Volker Winkler

Der Chip

Ein ID-Chip also. Packow, ein Langfinger, ein kleines kriminelles Licht in der City von Nürnberg, sieht mißbilligend an seinem Arm herunter. Lediglich eine kleine Narbe ist sichtbar, knapp über dem Handgelenk, prima zu verdecken von einer Uhr oder anderem Armschmuck. Seit dieser ID-Chip vor einem Monat Pflicht geworden ist und sein Nicht-tragen unter Strafe steht, hatte er ständig mit seinem Gewissen gerungen. Und nun hat auch er ihn also .. seinen ID-Chip. Keine Frage, er ist sehr nützlich, man geht an der Kasse vorbei und muß nur das Förderband füllen und wieder leer räumen. Kein Bargeld, keine Kasse, nur eine Aushilfs-„Kassiererin" , deren einzige Fähigkeit es zu sein scheint, die Artikel in eine scannbare Position zu drehen.
 Noch viel nützlicher wird das Ganze an der Tankstelle. Man geht hin , tankt und fährt wieder weg. Und erst die Möglichkeiten in einem Parkhaus und in U-und S-Bahnen, Zügen und Bussen. Tolle Sache! Kein Ticketkauf mehr: Scannen beim Einsteigen - scannen beim Aussteigen ... Betrag vom Referenzkonto abbuchen. Kein Mensch muß sich mehr um irgendetwas kümmern .. kein lästiges Geldzählen, nur noch konsumieren und beobachten, wie das Geld von ganz alleine vom Konto verschwindet.
 Packow schlendernd langsam durch die Einkaufsstraßen. Hier und da sieht er Gruppen von Menschen, die sich um die Auslagen eines Straßenverkäufers scharen und der Wohlstandsbeschäftigung Nummer 1 nachgehen : KONSUMIEREN! Schade, früher hätte ihn das in Verzückung bringen können. Aber seit bargeldloses Bezahlen mit dem Chip nicht vorgeschrieben aber doch ausdrücklich erwünscht und echtes Geld nicht gern gesehen ist, hat er als Taschendieb keine Chance mehr, hin und wieder ein dickes Portemonnaie oder ein eben vom Bankautomaten geholtes Bündel 50 Euro-Scheine in den Taschen seiner "Kunden" zu finden. Stattdessen beschränkt er sich auf Uhren und Schmuck, die, zum Glück zahlreicher als früher, die Arme der Passanten schmücken und die unschöne Narbe über dem Handgelenk verdecken sollen.
 Na, wen haben wir denn da? Eine reiche Tussi ... Bankersfrau? nein ... selbst ist die Frau: Bankvorstand? oder Konzernvorstand .. vielleicht bei Siemens? Da ist sicher was zu holen. Packow geht ihr entgegen. Ihr diamantenbesetzter Armreif glitzert in der tiefstehenden Abendsonne. Ein kleiner Rämpler - RUPS - Packow rennt davon, den Schmuck in seiner Hosentasche versteckt.
 Da - Karstadt - die Rettung vor einer möglichen Verfolgung. Er dreht sich um, sieht die Frau, die nicht ihn anschaut, sondern ... ihren Arm. Sie telefoniert und hält ihr Handy ganz nah an ihren Chip, mehr ist nicht zu sehen, denn eben biegt Packow in den Haupteingang des Kaufhauses ein. Einige Schritte noch, und er kann untertauchen in der Menge der Menschen, die ihrer Lieblingsbeschäftigung soeben mit großer Leidenschaft nachgehen. PEEEEEEP ... Was ist das? Rote Rundumleuchten beginnen ihr unheilvolles Licht zu versenden. Packow bleibt erschrocken stehen. Er ist soeben durch die Lichtschranke gegangen ... ein Fehler in Zeiten von ID-Chips und vollautomatischen Schmuck-Diebstahlsicherungen. Mit einem letzten Sprung kann er dem sich verriegelnden Kaufhaus entrinnen, ehe sich die schweren Eisengitter zu Boden gesenkt und die Haupttüren verschlossen haben. Im Laufschritt bewegt er sich weiter. Da - ein Bus! Er rennt hin, neben ihm ein Mann mit Brieftasche, ein Bürofuzzi, der schnell heim möchte. Die Türen des Busses sind gerade noch so lang offen, daß die beiden Männer hineinspringen können.
 Ha - gerettet! Eben sieht er noch einen Polizeiwagen eintreffen, dann entfernt sich der Bus aus der Sichtweite des Einkaufszentrums. Packow atmet auf. Der Bus fährt zum Bahnhof. Von da aus ist es nur noch ein kleiner Weg bis zu seiner kargen Absteige im einem dunklen Hinterhof eines Wohnviertels etwas außerhalb der Stadt.
 Der Bus hält - Haltestelle Hauptbahnhof - Packow sieht mit Entsetzen, wie zwei Polizisten auf den Bus zukommen, mit einem Gerät in der Hand, einem Scanner, den sie auf die aussteigenden Fahrgäste richten. Mit einem Satz springt er zur Tür hinaus. Gerade als die Polizisten Verbindung mit seinem Chip aufnehmen und ihn identifizieren können, rennt er an ihnen vorbei und sucht sein Heil in Richtung des Bahnhofs.
 "Halt - Stehen bleiben!" , doch Packow ist nun alles egal, er will doch nur weg hier. Sein Blick gleitet von der Eingangstür des Bahnhofs zu den Polizisten und wieder zurück zur Tür. Kurzentschlossen rennt er mit langen Schritten am Bahnhof vorbei, in die nächste kleine, verlassene Gasse hinein und immer weiter. Noch eine Gasse, noch verlassener, noch kleiner ... und immer weiter tragen ihn seine Füße und die Angst vor den Hütern des Gesetzes. Noch eine Gasse ... eine Sackgasse! Entmutigt blickt Packow umher und entdeckt eine kleine Öffnung in einem Holzzaun zwischen zwei alten, heruntergekommenen Wohnblöcken. Behände kriecht er hinein und läuft über einen dunklen Hof. Auf der anderen Seite steht ein verlassener Schuppen ... kein Mensch weit und breit ... hier kann ihn niemand sehen und finden. Er öffnet die schwere, quietschende Holztür und schließt sie wieder, als er im Zwielicht des Raumes steht. Hinter einem Stapel aus Brennholz und Kohlen kauert er sich nieder und atmet tief durch .. überstanden! - Hier findet ihn niemand, auch die beiden Polizisten mit ihrem Scanner nicht, denn sie dürften ihn bei der Durchquerung der kleinen Gassen verloren haben. Endlich Ruhe - Frieden!
 Mit lautem Krach fliegt die Tür auf. 3 Polizisten - bewaffnet - stehen im Raum.
 "Packow Olano - sie sind verhaftet wegen Diebstahl fremden Eigentums." Packow ist entsetzt. Resignierend ergibt er sich in sein Schicksal. "Wie ist das möglich?", fragt er, mehr zu sich sprechend.
 "Der Chip!" ein Polizist zeigt auf Packows Arm. "Ihr persönlicher Peilsender"

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.03.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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