Angela Heise

Die Bonne - Erinnerungen an Afrika

Die Bonne

Die Bonne kommt aus dem Französischem und heißt die „Gute“, also der gute Geist und ist das Hausmädchen. Meine Bonne hieß Philomene und war Senegalesin.
Aber ich sollte vorn anfangen. Der nächste Dienstort meines Mannes hieß Dakar und ist die Hauptstadt des Senegals. Afrika, ich hatte keine Ahnung was auf mich zu kam, nur eine wage Vorstellung und die sichere Erkenntnis, daß die Menschen dort schwarz waren!
Nun also der Senegal. Ich machte mich schlau und erfuhr, dass der Senegal an der Westküste Afrikas liegt und mit 12 Mio Einwohnern eines der großen Länder Westafrikas ist. Ein Jahreseinkommen durchschnittlich von 1.600 DM machte mich stutzig.
Als ich das Terminal des Flughafen verließ hielt ich meine 5 jährige Tochter fest an der Hand. Die Hitze erschlug uns fast und um uns herum herrschte ein Gemisch aus Farben, Geräuschen, Gerüchen und Farben. Der Fahrer brachte uns ins Hotel. Dankbar empfanden wir die Kühle der Klimaanlage und die europäische Ausstattung. Unsere Suite war schön, es war angenehm kühl, sauber und hätte durchaus irgendwo in Deutschland sein können. Am ersten Morgen in Dakar trauten wir uns nach dem Frühstück schon bis zum Hotelpool. Der schwarze Boy, der uns die kalten Getränke brachte war nicht weiter tragisch. Aber ich sollte möglichst schnell ein Haus finden und dazu mußte ich den schützenden Bereich des Hotels verlassen. Der Makler, der mir geschickt wurde war Senegalese. Sehr nett, höflich und er sprach französisch. Himmel, hätte ich dieses Fach in der Schule doch aufmerksamer verfolgt! Mir fielen kaum Worte ein, aber er blieb geduldig. Mehrere Tage verbrachten wir zusammen und versuchten ein Haus zu finden, daß den Ansprüchen und Bedürfnissen, die wir hatten erfüllte. Wir suchten in den Vierteln, die mir von den Kollegen genannt worden waren, aber nichts gefiel mir so richtig. Die Zeit drängte. Der Spediteur hatte uns wissen lassen, daß das Schiff mit unserem Umzugscontainer bald den Hafen von Dakar erreicht haben würde. Der Makler sagte mir, daß er genau das Haus gefunden hätte, daß zu mir passen würde?!?! Wir fuhren nach „point E“ , einem Viertel, das nicht auf meiner Liste stand. Als ich im Wohnzimmer stand wußte ich: das ist es! Den Rest schauten wir uns noch an, aber der Entschluß stand fest. Diese Haus würde für die nächsten Jahre unsere Heimat werden!
Mit dem Vermieter wurde wir rasch einig. Deutsche sind immer gern gesehen als Mieter.
Jetzt stand ich vor der Aufgabe das notwendige Personal zu finden. Ich hatte viele gute Ratschläge bekommen, aber die ganzen jungen Mädchen, die ich mir ansah gefielen mir nicht. Da sagte mir unser Fahrer, daß eine entfernte Verwandte (in Afrika sind alle immer verwandt, wenn sie daraus Vorteile ziehen) langjährige Erfahrung als Bonne habe. Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits so entmutigt, daß ich des Teufels Großmutter eingestellt hätte. Also bat ich ihn mir diese Dame zu schicken. Sie kam und so lernte ich Philomene kennen. Wir verstanden uns sofort. Sie war damals 47 Jahre alt und hatte tatsächlich in vielen Haushalten gearbeitet. Und sie war Katholikin! Ich hätte auch eine Muslima eingestellt, ahne jedoch da schon die Probleme, da die Aufgabe der Bonne auch das Kochen des Essens beinhaltete und bei uns Schweinefleisch und Alkohol nicht auf einer Sperrliste standen. Philomene hatte da keine Probleme. Sie konnte hervorragend, wie sich heraus stellen würde kochen. Als der Container mit den Möbeln ankam bewies sich, daß ich mit meiner Wahl richtig lag. Philomene hatte alles im Griff und unser gemeinsames Leben begann.
Sie kam jeden Morgen kurz vor 7.oo Uhr. Der Boy hatte bereits das frische Brot geholt und Philomene bereitete das Frühstück und das Schulbrot meiner Tochter zu. Nach dem Frühstück fuhr ich meine Tochter zur Schule und dann in den Club. Es reizte mich zwar nicht unbedingt, aber es wurde erwartet, daß ich meinen Tag mit den Damen der Gesellschaft verbrachte. Wenigstens gehörte reiten dazu. Während ich mir anhörte, wer mit wem und warum und meinen täglichen Ausritt hatte putzte meine Bonne, räumte hinter uns her, bereitete das Essen zu, erledigte die notwendigen Einkäufe und die Wäsche.
Ich holte meine Tochter nachmittags von der Schule ab und dann genossen wir daheim den Pool und das Essen, daß unser dienstbarer Geist zu bereitet hatte.
Eines Morgens kam nicht meine Bonne, sondern ihre Tochter Marie. Die Mutter sei krank, käme aber morgen wieder, wurde mir gesagt. Hauptsache, mein Haushalt lief und ich konnte mein Leben genießen.
Am Morgen drauf war meine Philomene wieder da. Sie war blaß und wesentlicher schmaler, als ich sie in Erinnerung hatte. Und sie hatte ein winziges Baby auf den Rücken gebunden! Ihr Sohn! Zum ersten Mal unterhielt ich mich länger und über die Erfordernisse meines Haushaltes hinaus mit ihr. Der kleine Paul war ihr 19. Kind! Und sie hat nur die Kinder gerechnet, die auch lebten. Philomens Mann war daheim. Er fand keine Arbeit, schon lange nicht mehr. Die älteren Kinder waren in Stellung, die beiden großen Söhne lernten. Einer Automechaniker, der andere Schreiner. Darauf war sie sehr stolz. Alle Kinder konnten lesen und schreiben, dank der Missionarschule. Meine Neugierde war geweckt und ich wollte unbedingt die Familie kennenlernen. Eines Tages war es soweit. Meine Bonne weinte, als sie zur Arbeit kam. Der Dorfbrunnen war trocken und sie und ihre Kinder, natürlich nur die Mädchen mußten einige Kilometer laufen um Wasser aus dem nächsten Brunnen zu holen. Ich bat dem Boy mir Kanister zu holen und diese mit Wasser zu füllen. Er tat wie befohlen und lud unseren Wagen voll. Philomene stieg ein und los ging die Fahrt. Wir hatten über eine Stunde Weg vor uns, wie lange brauchte sie wohl mit dem Bus???? Irgendwann mußten wir die Straße verlassen und fuhren über eine Sandpiste weiter. Als wir vor ihrem Haus anhielten lud sie mich stolz ein, ihr Haus zu betreten. Die Mädchen schleppt die Wasserkanister in den Hof und ich betrat mit meiner Bonne das Haus. Ein großen Raum, Fenster ohne Scheiben, aber mit blütenweißen Gardinen. Sie war reich! Ein Kühlschrank und darauf der Fernseher demonstrierten den Reichtum. Der Ehemann erhob sich nicht, als wir kamen, aber immerhin machte er Ton des Fernsehers leiser. Philomene sage etwas in Wolof, dieser herrlich weichen Sprache, die ich nicht verstand und ihre Tochter begab sich sofort an den Herd. Wenig später stand süßer, aromatisch duftender Tee vor mir. Ich hatte mir inzwischen den Raum angesehen. Die Wände waren weiß gekalkt, der Boden gestampfter Lehm, die Einrichtung paßte so überhaupt nicht dort hinein. Die Erklärung bekam ich unaufgefordert beim Tee. Den Kühlschrank und den Fernseher hatten sie vom letzten Abschiedsgeschenk ihrer früheren Arbeitgeber gekauft. Die Möbel stammten von verschiedenen Familien, für die sie und ihre Töchter gearbeitet hatten. Es gab einen 2. Raum in dem kleinen Häuschen. Dort lagen Matratzen auf der Erde. Der Schlafraum der Familie.
Im Hof stand ein kleines gemauertes Gebäude, in dem eine Art Badezimmer war. Eine Dusche, an deren oberen Ende eine Gießkanne befestigt war, ein Waschbecken, auf dessen Rand eine Kanne mit Wasser stand und das dort übliche Plumpsklo. Zur Spülung diente ein Eimer Wasser mit einer großen Holzkelle. Auch hier war alles blitzsauber.
Philomene erzählte mir, das sie ihren Mann geheiratet habe als sie 14 Jahre alt war. Die Väter hatten es so bestimmt. Mit 15 Jahren hat sie ihr erstes Kind bekommen, ein Mädchen. Die Enttäuschung in der Familie sei groß gewesen, denn Frauen sind nichts wert. Ihr Sohn, den sie knapp ein Jahr später bekam starb kurz nach der Geburt, dann kamen hintereinander 3 Mädchen. Alle gesund, aber eben kein Sohn. Ihr Mann beauftragte einen Marabu, einen weisen Mann damit ihr zu helfen, daß se nun endlich einen Sohn bekommen würde. David kam, gesund, kräftig und er lebte. Weitere Söhne und Töchter bekam sie. Eigentlich jedes Jahr ein Kind. Viele starben bei oder kurz nach der Geburt. Ein Sohn starb mit knapp 4 Jahren. Ein Franzose, der sich als Teilnehmer der Rallye sah hat ihn überfahren, liegen lassen und verschwand. Der Kleine hat noch einige Tage gelebt bevor er starb. Und wieder wurde kein Arzt geholt, sondern der Marabu, der aber mit Magie hier nichts ausrichten konnte.
Ich wunderte mich über die Sache mit dem Marabu, denn Philomene und ihre Familie waren getaufte Christen. Danach gefragt sagt sie mir, daß das eine nichts mit dem anderen zu tun habe. Der Marabu sei ja von Gott beauftragt. Aha, dachte ich, so kann man das natürlich auch sehen.
Ich fragte Philomene, wieso sie denn nicht verhüten würde, als sie mir sagte, daß sie die Kinder kaum noch ernähren könnte und das die Schwangerschaft mit dem kleinen Paul sehr schwer gewesen sei. Da schauten mich Philomene und ihr Mann völlig entgeistert an. Jack stand auf und ging in die Nische des Raumes. Dort deutete er auf das Kreuz und das Foto des Papstes. Er sah mich an und teilte mir würdevoll mit, daß die Kirche Verhütung verbieten würde.
Philomene erzählte mir, dass einige Familien, die keine Einnahmen haben ein Kind nach der Geburt verstümmeln. Diese Kinder stehen dann irgendwann an den Strassen der Hauptstadt und betteln die reichen Weissen an. Diese Bettelkinder sind ein fester Bestandteil des Strassenbildes. Sicher war mir aufgefallen, dass sie fast alle verkrüppelt waren, aber ich dachte naiverweise an eine Laune der Natur. Und natürlich geben die mitleidigen Weissen diesen Kindern Geld. Einige Cent nur, aber für die Familien ist das die sichere Existenz. Erschreckend! Wie verzweifelt muss eine Mutter sein, die ihrem Kind ein solches Leben absichtlich zumutet? Erst wenn keiner diesen Kindern mehr etwas geben würde könnte sich da etwas ändern. Aber wer will schuld daran sein, dass diese Kinder verhungern?

Wir waren leider nur ein Jahr in Afrika, doch ich habe immer oft an diese Zeit denken müssen. Wieviele Kinder mag meine Bonne noch bekommen haben? Wieviele davon dürfen leben? Was wird aus diesen Kindern? Welche Perspektiven haben sie für die Zukunft? Vor allem die Mädchen??? Vermutlich werden sie heiraten, als Bonne arbeiten, vielleicht sogar in einem Supermarkt, zahllose Kinder gebären, die teilweise geboren werden ohne eine Chance zu leben.
Und immer wieder klingt es in mir, warm und weich: Jang na Nuya - wie geht`s

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.01.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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