Georg Kaiser

Dialog in einer Bar

Intro: Die Geschichte stammt aus der Reihe “Die schwarze Diskette“,zur Vertiefung werden empfohlen: “Ivanas 2-Zimmerwohnung“, “Der Mann für jede Gelegenheit“ und “Terrasengedanken“

Ivana ist eine Frau, die eine bewegte Vergangenheit hatte, sowohl in der Liebe als auch in der Party- Szene der Stadt, Ich kannte sie als Bar- Keeperin in einer Galerie für naive Kunst und Malerei, der gratis servierte Ouzo war der Anfang einer ehrlichen Freundschaft, die den Sex als finale Ergänzungskomponente hatte, die meisten behaupten ,dass Sex und Freundschaft zwischen Mann und Frau auf die Dauer nicht kombinierbar sind weil früher oder später zerbrochene Herzen oder Besitzansprüche auftauchen aber Ivana (so wie Lena und andere von welchen die Rede später sein wird) ist der lebendige Beweis dafür, dass sowas durchaus möglich ist und das scheint in der Ausstrahlung der einsamen Männer zu liegen, die sich von der Realität der weiblichen Wünschen bewusst sind, manche Männer erfüllen Beziehungswünsche, andere kurzfristige Begierden, ich erfüllte das letztere und trotzdem zeigte Ivana mir gegenüber eine fast entwaffnende Ehrlichkeit, denn wir Sex hatten nachdem ich durch sie erfahren habe, dass ihr Freund sie verliess. Zärtlichkeit kann ein Geschenk sein, die man sich zu zweit macht wenn einer von beiden es wirklich braucht .

Ich habe vor kurzem Ivana wieder getroffen und es gab was zu feiern, sie bekam eine Praktikumstelle als Photographieassistentin bei einem bekannten Keystone- Reporter. Am Ende eines mit Alkohol reichlich geschütteten Abends kamen wir auf das Thema der Politik. Ivana stammt aus einer Familie mit langjähriger sozialistischen Tradition und wuchs dementsprechend in einer Umgebung wo die Solidarität, Internationalismus, Engagement und Einsatz für die sozial schwächeren etwas zählte, (was sie nicht daran hinderte sich einen Namen zu machen in den Dance- Klubs, House- Partys, Szenenbars und ähnliche Orte) aber die Tatsache, dass sie als Assistentin mit einem 10- Stunden Tag arbeiten würde markierte das Ende der Party- Life und ihr endgültiger Abschied von den Tanzflächen und die Welt des schönen Scheins, fertig lustig, jetzt wird es ernst.

Sie sagte: -„Nach so vielen Jahren in der Szene muss ich gestehen, dass das schöne und glitzernde an den Partys mich mit der Zeit immer mehr nervte oder gar nichts mehr sagte“.

Ich antwortete: -„Aber niemand verbringt die ganze Zeit in der Party- Welt, irgendwann kommen andere und die alte Dance- Floor Garde wird abgelöst“.

-„Du kannst dich irren, fast alle Bekannte aus der Szene sind immer noch da und ihre Grösste Sorge ist immer wieder was am Wochenende so läuft.“

-„Ab einem gewissen Alter klingt das irgendwie peinlich.“


-„Das auf jeden Fall. Hör mal, du hast über die beautiful People geschrieben und sie scheinen dich immer noch zu faszinieren aber diese Leute reizen mich nicht mehr, nicht in geringsten. Sie sind uninteressant, und ich habe es zu Genüge gesehen; mich interessieren andere Personen, diejenige die etwas in Bewegung bringen können oder Sachen verändern können.“

-„Come on Ivänchen, du weiss ganz genau was ich von Weltverbesserer halte.“

-„Ich rede nicht von Weltverbesserer, sondern von Leuten wie diejenige, die an der G8- Gipfel in Genua teilnehmen, demonstrieren und den Kopf hinhalten, ich rede von Menschen die ihre Meinung bekünden und was dafür auf die Rübe kriegen und niedergeknüppelt werden, solche Sachen will ich auch dokumentieren.“

Ivana versuchte sich von Weltverbesserer zu distanzieren aber ihre genauen Beschreibungen klangen in meinen Ohren als ob jemand sagen würde „Ich rede nicht von Wein, sondern von ausgegorenem Traubensaft“.

Ich hatte eine Woche vor unserem Treffen eine Sendung über die Unruhen in Genua und der Polizei- Einsatz, es gab prügelnde Polizisten, brennende Banken, Autos, zertrümmerte Büros und jede Menge zusammengeschlagene Demonstranten: Italiener, Deutsche, Franzosen, etc. Egal ob alt, jung oder Mann oder Frau, am eindruckvollsten waren die Zeugenaussagen über die Erstürmung eines Büros des Bürgerforums durch Elite- Einheiten der italienischen Carabinieri knapp 12 Stunden nach dem Ende der offiziellen Veranstaltungen. Die Aussagen passten gut zu den Bilder der Erstürmung und kurz danach, die Zeugen erzählten Geschichten die an die frühen Zeiten Spaniens unter Franco erinnerten oder an den Berichten der südamerikanischen Gefängnissen in den Siebziger und Achtzigerjahren: Ausgeschlagene Zähnen, kalte Duschen mit Feuerwehrschläuchen, Gruppenprügel mit Schlagstöcken bis zur Bewusstlosigkeit und derartiges, die Bilder der Büros kurz nach der Erstürmung zeigten neben dem heillosen Durcheinander von Kleider, Rücksäcken und Matratzen viele geschmierte Blutspuren an den Türen, Fenster, Boden und sogar an den Türklinken oder an Kleidungsstücken klebend, man kann keine suggestive Bilder beschreiben aber die Szenen von rohen Gewalt die sich dort abgespielt haben mussten von einer seltenen Brutalität gewesen sein, trotzdem konnte ich nicht den geringsten Mitleid mit denjenigen empfinden die in diese unglückliche Lage gerieten, ich war nicht Mal empört, ich dachte bloss: „am falschen Ort zur falschen Zeit und obendrein an das falsche geglaubt“.

Ich glaube, dass der Mensch keine bessere Welt verdient, er verdient auch keine schlechtere, der Mensch verdient die Welt in welcher er lebt. Die Utopien die meine Mitmenschen in Debattierklubs, ONG- Büros und Versammlungen reifen lassen sind zu schade für das was wir in Wirklichkeit sind, Utopien sind für Wesen die Ideal sind, ein Zuhause für das was viele gerne wären aber nicht sind und niemals sein werden weil jeder von uns ein Sklave der eigenen Schwächen und Neigungen sind, ich kann die Ideale Ivanas nicht teilen so wie ich mit ihr ein Bett geteilt hatte, zum ersten Mal spürte ich den tiefen Graben zwischen uns mit einer galaktischen Abstand zwischen beiden Ränder und ich hatte nicht den Mut ihr das zu sagen was in dieser schwarzen Diskette steht. Der gähnende Barkeeper räumte die letzten Gläser und wir waren die letzten Gästen im „Plüsch“, ich sah sie mit einer Mischung aus Bewunderung und Mitleid ,trotzdem kurz vor dem Abschied gab mir Ivana den ritualen Kuss auf dem Mund und schüttete einen Teil des Grabens zu mit einer Bemerkung:

-„Weiss du, dass ein bekannter Schweizer Philosoph ein Mal schrieb „Wir sind der Schaum an der Wellenspitze“?“.

-„Und Wellen verebben irgendwann, nicht Wahr?.“

-„Ja, ganz genau.“


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.12.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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