken Kaffee. Auf
meiner Uhr ist es jetzt schon 17.12 – Unverschämtheit mich immer so warten zu
lassen. Wenigstens kann ich hier im Warmen sitzen und mich mit den Leuten
unterhalten. Die Gespräche sind zwar auch nicht besonders neu und im Fernseher
läuft auch nichts interessantes. Was soll man also anderes machen als sich in
die Kneipe um die Ecke zu setzen.
Endlich kommt mein Kumpel
und das Warten hat ein Ende.
„Na du, auch schon da.
Was sagen deine Dozenten eigentlich wenn du immer zu spät kommst?“
„Deine Sorgen möcht ich
haben. Weißt du eigentlich wie belanglos deine Probleme sind, in Anbetracht der
Katastrophe in die wir unaufhaltsam reinschlittern“.
„Ach ja! Welche denn?
Ozonloch? Klimagau? Konjunkturflaute? Staatsverschuldung oder AKW-Lecks. Sorry
Werner, aber ich hab schon unterschrieben gegen den Bau von allem und bin auch
für den Schutz der gemeinen Wald-Brennnessel. Nur Geld kann ich dir keins
geben, mein Papi arbeitet ja schließlich nicht für die Ökos. So, jetzt trink
erst mal einen!“
„Du bist so ein zynisches
Arschloch, weißt du das eigentlich. Ich geh jetzt wieder, mit dir kann man so
was eh nicht ernsthaft diskutieren!“: blafft
Werner mich an.
Ich stöhne laut aus und
rolle mit den Augen, diese Mimose aber auch. Verstehen einfach keinen Spaß
diese Soziologen. Überall sehen sie den Weltuntergangsklabautermann und den
wollen sie dann bei Fencheltee und Reiskräckern tot labbern. Aber was soll’s
wenigstens hab ich eine Belustigung, wenn mir Werner seine neuste „Theorie“
erzählt. „Jetzt hab dich nicht so. Man wird im Angesicht des Todes doch mal
einen Witz reißen dürfen. Ihr Sozis seit immer so schnell eingeschnappt. Jetzt
erzähl mal was du entdeckt hast!“: gehe ich auf ihn zu. Werner verzieht den
Mund und ordert sich erst mal einen Kamillentee bei der Bedienung. Dann setzen
wir uns in die gemütliche Ecke im Hinterzimmer und ich drehe erst mal einen
schönen Joint. Paul legt die Dire Straits auf „Brothers in Arms“. Während ich
brösle und am falten bin, erzählt Werner mir seine neuste Erkenntnis:„ Also
du weißt ja hoffentlich noch das ich für meine Diplomarbeit jede Menge Bücher
zum Thema „ Untergegangene Kulturen“, gelesen habe. Angefangen von den
Ägyptern, den Römern, die Spanier, UdSSR und so weiter. Ich hab versucht zu
ergründen warum diese Reiche und deren Weltbild vom Erdboden verschwinden
konnten. Is ja schon seltsam, dass Kulturen die sich sehr lange halten, einfach
wieder in der Versenkung verschwinden!“
„Wahrscheinlich weil es
eben normal ist das sich die Dinge ändern. Stillstand ist der Tod. Auf dem
Zenit der Macht geht allen Kulturen die Puste aus. Man wird dekadent und raucht
illegale Drogen von guter Qualität. So wie wir gleich. Hahaha!“: unterbreche ich ihn und klebe das konische Gerät
sorgfältig zu. Dann rauche ich an und inhaliere den süßen Rauch marokkanischer
Herkunft. Werner nippt an seinem Tee und fährt fort.
„Genau. ABER wie
manifestiert sich diese Stagnation. Klar. Es geht irgendwie nicht weiter, aber
das wäre ja eigentlich auch nicht so schlimm. Stabile Verhältnisse müssten ja
eigentlich etwas schönes sein. Man kann in aller Ruhe seinen Geschäften
nachgehen. Aber so einfach ist es denn nun auch nicht. Wenn einer Bewegung die
Luft ausgeht, fängt sie an sich ständig zu wiederholen!“
„Da Langer rauch mal was,
bevor du weiter redest“: sage ich
und halte ihm den Tüterich hin. Er schnappt ihn sich und zieht dran:„ PFFFFFFe
Ah pfff hui hui hui. Das ist aber starker Tobak. Also wo war ich stehen
geblieben,... ah ja also das ist scheinbar so. Die Abstände der
Kulturenerneuerungen werden immer kürzer und zwar in dem Maße wie das
Kulturangebot zunimmt. Also die Anzahl der Feiertage, Freizeitaktiviäten und
neuerdings auch die Möglichkeit der Vervielfältigung und Speicherung von
solchen Dingen. Stichwort Musikkopien. Stell dir mal vor was passiert wenn man
auf etwa 3 Datenträgern sämtliche Musikstücke, die jemals erschienen sind,
speichern kann. PFFFFFFe. Da nimm lieber wieder, sonst bin ich nachher wieder
zu breit, ist ja erst halb sechs. Also allen Kulturen ist eines gemeinsam. Sie
erschaffen sich selbst aus einer neuen Idee heraus. Diese Idee ist am Anfang
natürlich neu und dient als gemeinsame geistige Grundlage. Sie ist dafür
verantwortlich das sich eine Kultur entwickelt, mit entsprechendem Liedgut,
Mythen und Thesen. Je intensiver eine Gesellschaft feiert und diese Identität
benutzt, umso mehr nutzt sie sich dabei ab. Irgendwann ist es eben nicht mehr
schick die „Internationale“ zu trällern. Je exzessiver eine Gesellschaft die
Ressource „Gedankengut“ verbraucht, desto schneller wird sich diese
Gesellschaft selbst an ihr Ende feiern. Natürlich „wächst“ ständig neues
Liedgut und Buch,- Filmstoff nach, aber das kann nur durch eine Phase der „Not“
gefördert werden. Eigentlich ist es eine Art „Jäger-Beute Beziehung!“.
„Mein Gott müsst ihr
Soziologen Zeit haben, dass ihr euch über so was Gedanken machen könnt. Willst
du mir jetzt weiß machen, dass unsere Zivilisation durch die vielen Dorffeste
zugründe gehen wird! Da müssen wir ja direkt ne Demo auf die Beine stellen!“
„Du bist zwar ein Idiot,
aber so Unrecht hast du gar nicht. Die unzähligen Fernsehsender, Radiostationen
und diese Überflut an Spaßattraktionen schaffen ein inflationäres Angebot und
verbrauchen dabei immer schneller die wenigen neuen Gedanken, die es gibt. Die
Künstler kommen ja kaum noch nach um neue Werke und Kreationen zu erschaffen.
Ist dir mal aufgefallen wie viele Lieder in den letzten 10 Jahren neuaufgelegt
wurden. Wie schnell eine Band in die Charts kommt und wieder in der Versenkung
verschwendet. Wie ähnlicher sich die Fernsehsender werden und wie schnell eine
„neue“ Idee im TV durch massives Kopieren und tägliches ausstrahlen, zum
kollabieren gebracht wird“.
„Apropos „kollabieren“
ich bestell mir jetzt erst mal ein „Colabier“ willst du auch eins? Ach du hast
ja noch deinen Tee, da halt du derweil mal den Joint warm, während ich zum
Tresen geh“: unterbreche ich seinen
Wortschwall und verschwinde mal kurz, um mir das beschriebene Mischgetränk zu
regeln. Ich achte jetzt aber bewusst auf die Gespräche der Leute um mich herum
und die Musik. Werner hat irgendwo recht – es ist immer der gleiche Schrott.
Mein Handy, mein Freund meine Katze hat ... und dazu ein „Klassiker“ aus den
80.er Jahren. Ich gehe zurück und sehe Werner lächelnd dabei zu, wie er mit
schmalen, geröteten Augen am Tisch sitzt und seinen Tee schlürft.
„Mein Gott Werner was ist
denn da in dem Tee drin, du siehst aber gar nicht gut aus!“
„Ja keine Ahnung was Paul
mir da wieder reingemacht hat. PFFFFFF da rauch du weiter ich muss ja erzählen.
Also ich habe da mal ein Diagramm erstellt, mit dem ich verdeutlichen will, in
welchem Tempo die „Ideen“ verbraucht und neue kreiert werden. Wie du siehst ist
das ein sehr komplizierter Vorgang und ist eigentlich nicht wirklich 100% in
einer Graphik darstellbar. Aber egal. Also aääääh .. ach ja ... also wenn das
so weiter geht sind wir bis Ende des Jahres am Ende dieser ruinösen
Ideenverschwendung angelangt. Dann folgt unweigerlich ein Kulturkollaps!“
„Und wie wirkt sich das
aus?“
„Na ja die Leute können
sich mit dem, was um sie herum passiert, nicht mehr identifizieren. Sie fallen
in eine Sinnkrise und werden wahrscheinlich vermehrt zu Drogen greifen und
extremen Sportarten,.. vielleicht. Keine Ahnung, jedenfalls verschwindet mit
der Identifikation zur Kultur auch die Arbeitsmoral und das Unrechtsbewusstsein.
Das sind immer nur kleine Nuancen, die aber eine Gesellschaft, von innen her,
schleichend aushöhlen“.
„Ah ha. Also werden die
Leute noch öfter blaumachen, Versicherungen bescheißen, Steuern hinterziehen,
Fremd gehen und so was halt!“
„Genau, ich habe da sogar
einen sehr verlässlichen Indikator für Kulturmüdigkeit bzw. Kulturverweigerung
entdeckt. Es ist die Menge an Abfall, die von den Menschen auf einer
definierten Fläche, achtlos weggeworfen wird. Die Menge steigt proportional zur
Entfremdung. Das gleiche gilt für Vandalismus und eben auch die Anzahl der
Fehltage in Schulen und Betrieben!“
„Wann sagst du ist es
soweit? Ende des Jahres, na da ist ja noch etwas Zeit bis es soweit ist. Soll
ich noch was rollen oder gehen wir mal woanders hin. Der Schuppen hier
langweilt mich irgendwie!“
„Siehst du, das ist genau
das was ich meine!“
Ende
Autor
Stephan Schneider
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.03.2002.
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Stephan Schneider als Lieblingsautor markieren
Versengte Flügel: eine Seelenreise zwischen Trauer und Trost
von Sonja Rabaza
Traurige und schmerzerfüllte Zeiten müssen durchlebt werden, das heißt, es
muss Trauerarbeit geleistet werden; wenn man verdrängt, so holt sie uns doch
immer wieder ein. Nur wenn wir uns auf diesen schweren Weg einlassen, haben
wir eine Chance - trotz ewig dauernden Schmerzes - wieder glücklich zu
werden.
Meine Botschaft: Auch wenn das Leben nicht immer freundlich mit uns umgeht,
nicht aufzugeben!
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