Angela Heise

Schuldig im Sinne der Anklage

Mara lehnte sich zurück und schloss die Augen. Schuldig im Sinne der Anklage! Wie Trommelwirbel dröhnten die Worte des Richters in ihrem Kopf. Schuldig ihre kleine, süße Tochter umgebracht zu haben. Bevor Mara sich gefangen hatte klickten die Handschellen. Die Wachmeisterin führte sie aus dem Gerichtssaal in den Transporter, der sie in die Frauenanstalt der Justiz bringen würde. 7 Jahre Haft hatte der Richter verhängt, 7 Jahre, in denen sie nicht frei sein wird, 7 lange Jahre, in denen sie nicht zum Grab ihres Kindes gehen kann. Im Gefängnis wird sie untersucht, muss ihre Sachen abgeben und bekommt die Anstaltskleidung. Eine Justizvollzugsbeamtin bringt sie in die kleine, spärlich ausgestattete Zelle. Die anderen Häftlinge, die ihr auf dem Weg begegnen schauen sie verächtlich an. Hier, im Knast herrscht ein eigenes Gesetz. Wer einem Kind etwas angetan hat, noch dazu das eigene Töchterchen qualvoll erstickt hat steht in der Hierarchie ganz unten. Die Beamtin weiss das und schliesst die Tür hinter ihr rasch zu.
Mara ist endlich allein, das erste Mal seit dem Beginn dieses Alptraumes. Lenchen! Ihr süßes, heissgeliebtes Töchterchen. Mara laufen heisse Tränen über`s Gesicht. Irgendwann während der Verhandlung war sie soweit gewesen, dass sie fast geglaubt hätte ihr Kind umgebracht zu haben. Wieso hat ihr nur keiner geglaubt? Ihr Alibi war hieb- und stichfest. Sie hatte an diesem furchtbaren Tag beim Friseur gesessen, stundenlang, weil ihr Mann ihr eine Dauerwelle geschenkt hatte. Als sie heimkam war die ganze Strasse voller Polizeiwagen. Der Wagen des Bestatters stand genau vor dem Eingang. In der Minute, als Mara das Haus betreten wollte trugen sie einen kleinen weissen Sarg heraus. Mara wollte hinlaufen, aber ein Polizist hielt sie zurück. Er fragte nach ihrem Namen. Sie sagte in mechanisch und fragte, was hier los sei. Statt einer Antwort wurde sie sofort festgenommen. Auf der Wache erfuhr sie, dass ihr Lenchen im Bett erstickt worden sei. Ihr Mann hatte sofort ausgesagt, dass nur sie, Mara in Betracht käme. Im Prozess wurde regelrecht nach Beweisen ihrer Schuld gesucht, wie es ihr schien. Die Schwiegermutter klagte das sie eine Rabenmutter gewesen sei. Eine Freundin berichtete sensationslüstern das sie gerade einige Tage vor dem Verbrechen die kleine Lena recht brutal vom Kindergeburtstag abgeholt habe. Die Kleine habe geweint, weil sie nicht mit wollte.Ihre eigene Mutter lamentierte, dass Mara mit dem Kind völlig überfordert gewesen sei. Was half da noch die Aussage des Friseurs und seiner Angestellten, die bestätigten, dass Mara stundenlang dort gewesen war? Erst beim Verlesen der Anklageschrift erfuhr Mara genau, wie schrecklich ihre Tochter gestorben war. Schuldig im Sinne der Anklage.
2 Jahre dauerte es, bis der Anwalt endlich die Revisionsverhandlung durch bekam. 2 Jahre hinter Gittern, in denen sie jeden Kontakt nach draussen verlor. Auch ihr Mann, von dem sie inzwischen geschieden war wurde noch einmal gehört. Mara war fassungslos, als plötzlich von einer Geliebten die Rede war. Ihr Mann? Nein, dass konnte doch nicht sein. Maras Gedanken war überall, versuchten die Vergangenheit wieder zu beleben, Erinnerungen hoch zu holen. "Bitte erheben Sie sich" Die Worte des Beamten rissen sie aus ihren Tagträumen. Sie stand auf, den Kopf gesenkt und erwartete nichts Neues. "Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: die Anklagte Mara B. wird wegen erwiesener Unschuld freigesprochen. Haftentschädigung wird aus der Staatskasse gezahlt" Mara schaut hoch, ungläubig sieht sie zu, wie der Staatsanwalt einen Wachmeister ruft, der ihren Ex-Mann festnimmt.
Später steht Mara am Grab ihrer Lena. Der Anwalt hat sie am Gefängnis abgeholt und auf ihre Bitte zum Friedhof gefahren. Sogar an einen kleinen Blumenstrauss hat er gedacht. Mara legt die zarten Blüten vorsichtig auf das kleine Grab. Mara schaut auf das Kindergrab. Die Tränen, die so dringend kommen müssten um sie zu befreien wollen nicht laufen. So, als könnte sie nicht glauben starrt sie auf den Grabstein.
Mara wendet sich abrupt ab und geht weg. Der Anwalt wird sie zum Bahnhof bringen. Mara steigt in den Zug und im nächsten Moment fährt dieser auch schon los. Weg, nur weg aus dieser Stadt, weg von diesen Erinnerungen. Während der Zug in Richtung Köln fährt lösen sich die ersehnten Tränen. Mara merkt es nicht, sie laufen über ihr Gesicht.
Kurz vor dem Bahnhof geht sie in den kleinen Waschraum. Sie wäscht sich Gesicht und Hände. Ein prüfender Blick in den Spiegel. Sie ist zufrieden. Als sie in Köln aussteigt atemet sie tief durch, strafft die Schultern und geht, den kleinen Koffer in der Hand zum Ausgang. Hier wird sie neu anfangen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.03.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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