Heike Riedel

Bruder Jakob (überarbeitet)

Es war einmal, vor langer, langer Zeit, in der noch die Fürsten das Land regierten, da lebte in einem kleinen Dorf an der Nordseeküste ein junger Bauerssohn mit Namen Jakob.

Jakob war ein fröhlicher Bursche, freundlich und nett, doch war er leider auch der faulste Mensch, den das Dorf je gesehen hatte.
Er schlief oft bis zum Mittag, während die anderen Bewohner des kleinen Bauernhofes – sein Vater, seine Mutter und der alte Knecht – vor lauter Arbeit nicht einmal zum hinsetzen kamen. Ach, es gab so viel zu tun, und jeden Tag raufte sich der Bauer die Haare, warum er einen solch faulen Sohn hatte. Und wenn er Jakob dann schimpfte, ging dieser spazieren; ganz langsam, damit es nicht zu anstrengend wurde. Wenn er dann ein schönes Plätzchen gefunden hatte, und derer gab es viele in der Gegend, legte er sich in das Gras, streckte alle Viere von sich und betrachtete die Wolken. Jakob konnte sich so stundenlang beschäftigen. Doch wenn er sich auch sonst bei allem gern alle Zeit der Welt ließ, eine Sache gab es jedoch die ihn selbst aus seinen tiefsten Träumerein riss: Sein Hunger. Und nach seinem Magen konnte man die Uhr stellen. So verpasste er zwar daheim jede anfallende Aufgabe, aber wenn das Essen auf dem Tisch stand, war er der erste, der zugriff.
Eines Tages war es dem Bauern zu viel und er nahm Jakob beiseite. „Sohn“, sagte er, „es geht so nicht weiter. Bist Du nicht Willens, wenigstens kleine Aufgaben am Hof zu übernehmen, kannst Du hier nicht länger wohnen. Du bist erwachsen – geh in die Welt und ärgere andere mit Deiner Faulheit.“
So war Jakob nun vor die Wahl gestellt und er dachte über seine Situation nach. Kühe melken, Ställe ausmisten, Schweine füttern? Nein, das kam für ihn nicht in Frage. Doch was sollte er sonst beginnen? Als Fischer zur See fahren, das Deck schrubben, Netze auswerfen und wenn sie voll und schwer waren, sie wieder einholen und Stunde um Stunde Fische ausnehmen? Nein, auch das war nicht seine Welt.
Jakob beschloß erst einmal das zu tun, was er gerne tat, nämlich spazieren gehen. Also schnürte er sein Bündel, ließ sich von der Mutter noch einen Kuchen einpacken und machte sich auf den Weg.
Aber, ach, es war doch anstrengend, den ganzen Tag auf den Beinen zu sein, und so machte Jakob bald hier eine Pause und ein Schläfchen, bald da eine Pause und ein Schläfchen. Nach drei Tagen war auch noch sein Proviant verzehrt und er litt Hunger. Da traf Jakob eine wichtige Entscheidung. Im nächsten Dorf, sagte er sich, werde ich mir eine Arbeit suchen.
Das Dorf, in das ihn sein Weg führte, rühmte sich einer kleinen Besonderheit, denn es beherbergte sowohl eine Kirche, als auch, am anderen Ende des Ortes, ein Kloster. Und so kam es, daß zu jeder vollen Stunde gleich zwei Glockentürme ihre Melodien über das Land klingen ließen.
Jakob fragte die Leute im Dorf, wo er denn mit leichter Arbeit sein Brot verdienen könnte und sie schickten ihn zum Kloster. Noch am gleichen Tag wurde aus dem hungrigen Wanderer Jakob „Bruder“ Jakob.
Bruder Jakob bekam sein Kämmerlein gleich unten im Glockenturm und die Aufgabe, zu jeder vollen Stunde, von morgens sechs bis abends neun, die Glocken zu läuten. Das ist nicht schlecht, dachte er bei sich, so habe ich genug Zeit, mich zwischen den Stunden auszuruhen und zu Essen habe ich hier auch genug.
Eine Weile ging alles gut, doch dann begann die Arbeit langsam Bruder Jakob lästig zu werden. Wenn er morgens geweckt wurde stand er nur murrend auf und manchmal läutete er sogar nur eine Glocke zur vollen Stunde, obwohl es eigentlich drei sein sollten. Und dann kam der Tag an dem Bruder Jakob das erste Läuten ganz verschlief, obwohl er zuvor von einem anderen Klosterbruder geweckt wurden war. Die Glocken der kleinen Kirche am anderen Ende des Dorfes klangen einsam über das Land und die Leute schüttelten die Köpfe. Und es sollte nicht das einzige Mal bleiben. Immer wieder kam es vor, daß zur einen oder anderen Stunde die Glocken des Klostes nicht oder zu spät geläutet wurden.
Und so begab es sich, daß die Kinder des Dorfes ein Lied dichteten, mit dem sie Bruder Jakob verspotteten und das klang so:

Bruder Jakob, Bruder Jakob,
schläfst Du noch, schläfst Du noch,
hörst Du nicht die Glocken, hörst Du nicht die Glocken?
Ding dang dong, ding dang dong.

Bruder Jakob jedoch störte sich nicht an den Spottgesängen der Kinder. Manches Mal summte er sogar die Melodie mit, wenn die Kinder singend am Glockenturm vorüber liefen.
Die Mönche des Klosters versuchten mit Bruder Jakob zu reden, doch selbst der Abt konnte dem neuen Bruder nicht in das Gewissen reden. Jakob blieb faul. Und weil das Kloster niemanden hinauswirft, wandte sich der Abt in seiner Verzweiflung an den Fürsten, der das Dorf regierte.
Der Fürst konnte sich nicht vorstellen, daß es wirklich einen solch faulen Menschen in seinem Reich geben könnte und ließ Bruder Jakob auf seine Burg bringen.
Doch egal, welche Aufgabe der Fürst ihm geben ließ, Jakob erledigte nicht eine von ihnen. Und so kam es, daß der Fürst schon nach wenigen Tagen sehr zornig war. Mit rotem Kopf stapfte er in seinem Thronsaal umher und schimpfte über Jakob und seine Faulheit. Wütend beschloß er, Jakob das Essen zu streichen, bis dieser anfangen würde zu arbeiten.
Der Fürst war weit über die Grenzen seines Reiches als schlauer Herrscher bekannt und auch dieses Mal tat er das Richtige. Jakob hatte bisher nie für das Brot in der Hand arbeiten müssen, sondern immer nur, weil es eben andere von ihm verlangten. Den Wert der Arbeit hatte er nie erkannt, denn es hatte ihn noch niemand Hunger leiden lassen. Doch nun bekam Jakob nur dann etwas Brot oder auch mal eine Suppe, wenn er den Pferdestall ausgemistet, Wasser aus dem Brunnen geholt oder eine der zahlreichen Treppen in der Burg geputzt hatte.
Jakob gewöhnte sich recht schnell daran und eines Tages stellte er erstaunt fest, daß ihm die Arbeit sogar Spaß machte, denn immer wenn er etwas besonders gut gemacht hatte wurde er gelobt und auf die Schulter geklopft.
Eines Tages bat Jakob den Fürsten wieder in das Kloster gehen zu dürfen. Die Mönche des Klosters waren alle schon recht alt und mußten sich dennoch tagein und tagaus mit der schweren Gartenarbeit mühen. Jakob wollte ihnen gern helfen. Der Fürst war über die Bitte sehr froh und ließ Jakob wieder in das Kloster gehen.
Und wie der Abt und die anderen Mönche sich erst freuten, als sie merkten, wie sehr sich Bruder Jakob in der fürstlichen Burg verändert hatte. Keine Arbeit war ihm mehr zu schwer.
Und wenn Bruder Jakob doch einmal keine rechte Lust hatte zu arbeiten und statt dessen lieber faul im Bett liegen wollte, sang er sich selbst ein kleines Lied vor:

Bruder Jakob, Bruder Jakob,
schläfst Du noch, schläfst Du noch,
hörst Du nicht die Glocken, hörst Du nicht die Glocken?
Ding dang dong, ding dang dong.

Das erinnerte ihn daran, wie Faul und Selbstsüchtig er früher gewesen war – denn er hatte ja immer andere für sein Brot arbeiten lassen – so spornte er sich wieder zu neuen Taten an.
Jetzt wißt ihr, was es mit diesem hübschen kleinen Lied auf sich hat und wie es entstanden ist Und wenn sie nicht gestorben sind, singen sie es noch heute.

Liebe Leser, bitte schreibt mir doch, ob Euch meine Geschichte gefallen hat, oder nicht - vielleicht sogar Verbesserungsvorschläge? denn der Sinn, hier Geschichten rein zu setzen liegt ja auch (und vor allem) darin, ein Feedback zu bekommen. Also bitte, eine Benotung oder ein kurzer Kommentar reichen. DankeHeike Riedel, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.12.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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