Wolfgang Wallner-F.

Erinnerungen an Franz Kisseneppner

Franz Kisseneppner war mein Vater, doch
wusste und weiß weder er noch ich davon. Sicher, er hätte meine Mutter fragen
können, ob er das tatsächlich tat, ist mir unbekannt, ich konnte sie nicht mehr
fragen, da sie bereits Jahre vor meiner Geburt verstarb.


 
Mein Vater war Zeit seines Lebens stumm.
Als das erste Mal ein Wort über seine Lippen kam, war er nicht mehr mein Vater,
doch diese heutigen Erinnerungen sollen nur ihm, als meinem Vater gelten und
die Erinnerung an einen Mann erneuern, der die größte Erfindung des homo
sapiens konstruierte, den Lichtausschalter.


 
Ich entdeckte seine zukunftsweisende
Erfindung, als mir ein Kollege sagte, diese Erfindung harrte noch ihrer
Verwirklichung, was ich ursprünglich nicht zu glauben vermochte, da die
logische Folge dieser angeblichen Neuigkeit (die er glaubte hiermit
einzuführen), der Lichteinschalter (offensichtlich nur aus Bequemlichkeit
simpel Lichtschalter genannt) doch bereits längst erfunden war. Mit dem
Licht(ein)schalter konnte man doch die Finsternis beenden, also musste es auch
einen Licht(aus)schalter geben, der diese Erscheinung begründet, leben wir doch
in einem kausalen Universum. Der Kollege erklärte mit, dass eine solche
Erfindung in keinem Lexikon vermerkt war. Natürlich weckte dies meine
Neugierde. Ich nahm also mein 24-bändiges Universallexikon zur Hand und fand tatsächlich
im Band dreizehn (Jqu - Kiu) auf Seite 2523 unter dem Namen meines Vaters diese
Erfindung vermerkt (ein Hinweis auf dessen Biographie von Alexander Gustav
Mreisel war angeführt). Mein Kollege, der dasselbe Lexikon besaß, schlug auf
meinem Anruf die Seite 2523 auf, fand aber nach dem Wort "Kissen"
bereits als nächsten Begriff das Wort "Kklachsen" erklärt,
offensichtlich war dadurch seine Unwissenheit begründet.


 
Diese Unwissenheit versetzte mich in
großes Erstaunen, da mein Kollege für sein phänomenales Erinnerungsvermögen
bekannt war. Sein Gedächtnis reichte für eine minutiöse Rekonstruktion seines
ganzen Lebens aus, wofür er dann ein Leben benötigte. Ob die von mir miterlebte
Rekonstruktion die erste, zweite oder fünfte oder vielleicht doch das Originalleben
war, konnte ich damals nicht beurteilen.


 
Natürlich empfand ich es als seltsam, dass
mein Kollege das Stichwort Kisseneppner in seinem Lexikon nicht fand, jetzt
nach jahrelangem Besinnen darüber, meine ich, dass er vielleicht doch aus einem
früheren Leben berichtete, in dem in einer älteren Ausgabe das Wort
Kisseneppner noch nicht aufgenommen, da dessen Bedeutung unbekannt war, doch
musste ich ihn, den Gesetzen der Logik zufolge, schon damals angerufen haben,
was in mir (um mich nicht weiter zu verwirren) nur den Schluss zulässt, dass
dieses Leben (das rekonstruierte) eines gewesen sein musste, das nach der
Erfindung des Telefons jedoch vor der des Lichtausschalters original stattfand.


 
Mreisels Biographie des Franz Kisseneppner
wäre natürlich ein probates Nachschlagewerk um mehr über diesen unbekannten
Mann zu erfahren dachte ich und nahm mir für den nächsten Tag vor, eine
Buchhandlung oder Bibliothek aufzusuchen. Eine Nacht wollte ich darüber noch
schlafen, denn immerhin war mir die Existenz oder Nichtexistenz eines
Lichtausschalters ziemlich gleichgültig, es war doch die Idee meine Kollegen
gewesen.


 
In der diesem Tag folgende Nacht träumte
ich, mit meinem Kollegen durch eine unendlich heiße Wüste zu gehen. Wir beide
waren dem Verdursten nahe, als ohne jeglichem Vorzeichen eines Wunders ein
solches geschah und vor uns ein Mann lag.

Er sah genau so aus wie ich!

Ich fürchtete schon ein böses Omen,
dachte, dass ich dieser Mann wäre und mir in einer Erscheinung mein zukünftiges
Verdursten prophezeie. Doch als wir näher kamen, erhob sich der Mann, gab uns
Wasser und ging ohne ein Wort zu sagen der nächsten Düne zu.


 
Als ich am Morgen meinen Kollegen, der mit
mir in meinem Traum war, anrief um ihm diesen merkwürdigen Traum zu erzählen,
fragte er sich, wer von wem der Doppelgänger war, ob ich geträumt hätte von
einem anderen Wasser zu erhalten oder einem anderen Wasser zu geben und ob ich
oder mein Doppelgänger träumte. Nachdem ich das nicht wusste und auch nicht
wusste, woher der Rekonstrukteur eigentlich über diesen Traum seine Erfahrung
bezog, gab ich keine Antwort.


 
In der dritten Leihbibliothek fand ich
endlich die gesammelten Werke Alexander Gustav Mreisels. Es gab zwölf Bände
Mreisel (mit einem dünnen Ergänzungsband) wovon der achte die Biographie Kisseneppners
enthielt. Ich wischte den Staub von diesem Buch, gab dem Bibliothekar  Name und Adresse und ging heim.


 
Als ich das Buch daheim aufschlug,
wunderte ich mich etwas, dass dies eine Zweitauflage aus dem Jahre 1796 war, wo
doch damals gar kein Telefon erfunden war und ich daher mit meinem Kollegen
nicht telefonieren konnte. Der Zahlenmystik freundlich gesonnen, nahm ich also
mein Universallexikon zur Hand, schlug die Seite 1796 (im zwölften Band Hux -
Jps) auf. Da stand unter dem Stichwort "ich", Sohn des F.
Kisseneppner, 1896 - 1948, siehe Kisseneppner, Band 13, was ich befolgte aber
feststellen musste, dass diesmal sich im Band dreizehn  kein Kisseneppner mehr befand. War es
tatsächlich möglich, durch einen Telefonanruf das Weltgeschehen zu ändern?
Konnte ich durch diesen Anruf ein immerfort währendes Rekonstruieren eines
immer gleichen Lebens mit einer Nuance bereichern und damit das Leben meines
Kollegen verlängern?


 
Ich nahm wieder die Biographie zur Hand.

Sie begann auf Seite 5 mit den Worten: Franz
Kisseneppner war mein Vater, doch...

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