Rose Blanche

Returned (Auszug)

“Bitte verlass mich nicht, Christine! Ich... ich liebe dich doch! Verlass mich nicht!“
Nach einer fast schlaflosen Nacht, voller Träume und Ängste wachte Christine in ihrem Bett auf. Schlaftrunken rutschte sie aus dem Bett, schlüpfte in ihre Pantoffeln und ging langsam in das Badezimmer. Noch immer halte in ihren Ohren die verzweifelte und hilflose Stimme des jungen Mannes wieder, rief sie und ließ sie erschaudern. Die Tränen der Nacht hatten auf ihren Wangen Spuren hinterlassen und nur schwerlich konnte die junge Frau begreifen, was vergangene Nacht vor sich gegangen war. Tief in der Nacht, es musste so bei um drei Uhr morgens gewesen sein, wollte sie zu Bett gehen, schaltete Laptop und Fernseher aus und war gerade dabei, die Lichter zu löschen, als plötzlich jemand sprach: “Bitte geh noch nicht.“
Christine wandte sich um und sah ihn, Erique, das Phantom der Oper. Sie konnte nur lächeln, plötzlich wusste die junge Frau, warum sie die letzten Tage so aufgeregt gewesen war. Er stand nur da, wie ein ganz normaler Mensch. Keine Lichter, kein Nebel, nichts, nur er. Er trug einen schwarzen Anzug, einen schwarzen Mantel und einen schwarzen Hut. Seine beigefarbene Maske verdeckte sein Gesicht, einzig seine Lippen waren zu erkennen. Mit einer Geste bat er Christine, auf dem Sofa Platz zu nehmen, und sie folgte seinem Wunsch. Er blieb, wo er war, als er sprach: “Ich habe dir Schmerzen bereitet.“
Sie verstand nicht sofort, aber dann erinnerte sich die junge Frau daran, dass sie bis vor wenigen Tagen furchtbare Kopfschmerzen hatte.
“Du warst das?“
Endlich war sie in der Lage, etwas zu sagen und es klang fast normal. Sie selbst wunderte sich, warum ihre Stimme so klar war. Erik nickte nur.
“Ich versuchte den Kontakt den wir einst hatten, wiederherzustellen.“
Ohne nachzudenken, nickte Christine nur. Sie wusste, was er meinte. Schon wollte sie fragen und holte Luft, aber er schüttelte den Kopf.
“Du bist die Frau, die ich einst liebte und noch immer liebe. Das Einzige worum ich Monsieur Leroux bat war, er sollte den Schluss der Geschichte ändern, damit niemand ihr Grab oder unser Geheimnis findet. Und niemand fand sie.“
Christine hörte zu, als er plötzlich aufhörte.
“Ich sollte dir das nicht erzählen. Du sollst es selbst herausfinden. Ich werde dich nun verlassen.“
Die junge Frau sprang auf.
“Nein, bitte bleib, bitte.“, rief sie verzweifelt.
“Ich werde zurückkehren.“
Er kam näher und sie blinzelte, aber er war schon verschwunden.* Wie im Traum, war sie zu Bett gegangen und antwortete auch nicht auf die Fragen ihrer Mutter. Nein, sie wollte nur noch schlafen, versinken in ihre Träume und endlich Erlösung finden. Die Mail von Rose hatte sie aufgewühlt – der Vicomte war hier! Und nun auch noch Erique, der ihr nochmals bestätigte, die junge Sopranistin zu sein, an der er sein Herz verloren hatte und daraus diese tragische Geschichte entstand. Aber was war wirklich geschehen?
Vielleicht hatte dieses Mädchen Rose Blanche eine Ahnung, denn auch sie schien mehr zu wissen, als in Gaston Leroux Roman zu lesen war. Doch ehe sie weiter darüber nach denken konnte, war sie in einen Traum versunken, ein Traum realer als das Leben selbst. Sie rannte einen langen dunklen Gang entlang, erhoffte das rettende Licht bald erblicken zu können. Hinter ihr ein wütender hasserfüllter Aufschrei,
Christine vernahm den Lärm zerstörerischer Wut und gleich darauf eilige Schritte dicht hinter ihr. Sie rannte noch schneller, Angst trieb sie an – entsetzliche Todesangst. Endlich wurde sie von einem Lichtstrahl geblendet und eine Schattengestalt reichte ihr eine Hand. Die junge Frau spürte wie vertraute Wärme von der Person ausging und griff dankbar nach diesem Rettungsanker. Ehe sie sich versah, wiegte die gleichmäßige Bewegung ei-nes Pferdes und der unruhige rasche Herzschlag einer Brust in Sicherheit. Oh dieser Wohlgeruch, der von der Person ausging, er war ihr so vertraut und doch wusste sie nicht woher. Sie schmiegte sich einzig an die vertraute Brust, schloss die Augen und ließ sich entführen, wo immer man sie auch hinbrachte - nur fort von diesem schrecklichen Ort. Doch plötzlich strauchelte das Pferd und der Ritt wurde jäh unterbrochen. Ein leises Fluchen und ein gellender Aufschrei riss Christine aus ihrer Trance und sie erblickte neben sich einen jungen Mann. Sein dunkelblondes Haar war leicht zersaust, die grüngrauen Augen sahen sie leicht ängstlich an und die blassen Lippen bewegten sich stumm. Dann wandte er den Kopf rasch zur Seite, Christine folgte seinem Blick und erschrak. Ihnen war jemand gefolgt – eine in komplett schwarz gehüllte Person sprang von einem Schimmel. Mit herrischem Schritt näherte sie sich rasch den beiden jungen Menschen, streckte eine weiß behandschuhte Hand aus und riss sich gleichzeitig die Kapuze vom Kopf. Darunter wurde eine schwarze Maske sichtbar und die darunter hervorblitzenden Augen lagen fürchterlich auf Christine. Zitternd klammerte sie sich an dem jungen Mann fest.
“Lass mich in Ruhe!“, schrie sie verzweifelt und vergrub ihr Gesicht in den Hemdsärmeln ihres Begleiters.
Verängstigt schluchzte sie auf, bebte am ganzen Körper und wollte nur noch fort. Doch entgegen ihrer Hoffungen verschwand der schwarzmaskierte Mann nicht, sondern stürzte auf die beiden ein, er entriss Christine den jungen Mann und warf diesen von sich. Dann wandte er sich wieder Christine zu, deutlich vernahm man das Knirschen von Zähnen. Zitternd und weinend sah Christine auf, schwieg aber angesichts der bedrohlichen Haltung.
“Wie konntest du mir das nur antun? Ich habe dir vertraut und du hinter gehst mich? Oh mein kleiner Engel, dass war dein größter Fehler. Und dann wolltest du noch mit diesem Laffen de Chasy Mirandeau fliehen? Wie konntest du nur glauben, dass ich das zulassen würde? Nein, Christine, du gehörst mir und wenn du nicht bei mir bleiben willst, so werde ich euch beide denn gar aus machen!“, knurrte der Maskierte grimmig.
“Erique, ich wollte nicht...“, rief Christine entsetzt und heiße Tränen rannen die Wangen herab.
Doch das Phantom wandte sich wieder dem jungen Vicomte zu, der sich mittlerweile wieder aufgerappelt hatte und Christine zur Hilfe eilen wollte.
“Hah, ich ließ Gnade vor Recht ergehen, doch diesmal, mein junger Freund, werden Sie nicht lebend aus dieser Situation fliehen können. Nein, denn diesmal werde ich selbst den Abzug tätigen und Ihnen das Lebenslicht ausblasen!“, lachte Erik fürchterlich auf und zog eine Pistole aus den Falten seines Capes.
Entschlossen richtete er sie auf die Brust Richômes, sah noch einmal zu Christine und wandte sich wieder dem jungen Mann zu.
“Adieu mein lieber Vicomte, mögen Teufelsscharen Sie auf Ihren Weg zur Hölle begleiten!“, sagte das Phantom schaurig und ohne nur eine Minute zu zögern drückte er den Anzug.
Ein markerschütternder Knall durchdrang die Stille, Rauch stieg auf und die Pistole verharrte starr in der weißen Hand. Für einen Augenblick schien die Zeit still zustehen, nichts war zu hören – einzig das Echo des Pistolenschusses verklang in der Ferne. Starr blickte Christine aus weitaufgerissenen Augen Erique an, zitterte und sank schließlich tödlich getroffen zu Boden. Verzweifelt wollte sie Richôme beiseite stoßen, verfehlte ihn aber knapp und warf sich statt seiner in die Kugel. Kälte breitete sich aus und ihre Sinne schwanden. Noch spürte sie die ausbreitende Wärme des Blutes auf ihrer Brust und vernahm schwach den Ruf Richômes wie aus weiter Ferne.
“Bitte verlass mich nicht, Christine! Ich... ich liebe dich doch! Verlass mich nicht!“**

All dass fiel Christine nun wieder ein und ihr rannen die Tränen erneut an den Wangen herab. Als sie das Badezimmer nach wenigen Minuten verließ, zog es sie fast wie magisch zu ihrem Laptop. Kaum hatte sie das Notebook angeschaltet schon flimmerte auf ihrem Bildschirm ein kleiner Briefumschlag auf. Noch immer leicht verwirrt öffnete sie die Mail und las voller Schrecken die Zeilen von Rose Blanche.

~Mlle,
ich muss Ihnen jetzt schreiben und es Ihnen einfach berichten, denn ich kann nicht mehr anders. Kaum habe ich Ihre E-Mail gelesen und überlegte wie ich Ihnen antworten könnte, als sich die kalten Arme des Vicomtes um meinen Körper legten. Er flüsterte mir seltsame Worte in mein Ohr und ich spürte ein unwiderstehliches Verlangen in mir aufsteigen, etwas tief in mir wollte sich erinnern. Ja, er meinte, dass ich meine Erinnerungen wohl unterdrücken würde oder es nicht könnte. Aber an was soll ich mich erinnern? Nun auch wenn es falsch ist, muss ich Ihnen schreiben, was ich weiß.~

Christine erstarrte und in ihrem Magen breitete sich ein flaues Gefühl aus. Sie las die Mail und mit jedem weitern Wort, erblasste sie mehr und mehr. Haargenau beschrieb Rose was Christine in ihrem Traum sah und erlebte – noch immer spürte sie den brennenden Schmerz auf ihrer Brust, den die Kugel hinterlassen hatte. Instinktiv griff sie nach der schmerzenden Stelle und krampfte ihre Hände in den Stoff. Woher wusste Rose dass alles? Wer war dieses Mädchen nur, dass sie selbst den wirklichen Namen des Phantoms und des Vicomtes kannte?! Sie musste diese Rose Blanche persönlich kennenlernen, musste sich selbst ein Bild von diesem Mädchen machen und mehr erfahren. So schrieb sie mit bebenden Fingern eine Antwort und schlug ein Treffen vor, ihr schien es das Beste in dieser Situation. Mit Herzklopfen sah sie auf den Bildschirm und leise flüsterten ihren Lippen jedes Wort und schließlich sandte sie die Mail ab. Wie Rose wohl darauf reagieren würde? Ob sie damit einverstanden war? Ob das Mädchen Christine wohl glauben würde? Angst bemächtigte sich ihre, so dass sie zitternden tief durchatmete und sich eine ihrer dunklen Locken aus dem Gesicht strich, die sich aus dem lose zusammengebundenen Zopf gelöst hatte. Mit etwas wankenden Knien ging sie zurück in das Badezimmer, duschte sich und zog sich anschließend an. Ihre Mutter war bereits außer Haus, so das Christine alleine war und in aller Ruhe frühstücken und sich frisieren, sowie schminken konnte. Zwar war ihr immer noch, als würde die Kugel tief in ihrem Fleisch brennen und der Vicomte ihren Namen rufen, aber es schien immer mehr von ihr abzufallen. Irgendwann vernahm sie die vertraute Stimme, die ihr eine neue Mail ankündigte und so ging die junge Frau zurück zu dem Laptop. Noch einmal atmete sie tief durch und öffnete die Mail.

~ Mlle,
ich bin mit dem morgigen Treffen mehr als einverstanden. Ich empfinde es ebenso als dringliche Angelegenheit, da mich kurz zuvor eine Vision überkam, sie war so lebendig, bekannt und doch so furchteinflössend. Aber ich werde Ihnen gerne alles morgen bei Tisch berichten. Vielleicht können wir uns in der Angelegenheit ergänzen und gemeinsam hinter die Rätsel und Fragen kommen. Ich erwarte sie gegen Mittag am Magdeburger Hauptbahnhof. Für alle Notfälle, gebe ich Ihnen hier meine Handynummer. Das ist die 0174-7751469.
Sollten Sie die Wahrheit sprechen, werden Sie wissen wer ich bin und mich erkennen, denn wir haben eine gemeinsame Vergangenheit.
Bis dato verbleibe ich als Ihre Freundin
Rose Blanche ~

Eisig durchfuhr es Christine, als sie die Worte las, aber sie musste lächeln. Ja, wenn Rose die Wahrheit sprach, so würden sie sich ohne jegliche Hilfsmittel finden und erkennen. Mit geschlossenen Augen lehnte sie sich zurück und legte den Kopf in den Nacken. Morgen würde sich vielleicht ein neues Tor öffnen und ein neues Rätsel wäre zu lösen. Erique bestätigte ihr bereits, dass sie die junge Sopranistin war, doch wer war Rose? Woher wusste sie soviel? War sie nur eine närrische Fanatikerin, die durch Zufall auf Antworten gestoßen war oder steckte mehr dahinter! Morgen würde sich alles zeigen und offenbaren. Zufrieden seufzte Christine auf und richtete sich wieder auf.
“Erique, begleitest du mich morgen zu dem Treffen? Vielleicht kannst du mir dann erklären wer sie ist und war!“, hauchte die junge Frau und lächelte leicht.

* Dies berichtete mir Christine einmal alles.
** Dies war meine wohl erste Vision.

Dies hier ist nur ein Auszug aus meiner Geschichte. Bisher gibt es nur einen Teil, von drei geplanten. Sollte ich den Mut finden, so werde ich diese Story wohl mal einem Verlag vorstellen.Rose Blanche, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.01.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

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75 Tage Donnerstag (Gedichte) von Edith van Blericq-Pfiffer



Der Liebe kann man immer und überall begegnen, auch donnerstags; sie kündigt sich nicht an.

Sie ist von einer auf die andere Sekunde da. Sie kennt weder Gesetze noch Grenzen. Sie stellt augenblicklich alles und jeden auf den Kopf. Alter hat für sie keine Bedeutung. Allerhöchstens die von ihr Getroffenen fühlen sich mitunter in ihre Teenager-Zeit versetzt, verstehen sich selbst am wenigsten und fragen mit einem Kribbeln im Bauch und ziemlich verwirrt: „Warum?“

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