Roland Spewak

Die kleine Kneipe

Darf ich Sie bitten Platz zu nehmen?

Was sagten Sie? Ja ich sitze jeden Tag hier und sonne mich der frischen, leichten Fröhlichkeit dieses kleinen Kietzes. Der Kaffee schmeckt ausgezeichnet. Ich lausche die lustigen, oder auch manchmal traurigen Geschichten dieser Menschen.

Schauen Sie; gegenüber regiert Erna den letzten Tante Emmaladen der Stadt. Der Polizist an der Kreuzung gehört genau so dazu, wie der ältere Türke mit seiner Gebetsschnur. Den Feierabend genießen die Bewohner hier in dieser kleinen Kneipe bei Bier und hausgemachten Buletten. An der Theke lösen sie ihre großen und kleinen Probleme. Manchmal auch die jener Politiker, welche sich erfolglos in der Regierung damit rumschlagen.

Gestern Abend jedoch wäre diese kleine Welt beinahe im Chaos versunken, wenn da nicht Elmar gerade noch rechtzeitig reingeschaut hätte. Elmar ist Student.

“Ich muss mal ne Kunstpause einlegen“, sagte er eines Tages zu mir. Ich glaube das war vor zehn Jahren.

Ich saß wie jeden Abend hier und sah Erna zu, wie Sie die vollen Obst- und Gemüsekisten mit einer Leichtigkeit in ihren Laden trug, als wären es Daunenkissen. Wilhelm saß schon an der Theke und genoss sein Leben als pensionierter Beamter. Der junge Mann mit der Glatze; sie nennen ihn hier Locke, versuchte erfolglos seine Stütze am Geldspielautomaten zu vermehren. Orje, unser Wirt stellte gerade frisch gebratene Buletten auf die Theke, da sprang die Tür mit einem Knall auf und Kalle stürmte herein. Kalle ist für dieses Gebäude mit seinen zwei Hinterhöfen der Hauswart und nach Feierabend Ernas Lebensgefährte.

“Bier und een Klaren“, fauchte er Orje an.

“Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“, fragte er ihn leicht belustigt. “Der Klare geht aufs Haus.“

“Behörden, Beamte“, wetterte Kalle und wedelte mit seinen kleinen Ärmchen ein amtlich aussehendes Schreiben durch rauchgeschwängerte Luft, als wolle er einen Hornissenschwarm verscheuchen.

“Tja, die Behörden ...“, seufzte Orje mitfühlend. “Welcher Amtsschimmel hat dich diesmal getreten.“

Hastig kippte Kalle, den Korn hinunter und spülte mit Bier nach. “Sind nicht fähig meinen Namen richtig zu schreiben“, gurgelte es hinter dem Bierschaum auf seinen Lippen.

Orje blickte verwundert auf Kalles vor Zorn gerötete Nase, was sich durch die Größe des Hauswarts, und der dazwischen liegenden Theke als äußerst schwierig erwies.

“Dein Name falsch! Ist fast nicht möglich“, spöttelte Orje.

“Wir haben auf dem Amt immer korrekt gearbeitet“, kam es zaghaft vom andern Ende des Tresens.

Ich ahnte Schlimmes. Wilhelm, Kalles Lieblingsfeind, versuchte tapfer seinen Berufsstand zu verteidigen.

“Du fehlst mir heute noch in meiner Raupensammlung“, zischte Kalle.

“Das einzig Bunte an Wilhelm ist seine Krawatte“, pflegte er jedem der es nicht hören wollte, zu sagen.

Kalle stellte sich breitbeinig vor Wilhelm auf und trommelte mit dem rechten Zeigefinger auf die Brust des Pensionärs.

“Ick heiß Schmidt“ und blickte stolz in die Runde, “und wohn in der Ackerstraße 2.“

Alter Portieradel“, fügte er nach einer kleinen Pause feierlich hinzu.

In diesem Augenblick öffnete sich die Kneipentür und Erna, seine Angebetete, betrat das Parkett.

Mit schnellen Schritten, den man dieser Walkür nicht zugetraut hätte, lief sie zu Kalle, riss ihm das Blatt aus der Hand und hielt es Wilhelm unter die Nase.

Wilhelm versuchte diesen vermeintlichen Schandfleck auf seinem Berufsstand reinzuwaschen. “Wir Beamte versehen unseren Dienst immer korrekt“, gab er bekannt. Sein Zeigefinger hob sich mahnend in die Höhe. “Und wenn dein Name falsch auf dem Dokument steht, hast wahrscheinlich ein Formular nicht richtig ausgefüllt.

Kalle überhörte den Einwand und fuhr in seiner Anklagerede fort.

“Schmidt heiße ich“, klang es wie ein Appell in einer Kaserne, “und nicht Schmied.“

Orje stand hilflos hinter der Theke und versuchte mit seinen frisch gebratenen Buletten die Streithähne zu beruhigen. Die Musik versuchte desgleichen und trällerte, so ein Tag so wunderschön wie heute, was in der kleinen Kneipe niemand zu beeindrucken schien.

Und so wogten die Wellen über Sinn und Unsinn der Behörden im Allgemeinen, und welcher Schmidt wohl der einzig Richtige wäre, hin und her.

Vielleicht wäre die Debatte zu Kalles Gunsten ausgegangen, wenn nicht Locke sein Geld verspielt hätte und sich nach einem Opfer für seinen abendlichen Schoppen umschaute.

Leise trat an die Theke, stellte sich schützend hinter Wilhelm und blickte ihm ermutigend seine tätowierten Arme auf seinen seine schmalen Schultern.

“Was habt ihr eigentlich gegen Beamte? Wilhelm trifft keine Schuld“. Verteidigte er seinen auserkorenen Gönner.
“Nischt hilfreichet“, spöttelte Kalle und schaute triumphierend in die Runde.

Wilhelm sah sich über diese unerwartete Verstärkung wieder auf der Siegerstraße und überhörte amtsautoritär Kalles Spott. “Zeigt mir mal dieses Schriftstück“, setzte sich dabei seine alte Nickelbrille auf die Nase.

Den Rest des Abends debattierten sie ergebnislos welchen Buchstaben die Ehre gebührte am Ende Portieradelstitels namens `Schmidt´ zustehen.

Der Stein des Anstoßes, Verzeihung, das Schriftstück lag unterdessen achtlos vor meinem Tische auf dem Boden. Verstohlenen beugte ich meinen Kopf vornüber.

“Karl Schmied, Ackerstraße 9“, prangte deutlich auf dem Briefkopf der Adressat.

Ich überlegte fieberhaft, wie ich diesen Irrtum aufklären konnte, ohne bei Kalles Hausmeisterehre zu verletzen. Da öffnete sich die Tür, und Elmar betrat Vollbart Lokal. Seine alte Pfeife in traut am rechten Mundwinkel, nur gestützt von seinem dunkelgrauen Vollbart. Ein Zeichen, das der wieder mal Pleite war.

Kalle und Wilhelm sah die Stunde ihres Sieges gekommen und stürzten sich für die Geier auf unseren Studenten.

“Bring mein Bier, jedoch meine Rechnung“, eiferte sich Wilhelm, zupfte Elmar am Arm und wollte ihn seine Seite der Theke ziehen. Locke klopfte ihm dabei anerkennend auf die Schultern.

“Einen doppelten für Elmar, auf meinen Deckel“, warf sich Kalle dazwischen. Erna zu Elmar heimlich eine halb volle Schachtel Zigaretten als Schmiergeld zu.

Elmar setzte sich wortlos, legte seine Pfeife auf den Tresen schaute listig auf die Streithähne. Als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, spendierte er sich eine von Wilhelms Zigarre, zündete sie an und blies den Rauch genüsslich in die Runde. Das Schmiergeld steckte er sich in die zerbeulte Jackentasche.

“Elmar“, schmeichelte ihm Kalle, “du bist doch een Studierter“, und erklärte ihm, dass “Schmidt“ ausschließlich ohne “e“ und hinten mit “t“ richtig sei. Alles andere wäre eine Fälschung und eines Hausmeisters nicht würdig.

“Zwei Buletten mit Senf“, sagte Elmar zum Wirt und schaute fragend, wer die wohl bezahlt, in die Runde.

“Geht auf meine Rechnung“, kam es von beiden Seiten wie aus der Pistole geschossen.

Im Lokal war es totenstill, nicht einmal die Musikbox traute sich einen Ton von sich zu geben. Sogar die Skatspieler in der Ecke liesen sich von der Ruhe beeindrucken und legten ihre Karten beiseite. Die gegnerischen Seiten hatten sich zu beiden Seiten des Studenten formiert und harrten des salomonischen Urteils.

“Ich schreibe ...“ Elmar setzte langsam das leere Bierglas auf die Theke und griff in seine Jackentasche.

“Ich schreibe Schmidt immer mit diesem Kugelschreiber.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.01.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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