Michael Lang

Abschied

Wie schnell doch die Welt aus den Fugen geraten kann. Er war auf dem Weg nach Hause, konnte die Autobahnausfahrt schon sehen, keine 300 Meter mehr, als alles schief zu gehen begann. Gut, es hatte geschneit und ja, es war glatt, aber er war ein sicherer und im Allgemeinen auch ein besonnener Fahrer. Aber man kennt das ja: ein kleiner Moment der Unachtsamkeit und das Unglück ist nicht mehr aufzuhalten. In seinem Fall war es wie so oft: begangen hatte die Unachtsamkeit nicht einmal er, sondern die beiden LKW-Fahrer vor ihm. Einer besaß die Dreistigkeit und nachgerade selbstmörderische Entschlussfreudigkeit bei diesem dichten Schneetreiben überholen zu wollen, was er auch tat. Er sah das Schlingern des überholenden LKW’s, der gleich darauf seitlich auf den rechten Laster prallte, woraufhin sich dessen Ladung ohne weiteren Widerstand vom Auflieger löste. Unglücklicherweise bestand die Ladung aus Baumstämmen, die sich sofort begannen nach rechts auf die Fahrbahn zu verteilen und gefährlich auf alle nachfolgenden Fahrzeuge zuzurollen. Natürlich auch auf sein Fahrzeug. Leider war sein Abstand zu den LKW’S nicht mehr allzu groß, er hatte bereits abbremsen müssen um nicht an der Ausfahrt vorbeizufahren. Er hätte eigentlich nur noch nach rechts ausscheren müssen um von der Autobahn und somit auch von der Gefahr wegzukommen, aber die Baumstämme versperrten ihm den Weg und er begann zu Kämpfen. Wie brenzlig die Situation ist, hatte er sofort begriffen – dazu musste er auch kein Hellseher sein. Er bremste, er lenkte, aber es wurde immer aussichtsloser. Ein Baumstamm krachte gegen seinen Kühlergrill und erzeugte einen ohrenbetäubenden Lärm. Sein Auto brach aus und rammte die Leitplanke, wurde nach rechts herumgeschleudert. Dabei traf ein weiterer Stamm die linke Seite seines Wagens und quetschte seinen Brustkorb. Drei gebrochene Rippen durchstießen seine Lungen. Das alles spürte er unter dem Einfluss seines Adrenalinspiegels nicht. Immer noch ruderte er am Steuer seines Wagens um Schlimmeren zu entgehen. Sein Überlebenswille übernahm die Führung. Instinktiv versuchte er alles um vielleicht doch noch ein Schlupfloch zu finden und nach Hause zu seiner Familie zu kommen. Lädiert vielleicht, aber doch am Leben. Als der Baumstamm direkt auf ihn zugeflogen kam, spürte er, dass es nunmehr kein Entkommen mehr geben konnte. Er verkrampfte sich am Lenkrad und wartete. Als der Stamm mit voller Wucht und Breitseite die Frontscheibe durchbrach, waren seine letzten Gedanken die Worte, die er noch nicht einmal von 3 Minuten zu seiner kleinen, geliebten Tochter sagte: “Gleich bin ich daheim bei dir, ok meine Süße? Dann les’ ich Dir noch eine Geschichte vor.“ Er hatte noch ihre kindliche Kleinmädchenstimme im Ohr als er starb. Den verursachenden LKW-Fahrern passierte nichts. Die nachfolgenden Autos hatten weniger Glück: 12 Menschen starben. Und unter ihnen auch er, der seiner Tochter versprochen hatte gleich bei ihr zu sein. Wie schnell doch unsere kleine heile Welt aus den Fugen geraten kann...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.03.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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