Andrea Renk

Ich bin auch für dich da

 

 

 

Er saß in der Kirche. Ganz alleine. Schon lange.

 

Das ist DER Ort der Ruhe. Er sitzt in der letzten Bank. Es waren nur zwei andere Frauen da, die wie er betend oder gedankenversunken, oder auch beides, still verharrten.

Hier war nicht mit Lärm und Radau zu rechnen.

 

RUHE!!!!

 

Sein Körper wurde schwer. Es war, als würde er nach unten gezogen. Die Arme, die Beine. Es war fast, als müsse er sich auf die Bank legen. Schlafen können, ausruhen. Er war ja so müde.

Er schaute an sich herunter. Das Bein, dass da an ihm war, dass war nicht seines. Aus Metall und Plastik war es. Und wenn er keine Hose anhatte, dann war das ein Anblick, den er kaum ertragen konnte.

Seinen alten Beruf, er war LKW Fahrer, konnte er nicht mehr ausüben. Dabei war das sein Lebenstraum, seine Erfüllung.

Seinen Truck hatte er gleich verkauft, nach dem Unfall. Er konnte es nicht ertragen, ihn immer wieder vor Augen zu haben und trotzdem zu wissen, dass er nie wieder mit ihm fahren könne. Er fing an zu träumen. Was hatte er nicht alles gesehen von der Welt und erlebt, in der Zeit, in der er mit seinem Truck unterwegs war. Er hatte viele Menschen kennen gelernt. War von den meisten freundlich aufgenommen worden. Hatte viele Freunde in den fernen Ländern, die er immer wieder regelmäßig besuchte. Jetzt wohl nicht mehr.

Er war jetzt schon seit einem halben Jahr nicht mehr mit seinem Truck unterwegs. Zuhause hielt er es nicht mehr aus. Auch wenn ihm das gehen mit der Prothese noch schwer fiel. Er musste raus.

Wenn er spät abends nach Hause kam, dann musste er die wundgelaufen Stellen an seinem Stumpf versorgen. Er hoffte, dass sich irgendwann so was wie Hornhaut bilden würde. Damit das gehen nicht mehr so schmerzte.

Seit dem Unfall nahm er alles nur verschwommen wahr. Es war, als wäre er gar nicht richtig wach. Wie im Halbschlaf eben. Und er traute sich auch gar nicht aufzuwachen. So, wie es jetzt war, konnte er die Situation halbwegs ertragen. Er wusste nicht was geschehen würde, wenn er das Unglaubliche und Unfassbare ganz bewusst zuließe. Er wollte es nicht wissen.

Er konnte sich nicht mehr vorstellen, jemals wieder Freude am Leben zu haben. Jetzt hatte alles keinen Sinn mehr. Er hatte ja auch keine Lebensqualität mehr. Fahren konnte er nicht mehr. Laufen auch nicht richtig. Sport machen ging auch nicht. Er ist jetzt ein Krüppel. Würde den Rest seiner Tage vor sich hindümpeln in diesem tristen, trostlosem Kaff und sich auf sein Ende freuen. Wenn er viel Glück hatte, dann wäre das bald. Kann ja nicht wirklich sinnvoll sein, wenn jemand so dahinleben soll. Das kann sich der Gott da oben ja nicht ernsthaft so vorgestellt haben.

 
Wo er schon mal hier war........

 

Er faltete die Hände zum Gebet........lächerlich kam er sich vor. Der Knallharte, stählerne Kerl von der Landstraße.....er faltete die Hände zum Gebet! Verstohlen sah er sich um. Hatte ihn auch niemand dabei beobachtet? Das war ja schon fast peinlich. Reiß dich zusammen Junge, befahl er sich. Wirst doch nicht gleich zum Weichei werden, nur weil das Schicksal zugeschlagen hat. Das hat schon ganz andere nicht verweichen lassen. Und DICH auch nicht!!!!

 

Er beobachtete die 2 Frauen, die vor ihm in den Bänken saßen. Sie saßen fast regungslos. Die Hände gefaltet und betend. Er würde auch gern beten........aber er war ja ein Mann.

Frauen dürfen das. Manchmal verfluchte er, dass er so war, wie er war. So hart,

so unbarmherzig sich selbst gegenüber. Er schaute sich noch mal um, schaute hinter sich. Da war keiner mehr. Er würde so gerne beten, so richtig, mit zusammengefalteten Händen. Er dachte, dass Gott ihn besser ernst nehmen würde, wenn er die Hände faltete. Dass es einfach inniger wäre. Eben richtig gebetet.

Es wäre ihm doch ein so großes Bedürfnis.

Er kam sich selbst kindisch vor. Er hatte doch noch nie das Bedürfnis gehabt zu beten. Was soll das denn auf einmal? Jetzt würde er wohl völlig durchdrehen. Das kam davon. War ja vorauszusehen.

Er vergewisserte sich noch einmal. Nein es konnte ihn keiner sehen. Oder sollte er sich doch in die Nische da hinten setzen?  Er schimpfte mit sich selber. „ Mach dich doch nicht lächerlich Horst. 50 Jahre lang warst du der Meinung ein Mann zu sein, hast dir nichts vorschreiben lassen. Und jetzt willst du anfangen dich zu verstecken. Du spinnst ja wohl.“

Er legte erst mal die Hände zusammen....kann ja sein, dass es weh tut? Dass es gut tut?

Was ist, wenn es gut tut? Was ist, wenn er auf einmal hinterher bereut, dass er es nicht schon längst getan hat? Was ist, wenn Gott grad keine Zeit für ihn hat? Quatsch, der hat immer Zeit für seine Schäfchen. Das predigen die von der Kirche immer. Woher wissen die das eigentlich?

Wann war er eigentlich das letzte mal in der Kirche? Das war schon ewig her. Das war zur Beerdigung seiner Mutter. Sie ist schon fast 30 Jahre tot. Wie kommt er eigentlich heute hier her?

Stimmt er hatte keinen anderen Platz gefunden um sich hinzusetzen. Sein nicht mehr vorhandenes Bein schmerzte.

Er war müde. Er wollte Ruhe, er wollte beten. Deshalb war er da. Er ist den Weg hierher unbewusst gegangen. Das war ihm schon klar, nur wahrhaben wollte er es nicht.

 
Als seine Mutter gegangen war, damals vor fast 30 Jahren, da hatte er abgeschlossen mit dem lieben Gott. Er hatte ihm die Mutter genommen. Sie war die einzigste, die ihn verstand, die ihn so nahm, wie er war. Und ER hatte sie ihm genommen.

Und doch sitzt er heute nach fast 30 Jahren wieder in der Kirche und möchte beten. Verdammt, warum fiel es ihm nur so schwer. Keine Ahnung wie lange er schon hier saß. Es muss schon eine Weile gewesen sein. Und er haderte immer noch mit sich.

 
So manches ging ihm durch den Kopf, manches was er erlebt hatte. Er hatte „Ihn“ bisher nie gebraucht. Kam immer alleine klar. Er war ja auch ein gestandener Kerl.

Brauchte er ihn eigentlich jetzt?  Warum will er denn gerade jetzt beten? Er kann ihm sein Bein doch auch nicht wieder geben. Aber vielleicht die Zuversicht, neue Lebensfreude, eine Aufgabe, wieder einen Sinn im Leben? Wieder schimpfte er mit sich selbst. Einen fröhlichen Krüppel wohl? Mann Du spinnst Alter. Du wirst senil.

 

Fängt eigentlich jedes Gebet mit „Herr“ oder „lieber Gott“ an? Wäre ja jetzt der Hammer, wenn es an der Anrede scheitert.

Er gab sich einen Schubs. „lieber Gott“ fing er an......er kam sich vor wie ein kleines Kind. Aber er machte weiter.

„Schau mich an, guck wie ich hier sitze, bin ein Krüppel, kann nicht mehr fahren. Kannste mir mal sagen, was du dir dabei gedacht hast? Warum ich? Du weißt doch, wie viel mir das bedeutet. Wenn du es wirklich gut mit mir meinen würdest, dann hättest du das nicht passieren lassen. Ok war vielleicht nicht fair, dass ich dir so abgesagt habe, nach dem Tod meiner Mutter. Aber das wäre ja dann doch nicht auf diese Art nötig gewesen. Ich bin richtig sauer und ich habe kein Bock auf den ganzen Krüppelscheiß. Alle machen einen auf Mitleid, glotzen einem hinterher, diese scheiß Fragerei und diese gejammere. Und vor allem, dass ich nicht mehr fahren kann. Das haste wirklich klasse hinbekommen. Erwartest aber jetzt nicht etwa, dass ich danke sage oder?

 

Ups, das war ja auch kein Beten. Das war meckern. Beten heißt ja um was bitten und nicht meckern. So hatte er es jedenfalls in Erinnerung. Das er „ihn“ jetzt so zusammenstauchte machte bestimmt keinen guten Eindruck. Und vor allem, er jammerte ja selbst. Also das ganze noch mal von vorne. Kann man eigentlich bereits gebetete Gebete wieder „löschen“ Kann ja sein, dass man es besser, anders sagen will. Es klappt ja nicht immer alles beim ersten mal.

 

Er fing noch einmal von vorne an. Diesmal hatte er einen guten Start. Er fing an zu erzählen, was ihn so quälte, von der Angst die er hatte, nicht mehr gebraucht zu werden. Das er zu nichts mehr nütze war, dass er Angst hatte, seine Freunde nicht mehr zu sehen. Dass er Angst vor der Wohnung hatte, vor dem allein sein. Das er manchmal sogar Angst vor sich selbst hatte. Vor seinen Aggressionen. Das er der Schmerzen genug hatte, keinen Arzt mehr sehen konnte. Das er traurig war, dass er weinen würde wenn er könnte.

Und er saß da auf der Kirchenbank. Betete still vor sich hin und weinte. Und er merkte es gar nicht. Er war wie in Trance. Nichts, was um ihn herum passierte, nahm er wahr.

 
Jemand tippte ihm mit dem Finger an.

 

Neben ihm stand ein kleines Mädchen. Schaute ihn an. „Bist du traurig?“ fragte sie. Er konnte gar nichts sagen. Sah das kleine Mädchen nur an. „ Du musst nicht weinen, sagte sie. Es wird alles wieder gut. Ich hab dich gesehen. Hab dem lieben Gott gesagt, dass ich möchte, dass du wieder lachen tust. Weißt du, der macht mich auch immer wieder fröhlich wenn ich mal traurig bin. Und wenn er mich wieder lachen machen kann, dann kann der das bei dir auch.“

 

Das Mädchen ging davon, drehte sich noch einmal um und winkte ihm zu.  Und irgendjemand flüsterte:

 

„Ich bin auch bei dir!“

 

a.r. © 07.02.05

 

 

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Andrea Renk).
Der Beitrag wurde von Andrea Renk auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.02.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Andrea Renk als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Farbpalette des Lebens von Beate Loraine Bauer



Gedichte und Erzählungen rund um die kunterbunte Vielfalt der Lebensbandbreite.
Authentisch und berührend verschiedene Lebensfacetten in bildhafte Worte verpackt.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (6)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Einfach so zum Lesen und Nachdenken" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Andrea Renk

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Über die Gesellschaft von Andrea Renk (Lebensgeschichten & Schicksale)
Regen auf dem Fenster von Eric Beyer (Einfach so zum Lesen und Nachdenken)
Brennende Tränen - Teil II von Sandra Lenz (Liebesgeschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen