Julia-Sarina Schmauder

Nachtgedanken

Lehn dich zurück und entspann dich, mach es dir bequem. Versuche für ein Weilchen all deine Gedanken in die hinterste Ecke deines Kopfes zu sperren und dich nur von deinem Gehör leiten zu lassen. Glaube mir, es wird dich in eine Welt führen, die du vorher noch nicht gekannt hast. Unglaublich, meinst du? Warte es ab, du wiest schon sehen.
Sitzt du nun angenehm? Komm schenk dir ein wenig Wein ein, mein treuer Freund und Zuhörer, Rotwein wäre perfekt. Es wird eine lange Nacht werden. Hast du alle Türen und Fenster verriegelt? Sind die Vorhänge zugezogen und bist du dir sicher, alleine zu sein? Ist das Haus still und sind alle zu Bett gegangen? Niemand, der uns belauschen könnte, keine ungewollten Zuhörer?
Gut. Hervorragend, denn dies, was ich dir erzählen möchte, ist nur für deine Ohren bestimmt. Warum ich es gerade dir erzähle? Kannst du dir das denn nicht denken? Du, dessen Gedankengänge den meinen so sehr gleichen, der tief in seinem Innern weiß, was ihn erwarten wird, und dennoch nicht davor zurückschreckt?
Natürlich, versuchst du dich hinter einer Maske aus gespielter Furcht und theatralischem Entsetzten zu verstecken; nicht weil du es willst, sondern weil du weißt, dass es von dir erwartet wird. Schon gut, ich nehme es dir nicht übel. Ich verstehe deine missliche Lage, ist sie der meinen doch gar nicht so unähnlich. Die Gesellschaft, in der du lebst, hat dir beigebracht vor solchen wie mir, meiner Art und Weise, zurückzuschrecken, sie haben dir eingeflößt, als wäre es eine ekelerregende, bittere Medizin, es wäre nicht recht. Aber ich weiß, dass es nicht mit deiner eigenen, persönlichen Meinung übereinstimmt. Und ich muss dich auch gar nicht erst fragen, um mir selbst zu bestätigen, dass ich recht habe. Und du weißt, wovon ich spreche, mein Freund.
Aber egal, was du auch tust, was du auch sagst, ich weiß, dass es nicht der Wahrheit entspricht, mein Lieber. Gib es doch zu: In Wirklichkeit sehnst du dich doch danach, das Verlangen in dir brennt stärker, als die Feuer der Hölle und jeder Zentimeter deines Körpers wünscht es sich. Ich weiß es. Mir ging es auch einst so.
Die Nacht fasziniert dich, nicht war? Es gibt nichts schöneres, als sich völlig dieser Dunkelheit zu überlassen, sich in ihre schützenden Arme zu geben. Sie ist wie ein Mutter, die dich hält und an ihren Busen drückt. Man fühlt sich sicher und geborgen. Hab ich nicht recht, dass es das ist, was in deiner Seele brennt? Das Verlangen nach dem Verbotenem, der Wunsch dem nahe zu sein, was du am meisten verabscheust? Wie schon gesagt, ich verstehe dich.
Nein, nein, bleib sitzen und spring nicht auf. Schenk dir noch etwas Wein ein; er wird deinen Geist umnebeln und deine Sinne verrück spielen lassen – aber noch nicht jetzt. Wie werden noch einiges an Zeit haben um zu plaudern.
Du kennst dieses Gefühl, dass dich etwas zu rufen scheint, sobald die Sonne untergeht und der Mond seine Herrschaft über die Welt antritt. Es ist einer unsichtbaren Macht gleich zu tun, denn du weißt nicht woher sie kommt oder wohin sie dich leiten will, aber sie ist da und du wünscht dir, ihr zu folgen; und sollte sie dich auch ins Verderben führen. Du fühlst dich ihr tief in deinem Herzen verbunden, als wäre ein Faden zwischen euch gespannt, und sie hat die Macht über dich.
Es ist ein schönes Gefühl ein Rebell zu sein, nicht wahr? Sich gegen alles und jenen aufzulehnen, gegen deine Erziehung, gegen die Werte und Gepflogenheiten der Gesellschaft. Ist die Welt nicht auch viel zu engstirnig? Beurteil sie nicht alles nach der Oberfläche, Menschen nach ihrem Äußeren und ihren Taten? Es lohnt sich nicht, sich darüber aufzuregen, denn man kann daran nichts ändern, mein Freund. Ja, ich weiß, du bist zornig darüber, aber es liegt nun einmal nicht in unserer Hand die Menschen eines besseren zu belehren.
Diejenigen hingegen, die die Nacht lieben und sich ihr tief verpflichtet fühlen, diejenigen sind anders. So wie du und ich. Die Nacht ist nun einmal etwas anderes. Das, was andere erschrecken mag, fasziniert uns.
Aber sie vermittelt dir den Glauben, dass du auf etwas wartest, was du nicht bekommen kannst, richtig? Wenn du die Wahrheit wissen willst, so kannst du es auch nicht bekommen, denn das Licht und der Tag, dieser ekelhaft helle Tag, haben noch immer die Oberhand über dich.
Du willst wissen, wie du dich seiner Gewalt entziehen kannst? Oh, dann bekommt meine Geschichte aber eine andere Wendung! Möchtest du dem Drängen deiner Seele nachgeben und ihr geben, wonach sie verlangt? Du wirst deinen Kopf verlieren, wenn du das tust, das ist dir hoffentlich klar. Denn, um das zu erreichen, wonach es dich sehnt, muss an dir eine Änderung vorgenommen werden, die dein ganzes Selbst auslöscht und ein neues erschafft. Du bist dann nicht mehr der, den du kanntest und glaubtest zu kennen. Du willst dich also in dem Meer der Einsamkeit ertränken, denn die Nacht ist ein ruhiger Ort. Egal was in einer Nacht auch passiert, die Dunkelheit selber bleibt stets ruhig und besonnen.
Du kannst nicht mehr warten? Du erkennst dich selbst in dem, was ich sage? Das habe ich mir gedacht. Also hatte ich recht, dass all deine Zweifel und Ängste nur eine alberne Scharade waren. Schön, dass du jetzt dein wahres Wesen zeigst. Aber du musst dich gedulden, mein Freund, denn wer weiß, ob du auch das bekommen wirst, was du willst.
Du bietest mir dein Leben an? Das ist mir nichts wert. Wenn ich es haben will, werde ich es mir nehmen. Die Sache ist viel komplizierter als du denkst. Man muss sich in den Abgrund stürzen, in die Finsternis, ehe man überhaupt die Hoffung haben kann, der Königin aller Königinnen nah zu sein. Die Königin, deren Name Nacht ist, ist verführerischer als jede Frau, und anziehender als jeder Wein, und sei er noch so gut.
Viele können sie nicht spüren, die Anziehungskraft der Dunkelheit, doch manche, solche wie du, die sind ihr voll und ganz verfallen. Aber das ist auch gut so, verstehst du? Denn, was wäre, wenn es jeder fühlen könnte, so wie wir es fühlen? Wo wäre dann der Reiz? Ja, ich weiß, du kannst nicht mehr warten, mein Guter, jedoch steigert das Warten den Genuss, wenn man endlich bekommt was man will. Nur Ruhe, mein Freund, nur Ruhe.
Hast du dir jemals Gedanken darüber gemacht, welch albernen Illusionen sich die Menschheit hingibt? Den Illusionen von Glück und Zufriedenheit, in einer Welt die alles andere als glücklich und zufrieden ist?
Ja? Um ehrlich zu sein, habe ich es auch gar nicht anders erwartet. Doch, mein treuer Freund, weißt du auch, warum sie das tun, warum sie sich selbst betrügen? Nein? Nun, dann werde ich es dir erklären. Sie tun es, weil sie nicht stark genug sind, sich der Wahrheit zu stellen. Das hört sich jetzt vielleicht simpel an – sich der Wahrheit zu stellen - , aber glaube mir, es ist alles andere als einfach. Ein Mensch braucht Freude, um leben zu können, Glück, Liebe und Zufriedenheit, sonst geht er zugrunde. Aber, wie sollte er glücklich sein, wenn er nicht die Augen vor dem Leid der Welt verschließt? Nur, wenn er weg sieht, kann er selbst zufrieden bleiben. Eine dumme Illusion, natürlich, aber so sind sie nun mal, die Menschen. Natürlich gibt es Ausnahmen. Solche wie dich, mein Zuhörer. Aber du stimmst mir doch sicherlich zu, wenn ich sage, dass du der Welt auch nicht ganz wohlgesonnen bist, nicht wahr? Kommen wir der Sache nicht ein Stückchen näher?
Nein, nein, das ist durchaus in Ordnung, handelt es sich doch um eine Welt, die dich gar nicht haben will.
Setzt dich wieder hin, und beruhige dich! Sei nicht so aufgebracht! Du weißt doch, dass es stimmt: Die Welt will so jemanden wie uns gar nicht haben, sie duldet uns nur. Doch uns stört das nicht, hörst du? Es ist doch nur recht, wenn wir unter uns sind. Oh, du wirst schon sehen, mein Freund, wie schön es unter unseres gleichen ist! Du wirst nichts vermissen, rein gar nichts. Nicht einmal das Tageslicht, denn das wirst du fürchten lernen. Die Erinnerungen an die Tage des Lichts, all die hellen Bilder in deinem Kopf, werden mit der Zeit verblassen, und du wirst das, was in dir davon übrig bleibt, nicht mögen. Es wird dir nicht mehr gefallen, was dir dein Gedächtnis zeigt. Und umso mehr, um so mehr du dich von der Welt bei Tage abwendest, wirst du die Nacht mehr zu schätzen lernen. Sie wird dich trösten, egal was für einen Trost du suchst, und sie wird dich beschützen, wie auch immer der Schutz aussehen mag.
Ja, ja, die Nacht ist uns wohlgesonnen, und auch viel hilfreicher und entgegen kommender als der Tag. Ich weiß, dass du mich verstehst.
Du kannst es doch fühlen, nicht wahr? Nein, du brauchst gar nicht zu antworten, ich weiß dass du es fühlen kannst! Du kennst dieses Gefühl der Geborgenheit, sobald die Nacht herein bricht, du weißt, wie es ist, wenn wunderbare Dunkelheit dein Herz erfüllt und deine Seele umnebelt. Es ist ein atemberaubendes Gefühl, und in diesem Moment, in dem die Sonne versingt, weißt du dass es nichts anderes mehr auf der Welt für dich eben kann, als die Nacht. Nichts kann dir mehr Erfüllung geben, als die alles umfassende Finsternis und du genießt es geradezu ihr dienen zu dürfen.
Dafür, für dieses wunderbare Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit, des Schutzes und der Vertrautheit, verlangt sie nichts als ergebungslose Loyalität – nichts weiter. Ist das nicht ein geringer Preis, für das, was sie uns schenkt? Und wie könnten wir sie auch verleugnen, die Finsternis, die in uns wohnt, da wir doch sie fest in ihrem Bann stehen, und eine Befreiung daraus einem Ende gleich kommt?
Nun ja, mein lieber Freund, jeder hat nun mal seine Schwächen, nicht wahr?
Oh, du wirst langsam ungeduldig, treuer Zuhörer, du kannst es nicht mehr erwarten? Und das, obwohl du doch zu anfangs vorgabest, dich zu wehren? Wie du siehst, haben sich meine Worte doch bewahrheitet. Das Drängen deines Herzens wird immer stärker und stärker? Oh, wie gut ich mich noch daran erinnere! Es ist einzigartig, oder? Es gibt nichts, das du dir jemals sehnlichster gewünscht hast ...aber das hatten wir bereits.
Du wirst sehen, es ist die Macht der Jahrhunderte, die du in dir aufnehmen wirst, du wirst sie aufsaugen, wie ein Schwamm, glaube mir. Und mit jedem Jahrhundert, jeder Epoche, wird diese Macht stärker, du wirst schon sehen! Du wirst Fähigkeiten erlernen, von denen du jetzt nur träumen kannst und auch solche, für die die Vorstellungskraft deiner Träume nicht einmal mehr ausreicht. Du wirst mächtig sein, oh ja. Aber diese Macht wirst du nur im kleinsten Kreise nutzen, denn du wirst im Verborgenen bleiben wollen, und große Macht, die groß gezeigt wird, kann nicht verborgen bleiben. Und all diese Macht gibt dir die Nacht; die Nacht und die Kraft und Stärke des Blutes, dass durch deine Adern fließt.
Blut spielt sowieso eine große Rolle, mein Wertester. Es ist der Innbegriff des Lebens, wenn nicht sogar das Leben selbst. Ohne Blut geht gar nichts, wir währen verloren und schwach. Du willst doch nicht schwach sein, oder? Nein? Gut, ich auch nicht. Schön, dass wir uns einig sind. Das beweißt wieder einmal, wie ähnlich sich unsere Gedanken sind.
Nun gut, wollen wir zur Tat schreiten, mein guter, treuer Freund? Möchtest du dich ganz der Nacht überlassen, nach ihren Regeln spielen? Willst du sterben, um zu leben? Ja? Wie wunderbar! Du wirst sehen, du wirst es nicht bereuen! Die Welt wird voller neuer Möglichkeiten sein. Du wirst alles aus ganz anderen Augen sehen. Wart es nur ab!
Dann also gut, komm her, und mach dich bereit für den Biss ...

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