Manfred Gries

Lachmuskel Transplantation

Die Türen öffneten sich automatisch während Herr B. auf seinem Taxi liegend die Deckenleuchten betrachtete. Neonlicht huschte an seinen Sehzäpfchen vorbei, versorgte diese mit Umweltinformationen, die daraufhin sofort zu seinem Gehirn gelangten. Etwas abwesend nahm er sie wahr. Was war geschehen?
Herr B. war an einem Punkt seines Lebens angelangt, an dem er etwas vermisste. Etwas Grundsätzliches schien ihm zu fehlen, so bemerkte er jedenfalls an jenem Dienstag, als die Dinge ins Rollen kamen. Der Nachbar hatte wie üblich lächelnd den Mülleimer herausgerollt und ihm einen schönen Tag gewünscht. Und wie üblich hatte Herr B. zwar freundlich aber mit ernstem Gesicht geantwortet: “Wenn das nur gut geht.“ Lange Jahre war es gut gegangen bis zu diesem Dienstag. Da hörte Herr B. sich selbst zu, beobachtete das verhalten besorgte Gesicht des Nachbarn und kam zu dem Schluss, dass es ihm an einem Lächeln fehle. Zurück in der Wohnung, die ihm plötzlich irgendwie steril erschien, suchte er nach dem Telefonbuch und schlug die Seite ´Ärzte´ auf. Er war der festen Überzeugung, dass es nun an der Zeit sei, sich einmal gründlich ´checken´ zu lassen.
Die Türen zur Arztpraxis öffnete er tags darauf eigenhändig und eigenständig nahm er im Wartezimmer Platz. ´Ihre Gesundheit liegt uns am Herzen´ sprang ihm der Titel einer Zeitschrift ins Auge. Er blätterte kurz durch und verharrte auf der Seite mit dem Kreuzworträtsel und den Witzen. Er mochte Witze, konnte sich manchmal kaum eines Lächelns erwehren - und doch hatte er die letzten zwanzig Jahre nicht mehr gelacht. Sein Nachbar, diesmal der im Wartezimmer, hatte ebenfalls die Witze erreicht - in jeder Zeitschrift gibt es so eine Rubrik. Leicht grinsend schaute der freundlich zu Herrn B. herüber, als die Sprechstundenhilfe mit den Worten ´der nächste bitte´ Herrn B.´s Gedanken abrupt unterbrach. Er erhob sich und folgte dem entzückenden Wesen verbittert in den Untersuchungsraum. “Machen Sie sich schon einmal frei“ - die Aufforderung prallte mehrdeutig in seine Gegenwart. Er entschied sich für das Ablegen seiner Kleidung, hatte dies gerade in die Tat umgesetzt, als auch schon der Herr Doktor den Raum betrat.
“Haben Sie irgendwelche Beschwerden?“ begann dieser die Untersuchung. “Nein, weh tut nichts, aber wenn etwas weh täte - ich würde es nicht wahrnehmen.“ Herr B. wunderte sich selbst über seine Aussage. Der Doktor führte die üblichen Untersuchungen durch und kam sehr bald zu dem Schluss, dass Herr B. kerngesund sei. “Allerdings“, so meinte er, “allerdings stimmt da etwas mit ihren Lachmuskeln nicht. Das ist nicht wirklich besorgniserregend. Aber sicherlich auch nicht angenehm. Mit diesen Lachmuskeln werden Sie sicherlich keine Wohltat für Ihre Umgebung sein.“ Herr B. zuckte zusammen. Der Nachbar rollte auf seinem Mülleimer sitzend durch seine Gedanken und die Witze der Zeitschriften tanzten vor seinen Augen. “Herr Doktor, bitte helfen Sie mir.“ Fast flehend klang seine Stimme im sauberen Steril des Untersuchungszimmers. Der Doktor kramte ein Prospekt aus dem Schreibtisch nebenan und Herr B. richtete sich auf. Beide begannen nebeneinander sitzend die verschiedenen Lachmuskeln in dem kleinen Heftchen zu betrachten. Da gab es Schmunzel-, Gelächter- und Lachlachmuskeln, jeweils mit feinen Unterschieden. “Heute ist das kein Problem mehr“, ließ sich der Doktor vernehmen. “Die Operation ist vollkommen ungefährlich und kann ambulant durchgeführt werden. Wir müssen nur einen geeigneten Spender finden. Das kann ein paar Wochen dauern. Billig allerdings ist es nicht und die Krankenkasse wird da nichts hinzugeben.“ Herr B.´s Augen suchten konzentriert nach den ihm angenehmen Lachmuskeln - Geld spielte für ihn keine Rolle.
Eine große Rolle allerdings spielte das Geld im Leben von Herrn B´s Nachbarn. Dieser hatte Schulden, lebte am Existenzminimum und wünschte sich so sehr einmal einen Partner zum Essen ausführen zu können. Der Nachbar lebte seit Jahren allein und zurückgezogen. Sein ganzer Reichtum war das Lächeln auf seinem Gesicht, mit dem er den Menschen in seiner Umgebung den Tag erhellte. Und genau für dessen Lachmuskeln entschied sich Herr B. nach einer Weile des Suchens. Schnell wurde der Spender aus der Kartei identifiziert, informiert und finanziell abgefunden. Das Geld erhielt man bei derlei Geschäften im Voraus, sodass genügend Zeit blieb sich als vollständiger Mensch bei einem Abendessen zu präsentieren.

Es klingelte an Herrn B.´s Tür. Überrascht schaute der seinem Nachbarn in die Augen, sah den Strauss Blumen und sog die Einladung zum Abendessen in sich auf. Wie oft hatte er an den Tagen der Müllabfuhrtermine versucht, diesen durch ein kleines Lächeln zu gewinnen. Wohlig warm war es ihm immer gewesen, wenn er das Lächeln des Nachbarn in seinen Augen spürte. “Komm doch herein“, forderte er ihn auf. Nachdem die Blumen mit Wasser versorgt und der Nachbar auf dem Sofa Platz genommen hatte, begann jenes Gespräch, dass für beide lange Zeit die schönste Erinnerung bleiben sollte. Herr B. begleite jedes seiner Worte mit ernstem Gesichtsausdruck und der Nachbar füllte die Atmosphäre mit seinem Lächeln. Auf einmal war alles in Ordnung. Die beiden schienen sich zu ergänzen auf wundersame Weise. Schnell eroberten ihre Herzen einander und nahmen die letzten zwanzig Jahre des Nebeneinanderher im Sturm. Als sie morgens nebeneinander erwachten, war es Zeit für die Transplantation. Der Doktor hatte sich schon einen neuen BMW gekauft, der mit seinem Anteil am bevorstehenden Geschäft finanziert war. Freundlich erwartete er die beiden Liebenden in seiner Praxis, die frisch rasiert den Untersuchungsraum betraten. Gelassen überreichte Herr B. dem Arzt ein Papier, dass von beiden unterschrieben war, dem Spender und dem Empfänger der Lachmuskeln. Der Herr Doktor las die mit Kugelschreiber geschriebenen Worte etwas unkonzentriert. Da war von nicht mehr notwendiger Transplantation die Rede, von Rückzahlung der ausgezahlten Spendersumme. Kein Lächeln schmückte das Gesicht des Herrn Doktors für eine Weile, bis er auf das Wort BMW stieß. Dort erhellten sich seine Gesichtszüge wieder. Die Abstandssumme, die Herr B. bereit zu zahlen war, betrug genau den Kaufpreis seines neuen BMW´s. An alles hatten die beiden gedacht in ihrem Glück. Der Nachbar schenkte der Praxisangestellten beim Verlassen ein Lächeln, das von zwei Herzen kam. Zwei Herzen, die untransplantiert miteinander schlugen im Takt der Schöpfung, die für alles eine Lösung hat, wenn die Zeit gekommen ist.
Die Neonlichter huschten aus seinem Traum heraus in die Wirklichkeit des beginnenden Morgens. Herr B. fasste sich ein Herz und ging zum Nachbarn hinüber.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.02.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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