Hans Pürstner

Reich ins Heim, 6. Kapitel


Am nächsten Morgen suchte er als erstes das Büro vom Hofrat auf und teilte ihm mit, dass er Herrn Urban vorzuladen beabsichtigte.
„Um Gottes Willen, Herr Kollege, muss das denn unbedingt sein? Ich höre jetzt schon die Vorwürfe von Doktor Stadler, wenn der Urban mal wieder seine Beziehungen hat spielen lassen.“
„Aber Herr Doktor Binder, sie werden sich doch nicht so leicht einschüchtern lassen?“, schmeichelte Pilz seinem Chef. Aber der hatte immer noch Einwände.
„Gehen´s, sie wissen doch, dass die Frau vom Doktor Stadler mit der Gattin vom Urban befreundet ist. Ich glaub, sie spielen einmal in der Woche Tennis beim ATC in Eggenberg. Bei solchen Geschichten haben wir Ehemänner keine Chance, aber das verstehen sie natürlich nicht, Herr Kollege! Sie sind ja schon seit Jahren wieder glücklicher Junggeselle!“ seufzte der Hofrat resigniert, beinahe neidisch.
Stur, wie er einmal war, ließ sich der Oberinspektor aber nicht von seinem Vorhaben abbringen. Er verabschiedete sich schnell, bevor Binder ihm die Sache doch noch ausreden konnte und ging ins Büro, um seiner Schreibkraft die Vorladung zu diktieren.
Da ihm in der Zwischenzeit nichts besseres einfiel, beschloss er, Frau Pröll lieber noch einmal persönlich aufzusuchen, anstatt sie vorzuladen. Zum einen hatte er ja gesehen, wie überlastet sie im Heim war, zum anderen hoffte er auf diese Weise vielleicht gleich noch ein paar Informationen von dem einen oder anderen Bewohner zu bekommen. Er meldete seinen Besuch telefonisch an und fuhr los.
Wieder quälte er sich mit seinem alten Dienstwagen die steile Straße hoch bis zum Eingang.
„Diese Zufahrt haben sie aber auch wirklich blöd gebaut“, brummelte er vor sich hin.
„Wie sollen die alten Hascher denn da spazieren gehen können, wenn der Rückweg gar so steil ist?“
Er öffnete die große Glastür und ging hinein. Direkt an der Tür, hinter der einige Stühle aufgestellt waren, saß eine ausgemergelte alte Dame, in ihrem schönsten Sonntagskleid und mit frisch gelegter Dauerwelle. Erwartungsvoll schaute sie den Ankömmling an, um dann sogleich wieder enttäuscht den Blick abzuwenden, als sie erkannt hatte, dass es ein Fremder war. Pilz grüßte sie freundlich, aber sein Gruß wurde nur mürrisch erwidert.
„Sie dürfen Frau Heinze nicht böse sein!“, hörte er eine Stimme hinter sich sagen, „aber sie wartet sehnsüchtig auf den Besuch ihrer Tochter. Sobald sie dann erkennt, dass es jemand anderes ist, dann reagiert sie eben enttäuscht“
Die Stimme aus dem Hintergrund gehörte Oberschwester Herta, die den konsternierten Oberinspektor diskret zur Seite zog und weiter erzählte
„Es bricht einem manchmal fast das Herz, wenn man sieht, wie die alten Menschen sich auf einen Besuch freuen. Die Tochter von Frau Heinze hat sich schon vor einer Woche für heute avisiert und ihre Mutter wartet bereits seit zwei Stunden auf sie. Aber vor zehn Minuten hat die Tochter angerufen, und nur gesagt, es geht sich nicht aus, heute! “
„Und jetzt traut sich niemand von uns, dies der armen Frau mitzuteilen!“
Der Oberinspektor schüttelte ungläubig den Kopf und schimpfte „Was sind das nur für Menschen?“
„Da könnte ich ihnen Geschichten erzählen!“, meinte Frau Kien.
„Zu Weihnachten oder am Muttertag, da kommen sie alle, mit Bergen von Blumensträußen. Aber das ganze Jahr über lässt sich ansonsten kaum jemand blicken! Wir hatten einmal eine Dame hier, die hat acht Jahre lang nicht ein einziges Mal Besuch gekriegt. Nachdem sie gestorben war, fanden wir in der Kartei die Telefonnummer ihrer Tochter aus Frohnleiten. Nur eine Stunde nach unserem Anruf ist sie vor der Tür zur Frau Pröll gestanden und hat ganz frech gesagt:
Ich möchte die Brosche abholen und den goldenen Ring von meiner Mutter!
„Der hab ich aber was erzählt, so dass sie nachträglich doch noch zu heulen angefangen hat!“
Pilz konnte sich sehr gut vorstellen, wie die Reaktion der resoluten Oberschwester wohl ausgesehen haben dürfte.
„Das ist ja wirklich kaum zu glauben, und dabei bin ich ja eigentlich so manches gewöhnt in meinem Beruf!“
geschickt hatte er den Redeschwall der Frau gestoppt und während er nun endlich in Richtung Büro gehen wollte, um Frau Pröll zu besuchen, rief ihm Herta Kien nach:
„Die Frau Magister ist gerade fortgefahren. Sie hat gesagt, sie muss zum Arzt. Ich weiß auch nicht, was sie hat. Es kam mir schon komisch vor, so überstürzt.“
Verärgert Pilz gab zurück:
„Das versteh ich nicht, ich hab doch extra vorher angerufen und gesagt, dass ich vorbei komm!“
„Ja, die Frau Magister benimmt sich ganz eigenartig, seit dem Unglück mit Frau Eibel. Dabei sterben doch oft Leute bei uns!“
Besonders nahe schien der Tod der alten Dame Herta Kien offenbar nicht zu gehen. Sie schien seine Gedanken zu erraten und erklärte ihm, dass man sich so eine Art Schutzpanzer zulegen müsse, ansonsten würde man kaputt gehen bei all dem Elend. Pilz beruhigte sie mit dem Hinweis, dass es in seinem Beruf ähnlich sei und brummelte missmutig
„Wenn ich schon mal hier bin, dann möcht´ ich wenigstens mit ein paar von den alten Leuten reden, damit ich nicht ganz umsonst gekommen bin!“
Er ließ sich von der Schwester in das Fernsehzimmer führen, wo um diese Zeit lediglich ein paar Leute saßen.
„Ich möchte euch den Herrn Oberinspektor Pilz vorstellen, er führt Ermittlungen durch wegen dem Unfall von Frau Eibel!“, führte sie ihn bei den Anwesenden ein.
„Wieso Unfall, ich hab geglaubt, sie ist ermordet worden?“, meldete sich sogleich eine der Damen, und blickte ihn fragend an
„Sie sind doch Frau Schmidt, die Gattin vom Herrn Kommerzialrat, nicht wahr?“ begrüßte sie Pilz freundlich ohne auf ihre Frage einzugehen
„W e r ist ein Kommerzialrat?“ antwortete sie zerstreut.
Pilz hatte ganz vergessen, dass sie hochgradig dement war, deshalb versuchte er sofort, die Situation zu retten.
„Ich soll sie schön grüßen, von ihrem Mann!“ Aber Frau Schmidt schaute ihn nur verständnislos an und wandte sich wieder ihrem Strickzeug zu.
„Sie dürfen das Adele nicht übel nehmen!“, klärte ihn ein älterer Herr auf „Manchmal hat sie wirklich alles vergessen, aber ab und zu fällt ihr einiges wieder ein. Und dann ist sie todunglücklich, weil ihr bewusst wird, wie krank sie ist.“
„Gestatten sie, dass ich mich vorstelle, mein Name ist Winkler, aber sagen sie ruhig Kapitän zu mir, das machen alle so!“
„Kapitän waren sie?, fragte er mit spöttischem Unterton, „von einem Hilmteich - Ruderboot vielleicht?
Winkler zog beleidigt die Augenbrauen hoch, aber seine Neugier zwang ihn, das Gespräch fortzusetzen.
„Ich bin 20 Jahre lang zur See gefahren, zweimal um das Kap Horn. Zugegeben, ich war nur Matrose. Aber in punkto Seefahrt macht mir keiner was vor!“
„Nichts für ungut, Herr Kapitän, das ist mir so rausgerutscht, ich wollt´ sie wirklich nicht beleidigen!“ Pilz gab sich größte Mühe, den alten Herrn wieder zu beruhigen und fragte ihn danach, ob er vielleicht etwas Wissenswertes zu dem Fall beitragen könne
„Um auf den Fall Eibel zurückzukommen, haben sie denn eine Ahnung, wer etwas gegen die Dame gehabt haben könnte?“
„Na, ja, ich will ja niemand beschuldigen“, gab er zur Antwort, „aber der Adolf war doch ganz verliebt in sie. Seit einigen Wochen ist sie ihm auf einmal aus dem Weg gegangen. Wir haben uns schon alle gewundert, warum.“ Dem Kapitän tat es augenblicklich wieder leid, dass er in seiner Geschwätzigkeit so weit gegangen war und versuchte deshalb sofort, seine Aussagen etwas herunter zu spielen. „Was auch immer es war, deshalb bringt man doch nicht gleich jemanden um, oder?“ meinte er mit fragendem Blick zu seinem Gegenüber.
„Wenn sie wüssten, weswegen manchmal Menschen ermordet werden, sie würden sich wundern!“, seufzte Pilz daraufhin, mit ergebenen Blick nach oben.
Ein flüchtiger Blick aus dem Fenster zeigte ihm, wie aus einem gerade angekommenen Taxi ein älterer Herr stieg. Er erkannte ihn sofort, es war Doktor Henschel, der Heimarzt. Pilz hatte ihn am Morgen der Tat nur kurz gesehen und eigentlich schon länger den Wunsch verspürt, sich mit dem Mann einmal unter vier Augen zu unterhalten. Doch der Doktor strebte eilig dem Aufzug zu, anscheinend gab es einen dringenden Fall in der Pflegestation. Die Oberschwester eilte dem Doktor hinter her und schaffte es gerade noch, mit ihm in den Lift nach oben zu schlüpfen.
Währenddessen setzte Pilz seine Unterhaltung mit den Bewohnern fort, inzwischen war auch noch Dobrila, die Heimköchin, dazugekommen. Sie schien eine patente Frau zu sein, etwas rundlich zwar, die zu einem Dutt gebundenen Haare unter einem weißen Baumwollhäubchen versteckt, eben eine repräsentative Vertreterin der kulinarischen Zunft.
Neugierig fragte sie „Haben sie den Mörder schon gefunden, Herr Polizist?“, und nahm schnell ihre ehedem weiße Schürze ab, als sie den etwas konsternierten Blick von Pilz bemerkte. An diesem Kleidungsstück hätte man eigentlich zumindest die Menüfolge der letzten drei Tage ablesen können.
„Ich hab geglaubt, sie haben so viel zu tun in der Küche?“, mischte sich eine der Bewohnerinnen ein, die interessiert das Gespräch verfolgt hatten. “Aber zum tratschen haben´s anscheinend genug Zeit!“
„Werd´ ich ja wohl noch kleine Pause machen dürfen!“, keifte die Köchin in ihrem slowenischen Akzent zurück.
„Ich hab doch nur a Hetz gemacht, Dobrila“, wiegelte die Dame ab, „Übrigens die Tiroler Knödel waren heute einmalig gut!“, versuchte sie die Köchin mit einer kleinen Schmeichelei zu beruhigen. Aber die war für´s erste eingeschnappt.
„Da koch und koch ich den ganzen Tag, und das ist der Dank dafür. Wenn man sich nur zwei Minuten hinsetzt, heißt es gleich, man keppelt den ganzen Tag!
„Wenn sie schon hier sind, Frau Dobrila“, versuchte Pilz die Situation etwas zu entschärfen „Können sie mir denn vielleicht etwas Interessantes berichten zum Tod von Frau Eibel?“.
„Viel Geld hat sie g´habt, die Frau Eibel, hab ich gehört von Toni, der weiß alles!“
„Sie meinen Anton, den Hausburschen?“
„Missen sie Toni fragen, ich sag´ nix mehr!“ Die Köchin war immer noch sichtlich beleidigt wegen des Vorwurfs, sie rede zu viel.
Pilz erspähte im Hintergrund Doktor Henschel, der schon wieder im Begriff war, zu gehen und verabschiedete sich darum etwas überstürzt von der Gruppe, um ihn noch abzufangen.
„Wir sehen uns bestimmt bald wieder, meine Herrschaften!“, entschuldigte er sich bei den alten Leuten und bedankte sich für das interessante Gespräch.
Kurz vor dem Ausgang holte er den Doktor ein und erkundigte sich, ob er ein paar Minuten Zeit für ihn habe.
„Gehen´s doch einfach mit mir mit bis zu der Straßenbahnhaltestelle. Für die Rückfahrt in meine Praxis wollte ich nicht noch einmal ein Taxi bestellen, vorhin musste es halt schnell gehen. Mein Auto ist nämlich in der Werkstatt. Aber jetzt hab ich mich eh entschlossen, gleich nach Haus zu fahren.“
Die Aussicht auf einen längeren Fußweg war nicht unbedingt nach dem Geschmack von Pilz, da hatte sein Assistent damals schon richtig erkannt. Deshalb meinte er zum Doktor gewandt.
„Ich hätt´ da einen besseren Vorschlag! Ich bring sie mit meinem Dienstwagen nach Haus.“
„Das ist aber nett von ihnen, Herr...ich glaub, Oberinspektor?“, antwortete Doktor Henschel erfreut.
„Richtig, Pilz ist mein Name, ich leite die Untersuchung im Fall Eibel. Ich hab mir gedacht, dass sie mir vielleicht etwas über das Heim erzählen können, sie kommen doch schließlich ziemlich oft hierher. Da müssen sie ja eigentlich wissen, was hier so alles abläuft.“
„Ja, Herr Pilz, da kann ich ihnen schon viel erzählen. Zeit genug haben wir ja, wenn sie mich nach Hause fahren! Ich wohne nämlich in Eggenberg, nur meine Praxis ist ganz in der Nähe vom Heim.“
Vergnügt beobachtete er den erschrockenen Blick des Oberinspektors, als diesem bewusst wurde, auf was er sich mit seinem leichtsinnigen Angebot eingelassen hatte.
„Ist schon in Ordnung, Herr Doktor, so weit weg ist das ja auch wieder nicht, bei der Gelegenheit kann ich auf dem Rückweg meinen Kollegen Baier im Unfallkrankenhaus besuchen. Das schiebe ich sowieso schon seit Tagen hinaus.“
„Na ja, dann nehme ich ihr großzügiges Angebot dankend an. Ich bin ja selbst auch neugierig, ob sich mein seinerzeitiger Verdacht bestätigt hat. Ist Frau Eibel denn nun tatsächlich eines unnatürlichen Todes gestorben?“ Pilz antwortete zögernd, während er seinen alten VW-Käfer langsam und vorsichtig über die steile Zufahrtsstrasse nach unten rollen ließ und nach rechts in die Heinrichstraße einbog, um in Richtung Innenstadt zu fahren.
„Doktor Bruckner ist sich da noch immer nicht ganz sicher, theoretisch könnte sie auch von einem ihrer Medikamente benommen gewesen und dadurch gestürzt sein.“
„Hat der Professor gesagt, um welches Medikament es sich handelt?“, fragte Henschel peinlich berührt ob des Vorwurfs, seine Medikation könne schuld an dem Unfall sein.
„Er möchte sicherheitshalber noch einen weiteren Test machen,“ antwortete Pilz, „Danach kann er uns vielleicht sogar den Namen des Präparats sagen. Er tippt auf Mogadon. Auf jeden Fall soll es sich um den Wirkstoff Nitrazepam handeln, dem in der Fachliteratur wegen seiner langen Wirkungsdauer bei älteren Menschen Sturzgefahr nachgesagt wird.“
„Also ich hab der Patientin meines Wissens nach nur ab und zu Ivadal verschrieben“, antwortete Doktor Henschel trotzig. „Es enthält den Wirkstoff Zolpidem, bei dem die Nebenwirkungen weitaus geringer sind. Bitte behalten sie diese Auskunft vorerst für sich, sie wissen ja, die ärztliche Schweigepflicht!“ fügte er besorgt hinzu.
„Keine Angst, Herr Doktor Henschel, wenn ich nicht schweigen könnte, würde ich ja kaum noch brauchbare Hinweise bekommen. Wenn es aber hart auf hart gehen sollte, werden sie als Zeuge vor Gericht sowieso ihrer Schweigepflicht entbunden!“
Der Dienstwagen fuhr inzwischen an der Uferstraße der Mur entlang bis zur Keplerbrücke, um dann in nördlicher Richtung weiter zum Bahnhof zu fahren.
Oberinspektor Pilz´s Neugier war noch nicht ganz gestillt. Wenn er schon eine halbe Stadtrundfahrt mit dem Doktor veranstalten musste, so wollte er wenigstens noch mehr erfahren und so bohrte er weiter.
„Was haben sie eigentlich für eine Meinung von Frau Kien, die damals Nachtdienst hatte?“
Der Doktor wiegte leise den Kopf und meinte:
„Fachlich hab ich Oberschwester Herta nichts vorzuwerfen, ich arbeite hervorragend mit ihr zusammen. Aber wo sie mich das fragen, fällt mir ein, dass zwischen ihr und Frau Eibel eine besondere Beziehung bestanden haben muss. Wenn sie bei einer meiner Visiten dabei war, hat sie sich im Zimmer von Frau Eibel irgendwie ganz anders verhalten, als bei anderen Patienten. Ich kann auch nicht sagen, was es war. Ich muss noch mal genauer darüber nachdenken.“
„Lassen sie es mich bitte wissen, Doktor, wenn es ihnen einfällt!“, bat der Oberinspektor.
Das Auto hatte inzwischen den Bahnhofgürtel passiert und fuhr über den Eggenberger Gürtel weiter stadtauswärts.
„Ich kenn mich hier nicht so besonders gut aus, sagen sie mir bitte rechtzeitig, wann ich abbiegen muss!“, meinte Pilz und konzentrierte sich jetzt etwas mehr als vorher auf den Straßenverkehr. Nach kurzer Zeit waren sie am Ziel angelangt und er hielt an.
Nachdem sich der Arzt mit verschmitztem Blick bedankt und sich von ihm verabschiedet hatte, fuhr er noch ins nahe gelegene Unfallkrankenhaus und besuchte seinen alten Kollegen Baier.
„Servus, Schwammerl, guat schaust aus!“ begrüßte ihn dieser, hoch erfreut über den unerwarteten Besuch. Er wusste, dass Pilz äußerst ungern Krankenbesuche machte, denn die Atmosphäre in Krankenhäusern behagte ihm ganz und gar nicht.
„Du schaust aber auch schon viel besser aus, als der Mirko erzählt hat!“, gab Pilz das Kompliment zurück. „Schad, dass du nicht im Archiv bist, grad jetzt würde ich wieder deine Hilfe brauchen!“, seufzte er.
„Gott sei Dank bin ich nicht dort, mit dir hab ich sowieso viel zu viel Arbeit jedes Mal“, antwortete Baier. “Aber mein Kollege, der Abteilungsinspektor Holzer, der kann dir doch bestimmt genauso gut weiterhelfen!“
„Na, geh, hör auf! Der Holzer, der is ja schon ganz auf den blöden Computer fixiert. Der will nur auf seiner Tastatur herumtippen und sonst nichts. Aber du hast halt noch dieses fotografische Gedächtnis, dir fallen oft noch wichtige Sachen ein, die so ein Computer nie und nimmer weiß!“
„Ach Schwammerl, wir können die neue Technik eh nicht mehr aufhalten, also sollten wir sie sinnvoll nutzen. So eine Maschine erspart einem halt oft langes Suchen. Du bist und bleibst eben ein altmodischer Mensch!“
„Weißt, Alfons, dann bin ich lieber altmodisch, aber Hauptsache, ich kann in der Früh in den Spiegel schauen, ohne mich zu schämen! Heute zählt sowieso nur mehr die moderne Technik, und nicht der Mensch!
Ich kann mich noch gut an einen Bericht im Fernsehen erinnern, da zeigten sie einen volkseigenen Betrieb der DDR kurz nach der Wende im Sommer 1990. Eine lange Schlange vor dem Chefbüro, einer nach dem anderen wurde hineingebeten und bekam seine Kündigungsformel vorgelesen, ein kurzer Händedruck, der Nächste bitte! Das war’s! Und wieder war einer, der sich jahrelang zum Wohle des Betriebes den Arsch aufgerissen hatte, arbeitslos.
Oder wie man, wegen der besseren Kosmetik gern sagt, freigesetzt. Der Blick dieser Frau, eine Mischung aus ungläubigen Staunen und fassungsloser Enttäuschung über den Verlust ihres Arbeitsplatzes ist mir noch stärker im Gedächtnis haften geblieben als die Bilder von der Öffnung der Mauer in Berlin! Auf der anderen Seite, die Großkopferten, die Manager, von denen hab ich noch nie gehört, dass einer der ihren zum Sozialfall geworden wäre. Da genügt es meistens schon, den Reitunterricht der Tochter zu streichen oder auf eine etwas kleinere Segeljacht umzusteigen, um seinen Lebensstandard zu halten. Und dieser Urban, das ist auch so einer. Nur Geld scheffeln, aber seine Leute nutzt er aus bis zum geht nicht mehr!“
Alfons Baier schüttelte ungläubig den Kopf. Er war völlig konsterniert, dass sich sein alter Kollege plötzlich als Sozialkritiker gezeigt hatte.
„Wie kommst du jetzt auf einmal auf den Urban, meinst du damit den Seniorenheim-König?“
„Ach so, entschuldige, jetzt hab ich doch wieder von meiner Arbeit zu reden angefangen.
Ja, weißt, ich hab da einen neuen Fall, eine Leichensache, und zwar in einem Heim vom Urban.“ Baier antwortete erstaunt
„Wieso, Leichen gibt’s doch oft im Altersheim, was hast du damit zu tun? Entschuldige, der Witz ist etwas pietätlos, ich weiß!“
Pilz setzte sich nun endlich auf einen Besucherstuhl, nachdem er zuvor dauernd im Krankenzimmer herum gegangen war und damit nicht nur seinen Kollegen, sondern auch dessen Zimmernachbarn nervös gemacht hatte. Er sprach leise, damit der andere Patient nicht unbedingt alles mitbekam und sagte
„Ursprünglich deutete auch alles auf einen normalen Unfall hin , aber der Heimarzt weigerte sich , den Totenschein auszustellen, weil ihm die Sache irgendwie komisch vorgekommen war. Und unser Polizeiarzt bestätigte den Verdacht insofern, weil seiner Meinung nach im Zimmer unbedingt Blutspuren hätten sein müssen.“
„Und da hat man den Schwammerl geholt, der macht daraus sofort einen Mord, oder?“
Kollege Baier häkerlte ihn gerne damit, dass Pilz so lange unermüdlich weiter ermittelte, bis sich auch aus einem scheinbar harmlosen Unfall ein Verbrechen herauskristallisierte. Und Baier war eher einer dieser klassischen Beamten, die der Arbeit nicht unbedingt hinterherlaufen. Und wenn schon, dann langsam genug, damit diese nur ja nicht von ihnen eingeholt wurden. Aber dafür hatte er andere Qualitäten!
„Ja, ich glaub schon, dass ein Fremdverschulden vorliegt“, antwortete Pilz, ohne auf die Sticheleien zu reagieren, “Im Moment hab ich drei Verdächtige, erstens einmal die Nachtschwester, die das Opfer sterbend gefunden hat. Mit dessen angeblich letzten Worten: Frag den Adolf hab ich den zweiten Verdächtigen, „Adolf“ Hermann Waller, einem Heimbewohner. Und schließlich noch eine Frau Pröll, die Leiterin des Seniorenheims. Sie hat mir verschwiegen, dass sie in der Tatnacht im Heim war und geht mir seither aus dem Weg.“
Kollege Baier hörte interessiert zu, bei Nennung des Namens Waller zuckte er kurz zusammen,
„Hermann Waller? War das nicht damals dieser Ex SS-Mann, der einen englischen Ingenieur mit der Schloss- bergbahn in die Luft sprengen wollte?“
„Ja, aber der Fall wurde mir damals entzogen und von der Staatspolizei übernommen. Das heißt auf gut Deutsch nach kurzer Zeit eingestellt. Obwohl er später bei mir alles zugegeben hat, aber irgendwelche einflussreiche Kreise haben da wohl ihre Finger im Spiel gehabt. Er wurde aber auch so genug gestraft, seine Tochter , die in den Engländer verliebt war, verübte Selbstmord und seine Frau starb kurz danach an Krebs.“
„Na ja,“ meinte Baier, „Auch wenn man der irdischen Gerichtsbarkeit entkommen kann, gibt’s manchmal doch noch eine Strafe von oben!“
Pilz fuhr weiter mit seinen Überlegungen und sinnierte vor sich hin,
„Man müsste den Polizeicomputer einmal mit dem Namen Urban füttern, wer weiß, was da alles zum Vorschein kommen würde. Aber ich will damit nicht zu deinem Kollegen Holzer gehen, der Urban hat so viele Beziehungen, kann sein, dass der etwas spitz kriegt. Und der Hofrat zieht mir die Löffel lang. Der hat jetzt schon eine Riesenangst, weil ich ihm gesagt hab, dass ich den Urban vorladen möchte. Und die Frau von unserem Polizeidirektor ist doch mit Frau Urban befreundet, da kann ich Argumente vorbringen, so viele ich will. Da geben die Weiber den Ton an. Aber wie soll ich gerichtsverwertbare Beweise ermitteln, wenn mir in die Untersuchung reingeredet wird!“
Baier machte ein sorgenvolles Gesicht,
„Mein Gott, Schwammerl, du hast es wirklich nicht leicht! Was musst du dich auch immer mit den Großkopferten anlegen?
Auch wenn er wusste, dass sein Kollege Recht hatte damit, so ließ er sich nichts anmerken, sondern antwortete ihm
„Des is mir wurscht, was dem Doktor Stadler seine Frau sagt, ich krieg das noch raus, was hier passiert ist!“
Mit diesem kernigen Satz verabschiedete er sich von seinem alten Spezi und fuhr nach Hause.
In seiner Wohnung angekommen, traute er seinen Augen nicht, alles strahlte blitzblank. Sogar das Geschirr war abgewaschen, eine Arbeit, die er fürchtete wie der Teufel das Weihwasser. Er rief sofort seine Tochter an, um sich zu bedanken.
„Grüß dich, Irene, das war aber eine super Überraschung! Womit hab ich das nur verdient?“
„Ah geh, Papa, das ist für das tolle Essen gestern Abend. Außerdem kann ich deine Wohnung doch nicht total verdrecken lassen!“
Da war sie wieder, die Kritik an seiner Haushaltsführung, aber er musste sich wohl oder übel eingestehen, dass sie berechtigt war. Während seiner Ehe mit Irenes Mutter ging er sowieso total in seinem Beruf auf und kümmerte, jetzt wo sie ihn verlassen hatte, fehlte ihm auch jeder Sinn dafür.
„Das mit dem verdrecken weise ich natürlich zurück, aber ich danke dir auf jeden Fall recht herzlich für deine Hilfe!“
„Apropos Hilfe, ich hätte da übrigens einen Vorschlag, wie ich dir auch einmal in deinem Job helfen könnte. Mein Kollege, der Herr Lechner, hat nach eurem Gespräch gestern Abend eine interessante Idee gehabt. Er plant sowieso eine Fortsetzung seiner kritischen Altersheim-Serie, da schlug er mir vor, ich sollte eine Aushilfsbeschäftigung als Pflegehelferin im Waldesruh annehmen, die suchen gerade Hilfskräfte im Grazer Express. Da könnte ich ein oder zwei Tage in der Woche ein bisschen Geld dazuverdienen und nebenbei gezielt Informationen sammeln, sowohl für dich als auch für unsere Serie.“
Seine Tochter war gespannt, wie er ihren Vorschlag aufnehmen würde.
„Das kommt ja überhaupt nicht in Frage, dass du jetzt einen weiblichen James Bond spielst, was ist, wenn in dem Heim wirklich ein Mörder ist und dein falsches Spiel durchschaut? Außerdem wären irgendwelche Beweise, die ich auf solche Art bekomme, sowieso nicht gerichtsverwertbar!“
Der Oberinspektor war nicht nur strikt gegen den Vorschlag, er war regelrecht wütend.
„Aber Papa, was regst du dich denn so auf? Ich pass schon auf mich auf! Du wirst sehen, eines Tages wirst du mir dankbar dafür sein!“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.02.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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