Anita Gertenbach

Morosus matutinus

  

 Wie viele gut gemeinte Ratschläge und Warnungen habe ich damals bekommen, als ich mich entschloss zu heiraten.Besonders im Hinblick auf die drohende Kinderschar sollte ich nicht im Dunkeln tappen. Arbeit, Veranwortung, durchwachte Nächte, Windelausschlag und Schulprobleme; auf alles war ich vorbereitet. Aber auf die großte und schmerzlichste Veränderung wies mich niemand hin: Man ist morgens niemals allein im Bad!

Ich gehöre zur Spezies „morosus matutinus“, landläufig bekannt unter der unschönen Bezeichnung Morgenmuffel. Das macht es mir nahezu unmöglich, in der kurzen Zeit zwischen Traum (ich in der Hauptrolle wahlweise als erfolgreiche Frau oder Femme fatale) und Waschbecken in den Ehefrauen- und Muttermodus umzuschalten. Während ich also noch versuche, mich an meine Muttersprache und anschließend meinen Namen zu erinnern, werde ich mit der frohen Botschaft empfangen, dass heute Kunstunterricht ist und ein neuer Zeichenblock in Plakatformat her muss, der nicht auf dem Fahrrad zu transportieren ist. Mit immer noch halb geschlossenen Augen versuche ich, die Worte „Auto“, „fahren“, „ich“ und „dich“ in einem einigermaßen verständlichen Satz unterzubringen. Befriedigt lässt sich mein Sohn zähneputzend auf dem Badewannenrand nieder und überfordert mich kurz darauf mit dem zweiten Problem: „Hafft du ü’erhau’t ein’ Cheichen’lock?“ Nein, natürlich nicht, oder hätten Sie einen, morgens um halb sieben im Schlafanzug? Bisher war mir nicht einmal bekannt, dass überhaupt Bedarf nach einem neuen Zeichenblock bestand. Mein sich immer noch räkelnder Verstand gibt mir schließlich zwei Alternativen zur Auswahl. Erstens, wieder ins Bett kriechen, da ohne den Block auch meine Fahrdienste nicht benötigt werden. Außerdem lernt der Knabe dann vielleicht, frühzeitig, auf anzuschaffendes Schulmaterial hinzuweisen. Verlockend! Oder zweitens, panisch durchs Haus rennen und nach etwas suchen, das zur Not als Ersatz herhalten kann. Sie ahnen es schon, man kann halt nicht aus seiner Haut. Ich entscheide mich für Variante zwei und stürze los.

 

Selbstverständlich werde ich nicht jeden Morgen auf solch harte Probe gestellt. Doch wer kann schon in Ruhe duschen, wenn der nächste Anwärter in Startstellung dabei zusieht und zwischendurch hektische Blicke auf die Uhr wirft.

 

 Und mal ehrlich: die Ursache streichelweicher Damenbeine und hornhautloser Füße sollte für die Männerwelt ein unergründbares Mysterium bleiben. Vielleicht bin ich altmodisch, aber es ist doch ein großer Unterschied, ob er mit den Begriffen „Bikinizone“ und „Wachs“ Stoppelhärchen auf Stachelbeerbeinen oder Liebesspiele bei Kerzenschein verbindet. Die Behandlung von eventuellen Hühneraugen oder das Handtieren mit Hornhautraspel und Nagelzange möchte ich ohne Publikum von statten gehen lassen, die schlammiggrüne Tiefenreinigungsmaske Marke Zombie geht niemanden etwas an, und wie aus den im Grand Canyon eingebetteten Tränensäcken unter den Augen nach einer durchfeierten Nacht Tränentäschchen in einem flachen Tal werden, möchte ich lieber für mich behalten. Deshalb beschränke ich mich auf die notwendigste Katzenwäsche, um den Rest später nachzuholen, wenn die Luft, bzw. das Bad rein ist.

 

Inzwischen plärrt das Radio und mein Sohn bringt mich auf den neuesten Stand des derzeit angesagtesten Computerspiels in entsprechender Lautstärke, um Musik und Brause zu übertönen. Der Einbau eines Doppelwaschbeckens war an sich eine exzellente Idee, sofern das linke Becken nicht als Ablage für Unterwäsche und Zeitungen dienen würde. Letztere sind unverzichtbar, stehen sie doch in kausalem Zusammenhang mit der maskulinen Verdauung. Etwas später ist am weißen Sediment am Beckengrund unschwer zu erkennen, dass der Rest der Familie die zahnhygienische Behandlung mehr oder weniger erfolgreich hinter sich gebracht hat. Aufatmend schnappe ich mir die Bürste, nur um Sekunden später in eine Diskussion verwickelt zu werden über die sinnvollere Kopfbedeckung für die tägliche Fahrradfahrt zur Schule. Während ich verzweifelt versuche, den Schaum im Mund zu behalten und gleichzeitig Sinn und Zweck eines Helmes deutlich zu machen, plädiert mein Sohn für die Kopfhörer seines MP3-Players. Dreimal dürfen Sie raten, wer den Sieg davonträgt.

 

Manchmal, wenn alle aus dem Haus sind, grübele ich wie dereinst Kolumbus über seinem Ei über die quälende Frage nach: Was war denn nun zuerst da, die Familie oder der Morgenmuffel?

 

 

 

 

 

 

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