Brigitta Firmenich

Zwiebelwein

Katrin liegt mit dem Kopf auf dem Tisch und schnarcht leise. Die Vorbereitungen für die Silberhochzeitsfeier sind anstrengender, als sie gedacht hat. Wie schnell diese fünfundzwanzig Jahre vergangen sind! Es ist ihr, als habe sie Richard erst gestern kennengelernt.

Richard wurde Katrin damals als neuer Arbeitskollege vorgestellt. Vom ersten Moment an fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Bei Gesprächen während der täglichen Mittagspause lernten sie sich immer besser kennen und entdeckten viele gemeinsame Hobbies. Das Reisen stand ganz obenauf, und sie stellten fest, daß für sie beide Frankreich und vor allem Paris die große Liebe war. Als Katrin Richard kurze Zeit später zu einem Abendessen eingelud, wollte sie ihn unbedingt mit einer selbstgemachten “französischen“ Zwiebelsuppe überraschen. Bei ihrem Vorhaben dachte sie aber nicht daran, wie scharf kleine Zwiebeln manchmal sein können und da sie es versäumt hatte, Gemüsezwiebeln einzukaufen, stand sie schniefend und weinend am Küchentisch. Wie würde sie denn nachher aussehen, wenn sie bittere Zwiebeltränen weinen mußte? Das wäre ein schöner Anblick, wenn sie mit roten Karnickelaugen beim Kerzenschein säße. Da wäre doch jede Romantik hin.
Sie entkorkte eine Flasche Wein, schenkte sich ein Glas ein, nahm gemäß einem Geheimrezept ihrer besten Freundin Gudrun einen großen Schluck in den Mund und versuchte krampfhaft, ihn auch im Mund zu behalten. Aber ehe sie richtig nachdenken konnte, war er hinuntergeschluckt. Der Schluck war wohl zu groß gewesen. Sie nahm einen neuen, kleineren Schluck in den Mund und spürte gleich die positive Wirkung. Das herrliche Aroma des Weines stieg über den Gaumen in die Nase, verhinderte sofort das Eindringen des aggressiven Zwiebeldunstes. So hätte sie noch tagelang Zwiebeln schneiden können. Versehentlich schluckte Katrin jedoch ihren Zwiebelaroma-Schutzschluck immer wieder herunter. Der Wein entfaltete seine Wirkung auch in anderer Weise, und so nahm sie den nächsten und den nächsten und wieder einen weiteren Schluck und fühlte sich zunehmend beschwingter. Sie schnippelte und nippelte, und als es an der Haustüre klingelte, war die Zwiebelsuppe immer noch nicht fertig. Aber jedes Herzklopfen, alle störenden Bedenken verflogen dank der Menge an Schutzschlucken und sie empfing den mit einem riesigen Blumenstrauß bewaffneten Richard in völlig aufgekratzter Stimmung.
Lachend erzählte sie ihm die ewige Geschichte einer Zwiebelsuppe, die leider immer noch nicht fertig war, während der Inhalt der Flasche Wein inzwischen bedenklich abgenommen hatte. Kurzentschlossen übernahm Richard die Kochleitung und beteiligte sich begeistert am Schutzprogramm. Die Suppe, die zur Nebensache geworden war, wurde etwas verspätet dann doch noch der Hit des Abends.

Die Blume des Weines sticht ihr noch in der Nase, als sie vom Flaschenklirren erschrickt. Richard kommt gerade mit einigen Flaschen Rheinhessen-Weins in die Küche, um eine Weinprobe zu machen. Während Richard die erste Flasche entkorkt, erzählt sie ihm, was ihr während des Nickerchens wieder eingefallen war und beim selbstgebastelten Wort “Zwiebelwein“ beginnen sie wie die Kinder zu kichern.

Bis heute wissen sie nicht, ob die gute Zwiebelsuppe oder der Wein daran schuld war, daß sie vor fünfundzwanzig Jahren zusammengefunden haben.

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