Markus Heinen

Der Irrtum des Hexers

Man nannte ihn Karon, Karon der Hexer.
Doch er war nicht nur irgendein Hexer, nein, er war der Mächtigste, mächtiger als alle anderen vor ihm und alle anderen nach ihm.

Die größten Reiche hatten vor ihm kapituliert, die gewaltigsten Heere hatte er mit einer einzigen Handbewegung zerschlagen, dutzende von Helden hatten versucht ihn zu besiegen – doch vergebens, er hatte sie alle überlebt und über Jahrzehnet hinweg hatte er selbst dem grimmigen Gevatter Tod getrotzt.
Er kannte als letzter noch längst vergessene Geheimnisse und war mit Hilfe seiner Zauberkraft in der Lage die erstaunlichsten Dinge zu vollbringen.
Es war ein leichtes für ihn Blei in Gold zu verwandeln, die Sterne bargen schon lange kein Geheimnis mehr für ihn, die Verschmelzung verschiedener Kreaturen zu furchteinflössenden Chimären beherrschte er genauso gut wie die Selbstverwandlung in alle möglichen Gestalten und die Fähigkeit mit einem einzigen Fingerzeig Tote wieder auf der Erde wandeln zu lassen war für ihn ein leichtes, ja er hatte sogar Drachen unter seine Kontrolle gezwungen und die furchtbarsten Dämonen beschworen.
Mit unheiligen Ritualen, Zaubern und Tinkturen hatte er sein ihm vorbestimmtes Lebensziel weit überschritten, oftmals war er dem Tod schon aus den knöchernen Fingern geschlüpft, die sich bereits bedrohlich um ihn geschlossen hatten.
Doch dies alles lag nun schon eine Ewigkeit zurück, denn auch mit ihm ging es nun zu Ende, seine Zauber begannen langsam zu versagen und auch die herkömmlichen Tinkturen und Mixturen schienen nicht mehr helfen zu wollen, das unwiederbringliche Ende nährte sich auch ihm.
Er fühlte wie seine Hände erlahmten und ihm die Finger zittrig wurden, das Augenlicht sich langsam trübte und er drohte zu erblinden, jeder Schritt ihm so mühsam und anstrengend vorkam und jeder Knochen im Leib ihm schmerzte.
Doch wollte er es einfach nicht wahrhaben das nach all der Zeit der Tod jetzt endlich auch über ihn siegen würde und er wäre nicht Karon der Hexer wenn er nicht versuchen würde auch dieses Problem ein für allemal zu beseitigen.
Und so verwendete er nun seine ganze Kraft darauf einen endgültigen Ausweg zu finden und den Tod ein für allemal zu entrinnen – die Unsterblichkeit war sein Ziel.


So hatte er schon bald damit begonnen sich auf Reisen zu begeben und die Landstriche zu durchwandern.
Er sucht Hexen in dunklen Wäldern auf die fast eben so uralt waren wie er selbst, doch sie wußten nichts.
Er unternahm gefährliche Seereisen zu weit entfernten Inseln und teilweise noch unbekannten Archipelen um die dortigen Weisen, Seher und Orakel zu befragen, auch sie waren ratlos.
Er nahm die waghalsige und mörderische Kletterpartie in die Himmelsgipfel auf sich um selbst die Äonenalten Berggeister um Rat zu fragen, sie konnten ihm nicht helfen.
So gelangte er bald zu der erschreckenden Erkenntnis daß es wohl keine Möglichkeit gab das Rad der Zeit zurückzudrehen oder gar vollständig anzuhalten.
Doch gerade in dieser, seiner schwärzesten stunde als er sich seinem Schicksal schon fast ergeben hatte fiel ihm in einem weit abgelegenen Kloster am Rande der Welt ein Buch in die Hände, das sagenumwogenen „Tempus Liberum“, und die Götter brachen in eine Wehklagen aus als er es von seinem angestammten Platz stahl und mit sich nahm, den Sieg zum greifen nahe stand ihm nun nichts mehr im Weg sich selbst in den allmächtigen unsterblichen Status der Götter zu erheben.


Nach Wochen der Nachforschungen und Studien war es ihm endlich gelungen dem Folianten das ihm gewünschte Geheimnis zu entreißen, ein Ritual welches noch kein Sterblicher vor ihm gewagt hatte und welches ihn endgültig von der Liste des Todes streichen würde.
Und so begann er sofort mit den nötigen Vorbereitungen, der richtige Zeitpunkt mußte ausgerechnet werden, Mond und Sternenkonstellationen beachtet werden, astrale Schwingungen und Kraftlinien bedacht werden.
Die Zutaten ausgesucht und zusammen getragen werden…die Zutaten, ja.
Die meisten machten ihm kein Sorgen, ein Großteil Standartkram, einige seltene und ungewöhnliche aber nichts was er nicht beschaffen könnte…und, als wichtigster Bestandteil, ein adeliges, jungfräuliches Opfer von hoher Geburt.
Ein bösartiges Grinsen huschte über sein Gesicht, ja für diesen Teil hatte er sich jemanden Besonders ausgesucht, schließlich würde dies sein größtes Werk werden und da wollte er sich schließlich nur mit dem besten zufrieden geben.


Kaiser Torbal II lies seinen Blick zufrieden über den gesamten versammelten Hofstaat schweifen, sämtliche wichtigen Adeligen des Reiches hatten sich auf sein Geheiß hin und zu Ehren seiner Tochter an seinem Hofe eingefunden.
Das Ritterliche Turney war soeben beendet worden und langsam zog die Festgesellschaft in den Großen Saal des Schlosses ein.
>Ja, es lief alles perfekt, zumindest etwas an diesem Abend< dachte sich >der Kaiser während er einen zerknirschten Blick in Richtung seiner >Tochter warf.
„Torbal, bitte!“
Die Stimme seiner Frau lies ihn kurz aufschrecken.
„Lasse er sich nichts anmerken, wie sähe das denn vor dem Hofstaat aus. Denke er an seinen Stand – wir regeln diese Angelegenheit später.“
Seine Gemahlin hatte recht, was ihm seine Tochter angetan hatte durfte jetzt nicht öffentlich werden, schnell nahm er einen Schluck aus seinem Weinpokal und erhob sich für seine Ansprache, nicht ohne jedoch noch schnell einen kurzen Seitenblick auf seine Tochter Derya zu werfen. Wenn sie irgend etwas mitbekommen hatte so lies sie es sich nicht anmerken, mit versteinerter Mine saß sie neben ihm. Nun gut, er würde sich später darum kümmern, jetzt durfte er sich erst einmal nichts anmerken lassen.
Doch just in dem Moment in dem als sich alle Blicke auf ihn richteten und er zu seiner Ansprache ansetzten wollte geschah das unfaßbare…von einem Moment auf den anderen stand er da, eine große, hagere Gestalt. Gehüllt in einen Umhang aus schwarzen Rabenfedern, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und in der rechten Hand hielt sie einen knorrigen alten Stab.
Ein Moment der Stille verstrich und als sich der erst Moment der Überraschung gelegt hatte war es Kaiser Torbal II der als erster die Stimme wiederfand.
„Wachen!“ und auf seinen Befehl hin umringten sechs kaiserliche Gardewachen die unheimliche Gestalt, doch diese schien keinerlei Anstalten zu machen sich zu rühren.
„Wer seid ihr und wie könnt ihr es wagen hier so einfach aufzutauchen?“
Kaiser Torbal war am Rande eines Wutausbruches der dem vor wenigen Stunden in nichts nachgestanden hätte. Mit zusammengekniffenen Augen fixierte er die Gestalt in der Mitte.
Diese hob nach einigen Sekunden den Kopf, allerdings war auch jetzt noch nichts von ihrem Gesicht zu erkennen da die Kapuze dieses immer noch in einen dunklen Schatten hüllte und dann begann sie zu sprechen.
„Von euch persönlich will ich nichts, ich bin nur wegen eurer Tochter hier.“
Kaiser Torbal fuhr zu seiner Tochter herum, doch diese sah ihren Vater genau so erstaunt und erschrocken an.
„Wie könnt ihr es euch erlauben…wer glaubt ihr eigentlich er ihr seid…WACHEN – ergreift ihn.“
Wie befohlen machten diese nun einen entschlossenen Schritt nach vorne um den Eindringling zu packen und ihn in den Kerker zu befördern, jedoch mit einer Schattenhaften Bewegung die man der gebrechlich wirkenden Gestalt gar nicht zugetraut hätte schoß diese aus dem Kreis ihrer Angreifer nach vorne und stand nun nur noch mehrere Fingerbreit von Kaiser Torbal entfernt.
„Ich bin Karon der Hexer und ihr könnt euch glücklich schätzen diesen Abend überlebt zu haben…denn ich bin nur aus einem einzigen Grunde hier…“
Und mit diesen Worten packte die Prinzessin am Handgelenk, zog sie zu sich heran nur um mit ihr sofort in einer drehenden Bewegung seines Umhangs zu verschwinden.
Und noch währen Kaiser Torbal II, sein Gattin und der restliche verblüffte Hofstaat entsetzt auf die Stelle starrten wo sich noch vor kurzem der unheimliche Fremde und die Prinzessin befunden hatten, waren diese schon längst wieder im Turm des Hexers angekommen.


„Ihr könnt ruhig schreien so viel ihr wollt, es wird euch ja doch niemand hören.“
Prinzessin Derya lag mit eisernen Ketten gefesselt auf einem steinernen Altar während der unheimliche Fremde in einer Ecke des Turmzimmer irgendwelche übelriechenden Tinkturen zusammen mixte.
Soweit sie es erkennen konnte war der gesamte Raum mit seltsamen Zeichen und Schutzkreisen bedeckt, teils mit Kreide, teils mit Kohle und teils mit (sie hoffte das es rote Farbe war) anderen Substanzen gezeichnet. Auch die restliche Ausstattung lies sie nicht gerade hoffnungsvoll werden, schwarze Kerzen, Knochen und Räucherschalen waren noch nie ein gutes Zeichen dafür gewesen das einem etwas nettes bevorstand.
„Hört, was immer ihr verlangt ich bin sicher mein Vater ist bereit es euch zu geben…Geld, Gold, Juwelen…sagt was ihr wollt.“
Die Gestalt kicherte nur verächtlich und fuhr unbeirrt in ihrer Arbeit fort.
„Aber ich habe doch bereits was ich wollte, euch.“
„Damit werdet ihr nicht durch kommen, mein Vater hat sicherlich schon seine besten Ritter zu meiner Rettung losgeschickt – jeder adelige Held in diesem, seinem Reich wird sich zu meiner Befreiung aufmachen.“ Sie versuchte wenigstens auch in dieser Situation nicht die Fassung zu verlieren, immerhin war sie adelig und diese Person offensichtlich nicht.
Der Hexer stoppte nun in seiner Arbeit, strafte sich ein wenig und drehte sich anschließend zu der Prinzessin um, ein hämisches Lächeln umspielte seine blutlosen, dünnen Lippen.
„Natürlich wird er das tun, aber es ist mir völlig egal, denn sie werden zu spät kommen. Ich werde mein Ritual heute Nacht durchführen, in wenigen Minuten um genau zu sein und eure edlen Rette werden noch Wochen brauchen ehe sie hier ankommen, wenn sie mich überhaupt ausfindig machen können und selbst wenn sie es bis hier hin schaffen ist bin ich längst unbesiegbar. Ihr seht, ich bin praktisch schon der Gewinner und nichts kann mich jetzt noch aufhalten.“
Derya ließ ihren kopf kraftlos auf den harten, kühlen Stein sinken – jegliche Hoffnung war nun wirklich aus ihrem Herzen gewichen, sie fühlte sich schwer und kraftlos, die Dunkelheit, die flackernden Schatten und die schweren Düfte der Räucherschalen taten nun ihr übriges dazu das sie ihre Umgebung zu vergessen begann und so bemerkte sie auch nicht mehr wie Karon mit seinen Beschwörungsformeln begann.
Worte aus uralten Zeiten denen noch mächtige Kraft innen wohnte.

Schweißgebadet stand Karon inmitten des Turmzimmers, die Kerzen waren schon bis zur Hälfte heruntergebrannt, er hätte nicht gedacht das ihn dieses Ritual so viel seiner Kraft kosten würde aber dafür würde der Preis auch um ein vielfaches höher ausfallen als bei all seinen vorherigen Experimenten.
Angestrengt starrte er in die Flackernden Schatten die von den Kerzen an die Wände geworfen wurden, er war nun fast am Ende des Rituals angelangt nun würde sich die Mühen endlich auszahlen. Die Prinzessin war schon vor geraumer Zeit in eine Art Trance verfallen und so konnte er sich auch voll und ganz auf sein Werk konzentrieren.
Aus dem Augenwinkel nahm er eine seltsame Bewegung war, er kniff die Augen zusammen und fixierte die Stelle genauer, tatsächlich sah es so aus als ob sich die Schatten eigenständig auf den Körper der Prinzessin zu bewegten, mal formlos, mal tentakelartig waberte die nun solider werdenden Dunkelheit am kalten grauen Stein empor und legte sich langsam über den Körper.
Es klappte alles perfekt, nur noch wenige Sekunden…
„Oh ihr Mächte der Ewigkeit nehmt mein Opfer an und verleiht mir die Gabe der Unsterblichkeit.“ Die Worte kamen schon recht heiser aus seiner Kehle als er zufrieden sein Werk betrachtete. Doch plötzlich hielten die Schatten innen und zogen sich sogar von dem steinernen Opferaltar zurück. Irgend etwas lief hier nicht wie geplant, nervös sah sich der Hexer um als ein Schaudern durch den Turm lief und dann entdeckte er eine andere Gestalt die sich langsam aus der Dunkelheit schält.
Eine große, dürre, ja geradezu knochige Gestalt deren Gesicht von einem ewigen Grinsen geziert wurde und in deren knöchernen Hand eine Sense glänzte.
Erschrocken wich er zurück, das konnte…das durfte nicht sein, es war doch alles perfekt gewesen.
Er hatte den Zeitpunkt und den Ort selbst gewählt und mehrmals überprüft, sämtliche Zutaten hatte er selbst besorgt damit kein Diener einen Fehler machen konnte, er hatte alles dreimal kontrolliert und sich vergewissert das es tadellos war, jede einzelne benötigte Zutat war von persönlich ausgesucht worden…dann fiel sein Blick auf die Prinzessin die immer noch gefesselt und bewußtlos auf dem Stein lag.
Ein schrecklicher Verdacht begann sich in seinem Hinterkopf breitzumachen und sich langsam Gehör gegenüber den tausend andern zu verschaffen.
Sicherlich in all seinen Jahren die er nun schon lebte hatte sich die Welt stetig verändert und er hatte das immer mit einer gewissen Gleichgültigkeit wahrgenommen, war er sich doch sicher das er eines Tages zu den wenigen unverwüstliche gehören würde die alles überdauern würden, deshalb wäre er auch nie im Leben auf die Idee gekommen die Jungfräulichkeit einer Prinzessin, noch dazu einer Kaiserstochter, anzuzweifeln.

Doch dies war der einzige und auch letzte Irrtum des Hexers.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.03.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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