Joana Angelides

Der alte Fischer

Der Morgen ist langsam aufgestiegen aus dem Meer. Zuerst war es nur ein Silberstreif am Horizont. Dann wurden die Schatten schärfer und man konnte zwischen den einzelnen Häusern die Lichtstrahlen mit den Augen einfangen.
Vereinzelt krähte ein Hahn, es wurden einige Fenster, die Türen und Läden der Geschäfte geöffnet. Das Dorf erwachte.

Das Geräusch des herankommenden Fischkarrens war im ganzen Dorf zu hören. Der alte Manolis ging neben seinem Esel, den breitkrempeligen Hut tief ins Gesicht gezogen, über den Platz vom Gemeindeamt zur Kirche und pries mit lauter Stimme seine Fische an. Diese lagen fein säuberlich nebeneinander auf den Eisstücken und wurden außerdem immer wieder mit Wasser übergossen, um frisch zu bleiben. Die Waage hing an einem am Wagen befestigten Galgen in der Luft und schaukelte im Wind. Es war einer jene Waagen, die man in die eine Hand nahm und mit der anderen Hand wurde abgewogen. Niemals war sie genau, einmal schlug sie mehr nach links, einmal mehr nach rechts aus. Aber das störte niemand wirklich.
Nun blieb er stehen um auf Kundschaft zu warten. Die Erste war eine kleine rundlich wirkende Frau aus dem Haus des Bäckers. Sie kam, nur mit Pantoffel an den Füßen, die Kleiderschürze sorgfältig gebunden, mit der Geldbörse in der Hand über den Platz gefegt und begann, die Fische neugierig zu beäugen. Scheinbar gefiel ihr was sie sah. Sie suchte einige kleinere Fische aus, indem sie mit dem Zeigefinger darauf tippte und der alte Mann warf sie auf die Waage und steckte sie dann in eine durchsichtige Plastiktüte, die er zuband. Diese kam dann noch in ein weißes undurchsichtiges Plastiksäckchen. Sie wechselten noch ein paar Worte miteinander während er ihr das Kleingeld herausgab und dann ging die kleine rundliche Frau wieder zum Haus des Bäckers hinüber, das Plastiksäckchen vorsichtig vor sich her tragend.
Inzwischen hatten sich noch einige andere Frauen eingefunden, und auch der Gendarm musterte mit Kennerblick die angebotenen Fische und gab seine Kommentare ab. Alle tauschten mit dem alten Fischer Neuigkeiten aus, er erzählte ihnen vom nahen Nebendorf.
Heute Nacht wurde ein Kind geboren, die Fensterscheibe vom Friseurladen ging zu Bruch. Neuigkeiten verbreiten sich schnell.
Ein reges hin und her begann und nach und nach leerte sich der Behälter mit den Fischen. Auch eine Katze, die neben dem Karren hin und her schlich ergatterte eine kleine Sardine, die während dessen hinunterfiel.
Manoli hatte fast alle seine, an diesem Morgen gefangenen Fische verkauft. Er setzte sich auf den Randstein neben seinen Karren, nahm den Hut vom Kopf und wischte sich mit einem Tuch über die Stirne und noch etwas weiter hinauf, wo einst üppiger Haarwuchs war. Dann setzte er den Hut wieder auf. Neben dem Behälter mit Eis hatte er einen Tonkrug mit Wasser stehen und auch ein kleiner Imbiß, kleine Käsestrudel und Tomaten, waren dort eingepackt.
Langsam erhob er sich und nahm sich etwas von dem vorbereiteten Frühstück und setzte sich wieder.
Es war heute seine letzte Fahrt gewesen. Er schaute mit einem scheuen Blick hinüber auf die andere Seite des Platzes. Dort wird ab morgen ein Geschäft eröffnen, mit blitzender Auslage in Nirosta, einer großen elektronischen Waage die jedes Gramm genau zeigen wird und fließendem Wasser sowie gekacheltem Fußboden. Auch die Kasse ist elektronisch und wird jedesmal im gleichen Tonfall klingeln, wenn sie den Rechnungszettel ausspuckt. Der Besitzer wird die Fische von einer Genossenschaft aus dem Nachbarort kaufen, in der sich die meisten Fischer zusammengeschlossen haben.
Wehmut ergriff ihn und er mußte sich mit dem Tuch über die Augen wischen, scheinbar war im etwas ins Auge gekommen. Er wird sich in sein kleines Häuschen am anderen Ende der Bucht zurückziehen, nur mehr für den Eigenbedarf fischen gehen; oder wenn ihm danach zu Mute war. Denn die Stille, draußen auf den Wellen des Meeres, in Zwiesprache mit Gott, mochte er auf keinen Fall missen.

Er hatte sein bescheidenes Mahl verzerrt, machte noch einen großen Schluck aus seinem Wasserkrug und stand auf.
„Komm,“ sagte er zu dem Esel, „es ist getan, wir gehen in den Stall.“

Und mit langsamen Schritten gingen die beiden die Straße hinauf, an den nun geöffneten Geschäften vorbei. Der Esel kannte den Weg, er hätte dabei schlafen können. Jeder Stein war ihm vertraut.
Da der alte Mann den Hut sehr tief ins Gesicht gedrückt hatte, sah er gar nicht, daß ihm einige zuwinkten und daß manch wehmütiger Blick zu ihm herüber flog.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.03.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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