Andreas Müller

Der Auszug aus Ägypten - Director´s cut

Vor zwei Jahren hatte es in Ägypten eine Entwicklung gegeben, die für die nun folgenden Ereignisse von hoher Bedeutung sein sollte: Es trug sich nämlich zu, dass ein Märchenerzähler nach Alexandrien kam und den Zuhörern von einem Jungen erzählte, der von Panthern und Affen großgezogen worden war. Er berichtete, jener Junge solle im Verlaufe seines Lebens mutige Heldentaten vollbracht haben, wie etwa das legendäre Bezwingen der Palme des einäugigen Sehers- wobei hinzugefügt werden sollte, dass jene Palme, laut Aussage einiger moderner Botaniker, ganz gewiss niemals wirklich existierte, geschweige denn, dass ein wahrhaftiger Seher jemals wirklich auf Erden wandelte. Und sollte letzterer doch jemals existiert haben, so hätte er sich sicherlich niemals die Mühe gemacht, eine unbezwingbare Palme zu pflanzen. Wie dem auch sei, in Ägypten grassierte nun eine große Nachfrage nach Affen, die besorgte Eltern als Zusatzerzieher für ihre Kinder haben wollten. Zunächst waren sie an Panthern interessiert gewesen, aber nach einigen Komplikationen, wie dem Verlust diverser Körperteile, hatte sich das allgemeine Interesse dann doch den Affen zugewandt. Als die Leute jedoch merkten, wie unglaublich schwierig es war, die Affen zu verpflegen, besonders aufgrund ihres ständigen Gekreisches, begannen sie, ihre tierischen Kollegen in der Wüste auszusetzen. Dort allerdings starben diese ziemlich schnell, was einige Tierschutzverbände so gar nicht erfreute. Also waren die Ägypter wiederum dazu gezwungen, mittels aufwändiger Wasserumleitungsverfahren einen kleinen Dschungel für die Affen und die übrigen Panther anzulegen, in dem selbige von nun an sorgenfrei leben konnten.

Etwa zwanzig Jahre später meditierte Ramses II über den Sinn des Lebens. Er kam nun mehr zu dem Schluss, dass ein Kind seinem Leben eine Bestimmung geben solle, wohl, weil ihm nichts besseres eingefallen war. Und dennoch sah es ganz danach aus, als sollte ihm nie ein Sohn geschenkt werden. Nachdem ihm sein religiöser Berater freundlich darauf hingewiesen hatte, dass es nicht unzweckmäßig sei, den fleischlichen Gelüsten Folge zu leisten, wenn man Nachwuchs anstrebte, hatte ihn der Pharao den Krokodilen zum Fraß vorwerfen lassen, mit der Begründung, dass es nicht unzweckmäßig sei, diese hin und wieder zu füttern, wenn sie wiederum Nachwuchs anstrebten.

Es war ja auch nicht so, als ob er nicht schon oftmals versucht hatte, den Rat seines Beraters in die Tat um zu setzen, aber immer
wenn er seiner Gemahlin im Ehebette zu nahe kam, so meinte sie, sie leide unter Kopfschmerzen oder sie habe ein Magengeschwür und werde sowieso bald sterben, so dass sich das mit den Kindern nicht mehr lohnen würde.
Irgendwann hatte der Pharao die Ausreden seiner Gemahlin satt und ließ ein folgenschweres Gesetz verordnen, nach dem alle erstgeborenen Kinder Ägyptens getötet werden sollten. Seine Frau schlussfolgerte, dass sei nur eine seiner Phasen, die sich mit der Zeit wieder lege, also ließ sie ihn in seinem Vorhaben gewähren.

Eine Hebräerin - Hebräer waren zu jener Zeit die unterdrückte Arbeiterklasse Ägyptens - wollte ihren Sohn jedoch nicht den Schergen der Palastwache überlassen und so legte sie ihr Baby in einen Weidenkorb, den sie einen Bach hinuntertreiben ließ, um ihm weinend hinterher sehen zu können. Doch dieser Bach war genau derjenige, der zur Wasserversorgung des oben erwähnten kleinen Dschungels verwandt wurde. Und so kam es, dass Moses, wie ihn die Affen nannten, die ersten fünf Jahre seines Lebens in der Obhut von Tieren verbrachte. Oder jedenfalls klang das unverständliche Gekreische der Paviane für die Palastwache wie “Moses“. Sie hatten nämlich unlängst vom Pharao den Auftrag erhalten, ihm ein erstgeborenes Kind zu bringen, das er nun aufziehen konnte. Da sie zuvor jedoch auf seine Anweisung bereits den Großteil des Bestandes an Erstgeborenen getötet hatten, waren sie überglücklich, im Dschungel doch noch endlich auf ein möglicherweise erstgeborenes Kind zu treffen, dessen Besitz sie dem Pharao nach §985 BGB übertragen konnten.

So kam es, dass Ramses II endlich einen Sohn hatte, den er auch sogleich nach guten, alten ägyptischen Traditionen erzog. Bald war Moses Stadthalter von Alexandrien und sehr erfolgreich im Bau von großen Statuen, Pyramiden und sonstigem Kram, was als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme gedacht gewesen war, um die Ägypter nicht auf die Idee zu bringen, den Pharao zu stürzen und eine Demokratie einzuführen. Doch eines Tages traf er auf eine alte Hebräerin, die ihm erzählte, er sei ihr Sohn und wäre von Affen und Panthern großgezogen worden. Da Moses im Allgemeinen ziemlich naiv und gutgläubig war, kaufte er ihr die Geschichte also sofort ab und plötzlich taten ihm seine Mithebräer unglaublich leid. Jedoch musste man wohl zugeben, dass es ihnen inzwischen gar nicht einmal mehr so schlecht ging. Durch die ABZs und einige Sozialreformen sowie der Einführung von Gewerkschaften hatten es die Hebräer inzwischen zu einem beachtlichen Wohlstand gebracht, mit dem sie fast gleich auf mit den Ägyptern lagen. Moses hatte aber nur noch diese Volksbefreiungsgeschichte im Kopf und er war sehr verärgert, dass sich die anderen Hebräer so vehement gegen ihre Befreiung verschlossen. Und obwohl er als Stadthalter versucht hatte, ihre Situation wieder zu verschlechtern, um sie aus ihrer Not wiederum heraus erlösen zu können, wollten die Hebräer das Land dennoch nicht verlassen. Das einzige Ergebnis dieses Versuchs, war ein Mordanschlag auf ihn, den er vereiteln konnte, indem er die Attentäterin zum Essen einlud. Doch da ihr Mordversuch bekannt geworden war, musste sie vor der nahenden Stadtwache fliehen.

So lief Moses eines Tages in der belebten Geschäftsstraße Alexandriens herum und wollte sich angesichts der brennenden Hitze ein Eis kaufen. Doch der findige Eisverkäufer hatte die Chance an den Haaren gepackt und verlangte bedenklich viel Geld für seine Ware. Nun riss Moses entgültig der Geduldsfaden und er erschlug den Eisverkäufer kurzer Hand mit seinem Stadthalter-Ehrenzepter. Doch er wusste, dass der Pharao das niemals durchgehen lassen würde und so musste er fliehen. Er rannte also immer weiter in die Wüste hinein, bis er endlich eine kleine Nomadengruppe erreichte, die ihn bei sich aufnahm. Und dort traf er sogar seine Attentäterfreundin wieder, die er auch sofort ehelichte. So lebte er glücklich und zufrieden vor sich her, bis er eines Tages zum pinkeln in die Büsche gehen musste.

Denn einer der Büsche fing plötzlich an zu brennen und- was noch viel beachtlicher war- zu sprechen: “ICH BIN JAHWE, DEIN GOTT, DER DICH AUS ÄGYPTEN GEFÜHRT HAT...“ dröhnte die Stimme aus dem Busch. Und Moses sprach:
“Welch ein Unfug, ich bin aus Ägypten geflohen, weil ich einen Eisverkäufer erschlagen habe!“
Das hatte der Stimme nun gar nicht gefallen:
“WIDERSPRICH MIR NICHT! ZWEIFELST DU ETWA AN MIR? SIEHST DU NICHT, WIE DIESES GEWÄCHS VOR DIR BRENNT, OHNE ZU VERBRENNEN?“
Doch Moses ließ sich nicht beirren:
“Naja, ganz nett, aber das macht dich noch nicht zu meinem Gott.“
Jahwe war ziemlich entgeistert und sprach:
“JESUS, MARIA, MUTTER GOTTES! UND WAS WENN ICH DIR HELFE, DIR ENDLICH DEINEN WUNSCH ZU ERFÜLLEN UND DIE HEBRÄER ZU BEFREIEN?“
Das ließ Moses so gar nicht kalt und er schloss einen Pakt mit Jahwe, der kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand: Er würde die Hebräer mit Gottes Hilfe befreien und dafür brannte Jahwe nicht mehr irgendwelche unschuldige Pflanzen an.

So kam es, dass Moses sich wieder zurück nach Alexandrien begab. Er war inzwischen schon ziemlich alt geworden und hatte sich einen richtig coolen Stock gekauft. Er sprach zu den Hebräern:
“Hey, wollt ihr nicht viel lieber frei sein?“
Und sie antworteten:
“Wir sind frei! Was willst du von uns?“
Und er sprach:
“Nein seid ihr nicht. Nun seht es doch endlich ein! Unser Gott Jahwe hat mich geschickt, um euch zu befreien.“
“Aber wir wollen nicht befreit werden. Zisch ab!“
“Ach ja, seht mal, was ich kann!“
Und Moses holte Spielkarten hervor. Er forderte einen Hebräer auf, sich eine Karte zu nehmen und sie sich anzusehen. Jener tat, wie ihm geheißen. Dann legte Moses diese Karte auf den Stapel mit den anderen Spielkarten. Er wartete ein paar Sekunden und drehte sie um: “Ist das die Karte?“
Der Hebräer nickte ungläubig mit dem Kopf und das ganze versammelte Volk brach in Jubel aus: “Er ist der Gesandte unseres Gottes!“, “Folgt ihm bis in den Tod!“ und: “Ich wusste bis heute gar nicht, dass wir einen Gott haben, aber nun bin ich bereit, für ihn zu sterben!“

Schließlich schritt Moses zum Pharao, der nun schon mehr als alt war, und forderte von ihm, sein Volk, die Hebräer, ziehen zu lassen. Ramses II sprach: “Aber natürlich dürft ihr ziehen. Ihr seid frei, wer sollte euch auch daran hindern?“
Moses, dem das alles zu leicht gegangen war, schritt schnellen Fußes hinaus zu seinen Volksgenossen, um ihnen mitzuteilen, dass er und sein Kumpel Jahwe sich nun gezwungen sähen, sieben grausige Plagen über Ägypten ergehen zu lassen, um in dem Chaos fliehen zu können, weil der Pharao sie nicht einfach ziehen lassen wolle. Das taten sie auch. Und so geschah es, dass die Hebräer in einigem Abstand vor der zornigen Palastwache flüchtend zum schwarzen Meer hin eilten, um durch die Wüste zu entkommen.

Leider war gerade Flut und sie konnten das Meer selbst an der Engstelle nicht überqueren. Doch Moses kam auf eine fantastische Idee: Er stellte sich auf einen Felsen, der seltsamerweise hier herum lag, und erhob seinen coolen Stock in die Luft. So wartete er mehrere Tage, bis endlich wieder Ebbe war. Seine Aktion hatte den vorteilhaften Effekt, dass seine Volksgenossen jetzt glaubten, er habe das Wasser durch Gottes Hilfe gespalten, was natürlich vollkommener Unfug war, da Jahwe ihm erklärt hatte, er könne nichts weiter aufregendes an Wundern vollbringen, von Büsche anbrennen einmal abgesehen. Und da die Palastwachen ihre Badehosen vergessen hatten, ertranken sie nun mehr in der Flut, die kurz nach der Überquerung des Meeres durch die Hebräer erfolgte.

Und so geschah es, dass ein kleines Volk 40 Jahre lang wilde Partys in der Wüste feierte, bis irgend ein Israelit den Kapitalismus einführte und Gottes Volk ,infolge des Scheiterns jenes Systems, Jerusalem, Jericho und Babylon zerstörte.

Ende.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.03.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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