Wilfried Heise

Faust trifft den Teufel beim Fasching

Ich kam gerade vom Joggen nach Hause, als das Telefon klingelte. Kurzatmig stürzte ich zum Apparat und nahm den Hörer ab. „Hallo, Desirée. Wie geht’s dir?“ Ich versuchte, erfreut zu klingen. Warum man seit einigen Wochen nichts von mir gehört hat, wollte sie wissen. „Weil ... ich beruflich ... viel unterwegs war“, redete ich mich heraus. Ob sie mir glaubte? Wie viele feinsinnige Menschen hatte sie ein instinktives Gespür für Wahrheit und Lüge. Und absichtliche Irreführung in Verbindung mit vorsätzlichem Betrug zählte zu den Delikten, für die es keine mildernden Umstände gab. Wenigstens nicht bei ihr. Wechsel bloß das Thema, dachte ich. Lenk sie irgendwie ab. „Wann fliegst du nach London? Schon am Montag. Und was machst du dort?“ Sie sah sich die Kuppelausmalung in der St. Paul’s Cathedral an. „Wie heißt der Maler? James Thornhill? Nie gehört.“ Er war „History painter to the King“ bei George I. Wenn ich das richtig verstanden hatte. „So, 1715 bekam er den Auftrag. Lange her ...“ Ich schwitzte und wollte unter die Dusche. Warum musste sie ausgerechnet jetzt anrufen? Ob wir uns am Wochenende sehen könnten? Natürlich nicht! „Besser am nächsten“, vertröstete ich sie. „Ich brauche jetzt ein paar Tage für mich, um auszuspannen.“ In der Leitung blieb es still. Ich spürte, dass sie enttäuscht war, konnte aber nicht anders. „Nein, mir fehlt nichts. Nur zuviel Stress. Bis bald ...“ Zufrieden mit meiner Vorstellung legte ich auf. Als warmes Wasser über meinen Körper lief, fiel mir der Name des Malers wieder ein. „Thornhill“ hatte sie gesagt. Dornenhügel. Hört sich an wie ein Martyrium ...

Kennen gelernt hatte ich sie beim Fasching. Ende Februar war das gewesen. In einem kleinen Theater-Studio, wo ich einen Pierrot treffen wollte. Doch in all dem Gedränge und Geschiebe hatte ich bald den Überblick verloren und schimpfte mich selbst - da ich keinen Pierrot fand - einen Narren, dass ich hier noch aushielt. Plötzlich entdeckte ich Desirée, die mir der Himmel geschickt haben mochte? Nein, eher die Hölle, denn sie war als Teufel verkleidet: auf dem Kopf eine schwarze Kappe mit aufgenähten Bockshörnern, das Gesicht grell geschminkt, darin rotverschmierte Augen, die aussahen wie zwei schwärende Wunden. Die ganze Gestalt, in einen schwarzen, fast bodenlangen Umhang gehüllt, bot einen schaurig-schönen Anblick. Sich an diesen Teufel heranzumachen, mußte eine Versuchung wert sein.

„Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen, / Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen; / Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel, / Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel - / Dafür ist mir auch alle Freud’ entrissen, / Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen, / Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren, / Die Menschen zu bessern und zu bekehren“, deklamierte ich Goethes „Faust“, als wollte ich ihr freiwillig meine Seele verkaufen. Sie starrte mich an und schwieg. Aus Unverständnis oder stiller Belustigung? Sollte der „Fürst des Wortes“ sich am Ende beugen müssen vor einem gewöhnlichen Geist der Zeit? Ich nahm einen zweiten Anlauf: „Auch hab’ ich weder Gut noch Geld, / Noch Ehr’ und Herrlichkeit der Welt; / Es möchte kein Hund so länger leben! Drum...“ „Sie gehören ins komödiantische Fach“, unterbrach sie mich plötzlich, „im Tragischen geben Sie nur den Hanswurst ab.“ Überrascht, dass das Böse auf einmal sprechen konnte, näherte ich mich ihr wie einer exotischen Pflanze. „Dann bin ich hier ja am richtigen Platz.“ Sie zog die Augenbrauen zusammen. „Warum das?“ „Um Zuflucht zu finden vor der Welt.“ „Beim Fasching? Ich sage ja, Sie sind ein Komödiant.“ „Finden Sie nicht, dass man die Tiefe am besten an der Oberfläche verstecken kann?“ Sie zögerte mit der Antwort. „Müssen wir das hier erörtern?“ „Nein, mit einem Teufel ist das ohnehin nicht möglich ...“

Desirée war Kunsthistorikerin und hatte vor kurzem ihr Examen gemacht. Aufgewachsen im Schoß einer Familie „mit Geld und guten Manieren“, wo Reputation und Repräsentation zwei Seiten einer Medaille waren, hatte sie sich während des Studiums aus der elterlichen Obhut zu befreien versucht. Wenn auch nur in Geiste, wie sie zugab. Sie bewunderte Künstler, die ihre Existenz an Rausch und Schmerz verpfändet hatten, um daraus „das große Werk“ entstehen zu lassen. In deren Biografien suchte sie nach Bezügen oder versteckten Hinweisen, aus denen sie eine Botschaft für sich selbst herauslesen konnte. Ich wusste nicht, ob ich das für eine belächelnswerte Sentimentalität oder einfach einen Anachronismus halten sollte und hatte beschlossen, mir fürs erste nichts dabei zu denken.

Obwohl ich mehr als Sympathie für sie empfand, war unsere Beziehung nach dem Maskenfall nicht recht in Gang gekommen. Nach meiner Kündigung - ich hatte in einem Unternehmen gearbeitet, wo nur Claqueure und Jasager geduldet wurden - hatte ich mich vorzugsweise mit mir selbst beschäftigt, ohne allzu große Bereitschaft zu verspüren, neue soziale Kontakte einzugehen. Vermutlich hätte ich Desirée bald vergessen, hätte ich nicht eines Tages ein Päckchen mit einem Buch darin erhalten. Es hieß „Faust trifft den Teufel beim Fasching“.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Wilfried Heise).
Der Beitrag wurde von Wilfried Heise auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.02.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Wilfried Heise als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Angel, a life between: Ein Leben zwischen zwei Welten von Romy Rinke



Ein verletztes, und schon auf den ersten Blick sonderbar erscheinendes Mädchen wird im Wald gefunden.

In der Klinik, in die man sie bringt, glaubt man nun ihr Leiden lindern zu können und ihre vielen teilweiße sichtbaren, teilweiße noch verborgenen Besonderheiten aufklären zu können. Doch das Martyrium beginnt erst hier...

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Humor" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Wilfried Heise

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Das endlose Rätsel von Wilfried Heise (Liebesgeschichten)
Auf der Suche nach Manieren von Isabel Seifert (Humor)
Word Trade Center von Bea Busch (Satire)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen