Christine Wolny

OSTERN 1945

 

Es war kurz vor Kriegsende.

Essen war eine Mangelware, so auch die Eier.

Wie sollte da der Osterhase die Kinder beschenken?

Oma hatte eine Idee. Sie schickte uns Kinder zu den Bauern.

Ich war die Kleinste. Noch kein Schulkind. Meine Schwester, 4 Jahre älter, lief schneller, und ich musste mich kräftig anstrengen, mit ihr Schritt zu halten.

Es war ein weiter Weg, eine steile Böschung hinauf, dann an den Bahngleisen entlang bis zu den Bauerngehöften. Sie lagen weit verstreut, die Wege waren aufgeweicht. Bald spürte ich nasse Strümpfe, aber tapfer ging es weiter zum ersten Bauernhaus.

Damals gab es noch keine Klingel. Man klopfte mit einem Eisenring gegen die Eingangstür. Das machte meine Schwester, denn ich traute mich nicht. 

Es dauerte eine Weile. Eine ältere Frau öffnete die Tür, meine Schwester sagte ihr Sprüchlein auf und ich sah die Frau so treuherzig an, dass sie uns mit einem Lächeln zwei Eier verkaufte. Das war eine Freude. Die Eier wurden in Zeitungspapier sorgfältig eingepackt, und eins davon trug ich in meinem Körbchen.
So gestärkt gingen wir zum zweiten Gehöft.

Hier sollte ich die Bitte vortragen. Ich wollte nicht, denn ich hatte ein unangenehmes Gefühl dabei. „Du willst ja auch Eier essen“, das war die Ermahnung meiner Schwester. Also musste ich.

Meine Beine zitterten leicht beim ersten Mal. Ich war kaum fertig mit meinem Satz, da flog die schwere Tür auch schon zu. Das war ein Schreck für mich.

Gibt es denn so was?

Enttäuscht gingen wir zum nächsten Haus. Dort klopften wir wieder an. Keiner meldete sich. Wir hörten zwar Stimmen, aber auch das erneute Klopfen half nichts.

Also weiter.

Nun war wieder meine Schwester dran. Sie hatte ja beim vorigen Haus nichts sagen müssen.

Diesmal öffnete eine jüngere Frau. Sie ließ uns sogar in die Küche, unterhielt sich mit uns, wollte wissen, wo wir her kamen, meinen Namen, wie alt ich bin.

In der Zeit holte sie aus einer Kammer einen großen Korb mit Eiern.

Ich machte eben so große  Augen, als sie ein Ei nach dem anderen herausholte und auf den Küchentisch legte. Bei sechs Eiern hörte sie auf. Sie packte sie ein und legte je drei Eier in unsere Körbe. Nun hatten wir jeder vier Stück.

„Ach was soll’s“, sagte sie, „jede kriegt noch eins“.

Als meine Schwester bezahlen wollte, sagte die Frau: „Ist schon gut,“ die kosten heute nichts, sie sind doch für den Osterhasen.“

Wir gingen glücklich lachend unseren Weg nach Hause. Der Rückweg kam mir jetzt viel kürzer vor.
                                           © C.W.
 
 

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