Heike Riedel

der kleine Farn, Teil 1

Es war einmal ein kleiner Farn. Er hatte wundervolle grüne Blätter, die sich ständig ein bißchen kräuselten, weil sie immer vom Wind und den Insekten gekitzelt wurden. Der Farn war eigentlich auch nicht sehr klein, aber der Wald in dem er wuchs, wurde von großen, mächtigen Kiefern beherrscht, die ihre Zweige über den ganzen Himmel zu strecken schienen.
Der Farn war traurig, weil er gegen die großen, mächtigen Kiefern so klein wirkte und weil er sein ganzes Leben unten am Boden verbracht hatte. Eines Tages fragte der Farn seinen besten Freund, die Wühlmaus Flinkefix um Rat: „Bitte Flinkefix, kannst Du mir nicht helfen? Ich möchte den Himmel auch einmal so sehen, wie die großen Kiefern. Ich möchte auch die Wolken aufziehen sehen, bevor der Regen fällt. Was soll ich tun?“ Und Flinkefix, der nie um eine Antwort verlegen war, meinte: „Nimm doch Deine Wurzeln in die Hand und klettere hinauf auf eine der Kiefern!“ sprachs und verschwand im nahen Unterholz. Der Farn wußte, daß er den Rat von Flinkefix nicht befolgen konnte, schließlich hatte er keine Hände. Er konnte ja noch nicht einmal seine Wurzeln, die ihn so fest im Boden hielten, ausgraben.
Als nächstes sprach er Nostradamias, den alten weisen Kautz auf sein Problem an, als dieser sich zu einem Schwätzchen bei dem Farn niederließ. „Bitte Nostradamias, hilf mir. Du bist doch alt und weise“, – „Nana“, unterbrach ihn der Kautz mit krächzender Stimme. „das Wort alt möchte ich aber nicht gehört haben!“ – „Entschuldige“, sagte der Farn kleinlaut. „ich wollte damit ja auch nur sagen, daß Du in Deinem langen, langen Leben schon viel gesehen, gehört und gelern hast.“ Geschmeichelt spreizte der Kautz seine grau-braunen Federn: „Da magst Du Recht haben. Was möchtest Du wissen, mein Sohn?“ – „Sag mir, Nostradamias, wie werde ich so groß, wie die mächtigen Kiefern?“ Der Farn schaute den Kautz hoffnungsvoll an, während dieser sich nachdenklich hinter dem Ohr kratzte. „Hmm“, brummte er dann. „Es gibt da wohl eine Möglichkeit, ich weiß nur nicht, ob Du dafür genug Kraft und Willen hast!“ – „An Willen wird es nicht fehlen“, sagte der Farn eifrig. „und Kraft habe ich wohl auch. Sieh nur, Nostradamias, wie kräftig grün meine Blätter sind!!“ – „Gut, mein Sohn, dann werde ich Dich in das Geheimnis der großen, mächtigen Kiefern einweihen.“ Schnell schaute der Kautz nach oben, um sicher zu gehen, daß die Kiefern auch nicht lauschten. Dann flüsterte er: „Ich habe das Geheimnis den Kiefern nämlich einmal entlocken können, als diese ganz berauscht vom Wind waren. Wenn der Wind aus nord-west kommt und durch ihre Zweige, Äste und Nadeln braust, dann – und das wissen nur die weisesten der Käutze, so wie ich – dann werden die Kiefern gesprächig.“ Nach dieser Offenbarung machte der Kautz eine bedeutsame Pause. Dem Farn, dessen Blätter sich vor Neugier noch stärker als sonst gekräuselt hatten, war aber nicht nach einer Pause. Er wollte das große Geheimnis nun endlich erfahren. So drängte er denn auch den alten Kautz: „Red´ schon, Nostradamias. Erzähl mir, wie ich groß und mächtig werde!“ Der Kautz blickte ärgerlich auf den Farn: „Du magst zwar Kraft und einen starken Willen haben, aber Geduld hast Du nicht.“ Nostradamias hatte aber doch Mitleid mit dem vor Errregung zitternden Farn. „Gut, ich will es Dir verraten“, nach einem zweiten, schnellen Blick zu den Ästen hoch über den beiden, verriet er das große Geheimnis: „Du brauchst viel Kraft um Deine Arme, mit den vielen gekräuselten Blättern daran, jeden Tag, den ganzen Tag, steif von Dir zu strecken. Nur so kannst Du so mächtig wie die Kiefern werden. Dann brauchst Du nur noch den Willen, Deinen Stamm dick und fest werden zu lassen, damit er Dich bis in die Baumkronen tragen kann.“
Der kleine Farn war fest entschlossen den Rat, den Nostradamias ihm gegeben hatte, ganz genau zu befolgen. Und weil es ihm nicht schnell genug gehen konnte, versuchte er beides gleichzeitig: er streckte seine Farnwedel steif in alle Richtungen und konzentrierte sich ganz fest darauf einen dicken, festen Stamm zu bekommen. Bis er dann merkte, daß er seine Wedel gar nicht in die Luft gestreckt hatte. Er versuchte es nochmal, streckte alle Arme weit, weit weg und konzentrierte sich auf seinen Stamm. Doch Ungeduld zahlt sich nicht aus, das mußte auch der Farn entdecken. Er konnte sich nicht auf seinen Stamm konzentrieren und gleichzeitig auf seine Arme. Denn er hatte ja nicht nur 2, so wie wir Menschen, nein der Farn hatte mindestens 20! Also ließ er den Gedanken an seinen Stamm erst einmal beiseite und konzentrierte sich ganz auf das heben seiner Farnwedel. Aber auch das war nicht so einfach, wie er sich gedacht hatte. Der Farn hob seine Arme mit aller Kraft einen nach dem anderen, doch er war noch nicht beim letzten angekommen, als er schon spürte, wie ihn seine Kräfte verließen. Dabei sollte er seine Arme doch jeden Tag, den ganzen Tag in die Höhe strecken. Er versuchte es wieder und wieder und wieder. Tag für Tag für Tag. Woche für Woche, aber es wollte einfach nicht klappen. Dabei wurde der kleine Farn immer schwächer, weil er seine ganze Kraft auf das Heben seiner Arme konzentrierte.
Flinkefix, die Wühlmaus, konnte es bald nicht mehr mit ansehen, wie sich sein bester Freund, der Farn quälte. Eines Tages war er mit seiner Geduld am Ende. „Hör auf!“ rief er. „merkst Du denn nicht, daß Dich diese Quälerei kaputt macht? Sieh nur Deine Blätter an, sie sind ja schon ganz braun an den Spitzen!“ Mit kleinen Kullertränen in seinen Mäuseaugen griff Flinkefix nach einem der braunen Blätter. „Dabei warst Du doch immer so stolz, weil Deine die grünsten Blätter im ganzen Umkreis waren!“ schluchzte er. Hätte der Farn weinen können, hätte er es sicher getan. Er war so sehr damit beschäftigt gewesen, seine Arme zu heben, daß er nicht gemerkt hatte, wie schlecht es ihm inzwischen ging. Erst sein bester Freund mußte ihn darauf Aufmerksam machen. „Ach Flinkefix“, sagte der Farn traurig. „es hat keinen Sinn. Ich werde nie groß und mächtig, und ich werde auch nie etwas anderes sehen als die Stämme der Kiefern und ihre abgefallenen Nadeln.“ Nach diesen Worten ließ er traurig seine müden, kraftlosen Arme hängen. Der Farn hatte die Hoffnung aufgegeben. Tagelang konnte der arme Farn kein Wasser trinken, weil seine Wurzeln vor Traurigkeit ganz verstopft waren. So wurde der Farn immer kraftloser und seine Blätter immer brauner. Flinkefix hatte die Hoffnung schon aufgegeben, seinen Freund jemals wieder glücklich, heiter und grün zu sehen. Ja, er glaubte sogar, sein Freund würde vor Kummer ganz eingehen. Bis eines Tages der Junge kam.
Der Junge hieß Jochen und war 9 Jahre alt. Jochen ging wegen einer Hausaufgabe in den Wald. Alle Kinder seiner Klasse hatten den Auftrag bekommen, Blätter und Blumen zu sammeln, die in der Nähe ihres Hauses wachsen. Und da Jochen vor 4 Wochen mit seinen Eltern in das Forsthaus gezogen war, ging er in den Wald. Sein Vater war Forstaufseher und hatte hier neue Arbeit bekommen. Seit dem Umzug war Jochen viel alleine – sein Vater mußte das neue Revier kennenlernen und seine Mutter hatte viel im neuen Haus zu tun. Aber das Alleinsein machte Jochen nicht viel aus, er war ein aufgeweckter Junge, der immer ein neues Abenteuer fand, das ihn beschäftigte. Und gerade im Wald kann ein Junge viele Abenteuer erleben.
Der Farn versuchte ganz still zu sein und unauffällig zu wirken. Er kannte den Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen noch nicht. Er wußte nur, daß da ein Mensch auf ihn zukam. Der einzige Mensch, den der Farn bisher gesehen hatte, war der alte Förster gewesen und der hatte manchmal abgestorbene Pflanzen aus dem Boden gerupft. Der Farn war noch nicht abgestorben aber er sah nicht mehr sehr gut aus. Und so versuchte sich der Farn ganz klein zu machen, damit ihn der Mensch nicht bemerken würde. Der kleine Mensch kam trotzdem auf ihn zu und da spürte der kleine Farn, daß dieser Mensch anders war als der alte Förster. Er roch anders, bewegte sich anders und seine Augen leuchteten die ganze Zeit. Als der Junge den fast verdorrten Farn entdeckte, wurde er ganz traurig. Er kniete sich neben den Farn. „Du warst bestimmt mal schön kräftig und grün. Ich möchte wissen, was mit Dir passiert ist.“ Der Junge hatte schon oft mit Pflanzen gesprochen, aber nur, wenn niemand dabei war. Er hätte sich fürchterlich geschämt, besonders wenn ihm ein Erwachsener dabei zugehört hätte. Dem Farn war es allerdings noch nie passiert, daß ihn ein Mensch angesprochen hatte. Er kannte ja auch nur den alten Förster, der nie auf die Idee gekommen wäre, mit Pflanzen zu reden. Der Farn war unentschlossen was er tun sollte. Aber er nahm sich fest vor, nicht mit dem Jungen zu reden. Doch da sagte der Junge: „Wenn ich wüßte, wie ich Dir helfen kann, würde ich es tun. Schade, daß Du nicht reden kannst.“ – „Kann ich wohl!“ sagte der Farn. Erschrocken sprang der Junge zurück und landete auf seinem Hintern. „Hast Du wirklich gerade mit mir gesprochen?“ fragte der Junge erstaunt. „Klar“, sagte der Farn, für den es ganz normal war, zu reden. „Kanns Du mir wirklich helfen?“ fragte der Farn vorsichtig. Leise begann sich wieder Hoffnung bei ihm zu regen. Wenn ihm jemand helfen konnte, dann doch bestimmt ein Mensch. „Ich werde es versuchen“, sagte der Junge. „kannst Du mir denn sagen, warum es Dir so schlecht geht? Eigentlich ist das doch ein guter Platz, an dem Du wächst.“ – „Ja, früher ging es mir auch gut“, sagte der Farn und dann erzählte er dem Jungen, seine Geschichte und daß er seine ganze Kraft bei dem Versuch, wie eine Kiefer zu werden, verbraucht hatte. Der Junge, der ja der Sohn eines Försters war, hatte schon eine Idee, wie er dem Farn helfen könnte. Vorher wollte er aber noch etwas wissen: „Sag´ mal, wie heißt Du eigentlich?“ – „Farn“, sagte der Farn. „Hast Du denn keinen richtigen Namen?“ fragte der Junge. „Wiso“, sagte der Farn erstaunt. „Farn ist doch ein richtiger Name!“ Der Junge schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er dann. „das ist ja, als würde ich Mensch heißen. Ich bin zwar ein Mensch, heiße aber Jochen. Ein Name ist doch dazu da, daß man sich von anderen unterscheidet, wenn aber Dein Name Farn ist, unterscheidest Du Dich damit ja nicht von anderen Farnen. Das geht nicht, Du brauchst einen Namen!“ Der Farn dachte angestrengt nach. „Ach“, sagte er dann. „ich weiß keinen Namen, ich kenne ja nur diesen Wald. Wenn Du mir wirklich helfen willst, dann fang doch damit an, daß Du einen Namen für mich suchst!“ – „Gut“, sagte Jochen. „ich gehe jetzt nach Hause um etwas Werkzeug zu holen und wenn ich wieder komme, habe ich vielleicht auch einen Namen für Dich dabei.“ Nach diesen Worten lief der Junge wie der Wind nach Hause. Seine Hausaufgabe hatte er ganz vergessen.
Als Jochen mit einer Schaufel und einem kleinen Sack wieder kam, lachte er über das ganze Gesicht. Schon von Weitem rief er dem Farn zu: „Ich habe einen Namen für Dich!“ Der Farn mußte sich aber noch etwas gedulden, denn Jochen war den ganzen Weg von Zuhause aus gerannt, weil er wissen wollte, wie der Farn seinen neuen Namen finden würde – und jetzt war der Junge total aus der Puste, so daß er nicht sprechen konnte. So ließ er sich erst einmal auf den weichen Waldboden fallen und versuchte zu Atem zu kommen. Der Farn wartete unterdessen so geduldig er nur konnte. Drängen hätte nichts genützt, er sah ja, wie der Junge nach Luft schnappte. Jochen hatte sich aber schnell wieder gefangen. „Weißt Du“, sagte er zu dem Farn. „bei Deinem Namen dachte ich daran, daß Du groß und stark sein möchtest“, – „Stark bin ich“, unterbrach ihn der Farn. „jetzt möchte ich noch groß werden!“ – „Auf jeden Fall“, fuhr Jochen fort. „fiel mir dabei nur ein Name ein...“ Jochen machte eine Pause um die Spannung noch zu erhöhen. Hätte der Farn Füße gehabt, wäre er sich vor Aufregung umhergetippelt. Jochen spürte, daß er die Spannung genug gesteigert hate und rief: „Herkules!“ Und weil der Farn nichts dazu sagte, fragte Jochen ihn: „Na sag` schon, wie findest Du ihn?“ – „Wer oder was ist denn ein Herkules?“ fragte der Farn vorsichtig. „Ach“, sagte Jochen und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „daran habe ich ja gar nicht gedacht. Wie solltest Du denn wissen, wer Herkules war!“ Jochen setzte sich gemütlich neben den Farn auf den Boden und fing an zu erzählen: „Da gab es mal vor ein paar Jundert Jahren – glaube ich – ein Volk, das nannte sich Griechen; ist ja klar, die lebten ja auch in Griechenland. Also, Griechen gibt es auch heute noch, aber damals da waren die ganz anders drauf. Die Griechen damals glaubten, daß für jedes Glück oder Unglück, das ihnen passierte, ein Gott verantwortlich war. Nicht der Gott, den wir kennen, sondern viele verschiedene. Die Götter sahen meistens wie Menschen aus, waren aber unsterblich und ließen sich auch nie mit den Menschen ein – mit einer Ausnahme: Zeus, der Göttervater – also der höchste aller Götter – hatte mal eine Menschenfrau zur Frau. Die brachte dann einen Sohn zur Welt, Herkules.“ Jochen sah den Farn bedeutungsvoll an. „Herkules war halb Mensch, halb Gott. Er sah gut aus, war gerecht, richtig mutig und unheimlich stark.“ – „Mutig und stark“, wiederholte der Farn leise. „Herkules, mutig und stark“, sagte er wieder, dann rief er: „Ja, Herkules, das soll mein Name sein!“ – „Hallo Herkules“, sagte Jochen und dann lachten die beiden so laut, daß es bis in die Spitzen der Kiefern zu hören war.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.12.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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