Angela Vegh

Das Geheimniss des Winterwaldes

Brechende Erde, lautes Knistern, knackendes Getöse, Schreie, schrecklicher als der Ruf des Wolfes.
Ein Ton lauter als der andere, ein Schiff durch dickes Eis den Weg sich bricht. So, genau so hört es sich an, wenn der Winterwald erwacht und das „Tote Leben“ beginnt.
Ach, wie oft hörte ich die Geschichten der alten Leute, wenn wir in der Winterzeit um den Kamin herum saßen und ihnen bei den Erzählungen lauschten. Großmutter saß immer in ihrem alten Lehnstuhl und strickte, wehrend sie uns die Geschichten erzählte. Im Backofen zischte und prustete es, Großmutter hatte einige Apfel in den Backofen geschoben. Wir aßen sie schrecklich gern, wenn wir ihr zuhörten.
Einmal fragte ich sie, ich war inzwischen schon über 20 Jahre alt, ob sie uns die Geschickte vom Winterwald erzählen würde. Ach Kind sagte sie dann, es ist keine Geschichte wie all die anderen. Verwundert schaute ich sie an und sah eine einzelne Träne in ihren Augen, die sie schnell wegblinzelte. So etwas hatte ich noch nie bei ihr gesehen und es versetzte mir einen kleinen Stich in mein Herz.
Weißt du mein Kind es ist eine wahre Geschichte und das schlimme daran ist, sie findet immer noch statt.
Ich fragte sie, wie sie das wohl meinen würde, doch sie zuckte nur mit den Schultern und schluckte.
Nach einer weile nahm sie ihre Tasse und schlürfte ein wenig von dem heißen Kaffee, stellte die Tasse wieder ab und lehnte sich zurück.
Dann begann sie zu erzählen und es hörte sich so an als hätte sich ihre Stimme verändert, sie klang so jung und um ihren Mund verschwanden die kleinen Falten. Ich schüttelte meinen Kopf, glaubte an Sinnestäuschung, doch der Eindruck blieb. –
Als ich ein junges Mädchen war, erzählte man sich schon diese Geschichte vom Winterwald. Niemand hat ihn je gefunden, obwohl man genaue Beschreibungen vom Weg dorthin bekommen hatte. Woher weiß ich heute nicht mehr. Zwei junge Pärchen machte sich auf den Weg in die Berge um dort ein Picknick zu machen. Frühmorgens gingen sie los, denn der Weg war weit und anstrengend, wollten sie doch am Abend wieder zu hause sein.
Die Zeit verstrich, der Mond stand lange schon am Himmel, doch die jungen Leute waren noch nicht daheim.
Die Tage vergingen, Monate sogar, der Herbst verfärbte schon die ersten Blätter als man im Wald einen Mann fand. Der Wald lag nicht sehr weit von den Bergen entfernt, müsst ihr wissen. Also, der Mann den man fand war schon sehr alt, hatte weißes, langes Haar und viele Runzeln im Gesicht, doch... Die Kleidung die er trug war neu, fast neu, kaum getragen. Das wunderte die Männer doch sehr und man trug ihn zum Pastor in die Kirche, denn dieser kannte jeden in unserem Ort. Doch auch der Pastor schüttelte den Kopf, er kannte ihn auch nicht, doch da entdeckte er die Kette, die dieser Mann um den Hals trug.
Der Pastor nahm sie ihm ab und schaute sie sich genau an. Das Kreuz kenne ich, es gehört dem Rüdiger. Ich selbst schenkte es ihm zur Kommunion, weil seine Mutter zu arm war um ihm eines zu schenken, wie es doch üblich war. Aber das kann doch nicht sein, dieser Mann ist mindestens schon achtzig Jahre alt. Und der Rüdiger ist erst Mitte zwanzig. Dann schaute man in die Taschen des Mannes und fand auch eine Brieftasche mit Geld und Ausweis. Dieser besagte, das es sich um einen Rüdiger ... handele und er 25 Jahre alt sei.
Die Männer wurden der Reihe nach sehr blass um die Nase und schluckten, sahen sich der Reihe nach an und konnten es nicht glauben. Man ließ die Mutter des Jungen rufen, die sofort erschien. Man sagte was los sei und sie schaute sich den Mann an. Schon beim ersten Blich schrie sie laut los, hielt sich jedoch sofort wieder den Mund zu und fing an zu schluchzen. Sehen sie doch Herr Pfarrer, das ist doch mein Alois, den wir letztes Jahr begraben haben, er ist wieder aufgestanden und will mich jetzt holen. Aber nein antwortete der Pfarrer der Alois
ist das nicht, es ist dein Sohn, der Rüdiger. Noch ein Schrei, lauter als der erste und dann brach sie in die Knie und stürzte sich auf ihren Sohn um ihn genauer zu betrachten. Sie riss ihm das Hemd auf und suchte seine Brust ab. Oh mein Gott seufzte sie, er ist es wirklich. Hier an der Brust die große Narbe als er sich beim Bergsteigen so schwer verletzte. Aber wie kann das sein, er ist doch noch so jung. Dieser ist so alt, was ist nur geschehen.
Sie schaute alle Männer an, doch diese zuckten nur ihre Schultern und konnten ihr nichts sagen. Allen war es ein Rätsel, wie und was da geschehen war. Die Kirchentür wurde aufgerissen und eine ältere Frau trat ein und ging direkt auf den Mann, den man gefunden hatte zu. Dann schaute sie hoch und fragte wo ihre Tochter sei. Ob man sie nicht gefunden hätte. Sie erzählte, dass die Jungen doch zu viert aufgebrochen seien um zu picknicken.
Einer der Männer hatte sich wieder unter Kontrolle und meinte, das man doch wohl noch mal nachsehen müsse, ob man die anderen drei nicht auch finden würde.
Alle zogen los um nach den drei Leuten zu suchen.
Als es Abend wurde, schlugen sie Zelte auf um den weiten weg nicht zurück zu müssen. Alle lagen schon lange in ihren Schlafsäcken als es draußen laut wurde. Erst war ein leichter Wind zu vernehmen, dann wurde es zu einen wahren Sturm, fast wurden ihre Zelte mitgerissen. Danach Schreie, kreischen und Rufe, ein schreckliches Gefühl beschlich die Männer. Dann flaute es ab und ein leises wimmern war noch zu hören. Die nahmen ihre Lampen und gingen dem Wimmern nach. Sie stießen bald auf die Felsen und suchten dort alles ab, denn die Geräusche kamen direkt von hier. Finden taten sie nichts, außer ein Paar Damenschuhe und einen Hut.
Sie gingen zu ihren Zelten und schliefen noch ein wenig, denn bei dieser Dunkelheit würde man nichts finden können.
Als an diesem Morgen die ersten Sonnenstrahlen die Erde wärmte, standen die Männer auf um weiter nach den Vermissten zu suchen. Das Laub der Bäume hatte sich längst bunt gefärbt und bedeckte alles mit seiner Pracht.
Bald schon würde es Frost geben und der Winter würde nicht lange auf sich warten lassen.
Sie gingen zu der Stelle, wo sie die Schuhe und den Hut gefunden hatten. Suchten noch einmal alles ab doch sie
fanden nichts. Einer der Männer stieg den Berg etwas hinauf bis zu einer Einbuchtung und rief laut um Hilfe.
Alle kletterten so schnell sie konnten hoch zu ihm und sahen auch gleich was los war. Hier lag eine der beiden Frauen. Alt und runzelig war ihr Gesicht, ihr Haare schneeweiß und lang. Das war aber nicht das Schlimmste.
Ein Arm der Frau steckte in der Felswand, einfach mitten drin, kein Ritz und nichts war zu sehen, wo sie ihn hätte hineinstecken können. Die Männer mussten sich erst einmal umdrehen und tief Luft holen.
Als sie wieder im Dorf ankamen, sie hatten die Frau mitgebracht, wurde hinter vorgehaltener Hand getuschelt.
Sie brachten die Frau in die Totenhalle und gingen nach Hause. Der Doktor des Ortes sah sich die Toten an und stellte fest, das beide kein Blut mehr in sich hatten, aber wie es zu dem Alterungsprozess gekommen war konnte er nicht sagen. So begrub man die beiden „jungen Leute“ nebeneinander und schwieg sich über alles weitere aus.
Der Pfarrer jedoch, ihm ließ diese Sache keine Ruhe, las in den alten Büchern des Ortes. Hier waren alle möglichen und unmöglichen Vorfälle aufgeschrieben. Unter anderem hieß es, das da einmal vor 100 Jahren etwa, zwei junge Menschen in den Bergen verschwunden seien und nie mehr gesehen wurden. Weiter hieß es das sie noch am Leben seien und nicht sterben könnten. Es liege ein Fluch auf ihnen, weil sie ihre Neugierde nicht stillen konnten und den „eiligen Ort“ betreten hätten. Hier mussten sie bleiben und ihnen würde jedes Jahr das gleiche wiederfahren, jedes Jahr am gleichen Tag und am gleichen Vorfall sterben. Das hieße, so dachte der Pfarrer nach, die würden erfrieren. Denn all das geschah mitten im Winter, so wie es hier stand. Er überlegte und las dann weiter, was in der, so zu sagen, Beschreibung, der Ereignisse stand. –
Dieses Tal in dem der Winterwald verborgen ist, wird von hohen Bergen umgeben, sodass niemand hinein kommen kann. Und wenn es doch einmal passieren würde, ja dann...
Du wirst es erleben, wenn die Bäume des Winterwaldes erwachen und aus dem Reich der Dunkelheit emporklettern und sich den Weg durch die hart gefrorene Erde bahnen. Langsam ganz langsam strecken sie ihre Spitzen durch das Eis. Es Knackt und Kracht, ein Ohrenbetäubender Lärm wird dir entgegen schlagen. Kreischen, wie alte Weiber werden sie. Doch ist die Erde erst gebrochen, wachsen sie mit enormer Geschwindigkeit heraus um dann wiederum zu tosen und jammern, weil der Frost ihnen nicht erlaubt zu erblühen. Alles wird mit einer dicken Schicht Eis umgeben sein und alles wird kreischen und knirschen, dass dir die Harre zu Berge stehen werden. Auch du wirst zu Eis erstarren, es wird dich langsam auffressen, bis du denkst, das deine Adern platzen, es wird ein schrecklicher Tod sein.
Der Pfarrer las die Geschichte immer wieder, fand aber nicht ein Wort darüber, wie der Fluch behoben werden könne. Seine Augen brannten ihm schon und er legte sich zu Bett um einmal darüber zu schlafen. Doch er fand keine Ruhe, immer wieder ging ihm alles durch den Kopf. Am anderen Tag machte er sich auf den Weg zu einer sehr alten Frau, diese konnte selbst nicht mehr sagen wie alt sie war. Sie hatte es einfach vergessen, nur eins nicht, die Geschichten des Dorfes.
So fragte der Pfarrer diese Frau darüber aus was damals geschehen war und was man dagegen tun könne. Aber die alte Frau antwortete ihm nicht, sie gab ihm statt dessen ein Buch, handgeschrieben von ihr natürlich, in dem diese Geschichte verzeichnet war. Aber all das hatte er schon in der Kirchenkronik gelesen. Nun war er genau so schlau wie vorher. –
Meine Großmutter machte eine lange Pause bis sie weiter sprach. So steht es heute noch in der Kronik. Nie hat jemand den Weg gefunden und auch heute hört man die Schreie und Geräusche noch, sagt man. Ich war dort und habe mir alles angesehen, aber ich hatte schreckliche Angst bekommen, denn eine Stimme sagte immer wieder, geh fort von diesem Ort und komme nie zurück.
Wieder lief ihr eine Träne herunter und ich stand auf und nahm sie in die Arme.
Dann lehnte sie sich zurück und schlief ein.
In dieser Nacht fand ich keinen Schlaf und stand schon sehr früh auf. Ich schaute aus dem Fenster, es lag dicker Nebel über den Wiesen und Feldern. Den Berg konnte man kaum noch sehen. Der Berg, immer wieder dachte ich an den Winterwald, war es wirklich so wie man es sich erzählte. Ich mochte es nicht glauben und doch...
Nach dem Mittagessen legte ich mich ein wenig hin und schlief auch sofort ein. Doch den Traum den ich hatte werde ich wohl nie vergessen können.
Eine leise Stimme rief meinen Namen, immer und immer wieder hörte ich es.
Ein leises Wispern, dann wieder Rufe und weinen. Plötzlich kreischen und schreien, dann war ruhe. Ich ging langsam auf den Berg zu und fand eine Stelle in der Felswand durch die ich hindurchschlüpfen konnte. Der Weg war mit buntem Laub übersäht und sehr glatt. Ich rutschte aus und fiel hin, tat mir jedoch nicht weh. Ich wollte meine Hand von den nassen, klebrigen Blättern befreien,
was war das, Blut? Aber das konnte nicht sein hier war nichts zu sehen. Plötzlich wieder diese Stimme, sie rief nach mir... komm – komm –
Ich ging weiter, langsam, einen Schritt vor den nächsten. Ganz plötzlich wurde es dunkel, ich erschrak und zog meine Jacke enger um mich. Wieso ist es nur so kalt geworden, so schnell, das ist nicht möglich. Ich wusste nicht mehr was real und was Traum war. Wieder die Stimme, komm – komm –
Irgendetwas zog mich weiter, weiter aber wohin, ich sah nichts. Es war nicht ganz dunkel aber auch nicht hell, ich begriff es nicht, ich konnte nichts erkennen. Was ist das nur, es ist unmöglich, das man sehen kann und doch nichts sieht. Ich war ganz konfus. Mir wurde eiskalt und meine Nase klebte fast zusammen beim Luftholen. Und nun rutschte ich mehr, als das ich ging. Überall sah ich nur noch Eis. Mir war als würde ich am Boden festfrieren, konnte ich meine Beine nicht mehr bewegen? Doch aber es schmerzte. Und wieder diese Stimme, komm – komm –
Ich erschrak fürchterlich als es auf einmal anfing zu krachen und, wie soll ich es beschreiben, klirren, quitschen, splittern von Glas nur viele male lauter und bedrohlicher. Dann dieses schreckliche Geschrei, ein quälendes Geschrei. Da hatte jemand furchtbare Schmerzen, so dachte ich. Ich schrie auf, denn vor meinen Füßen brach die Erde auf und in wenigen Sekunden stand ein großer Baum vor mir. Er war über und über mit dickem Eis beschichtet und er schrie. Ja, er schrie, ich hörte es ganz genau. Ich wich dem Baum aus und nahm einen anderen Weg. Einen anderen Weg? Ich weiß nicht, ich ging einfach, wohin auch immer. Mein Trommelfell würde bald zerreißen, so schrecklich laut war es und immer wieder diese entsetzlichen Schreie. Es wurde hell und wieder dunkel, aber ich wusste nicht ob es Tag oder Nacht war. Ich schaute mich um, wo war ich hier nur hingeraten, ich konnte nur noch Bäume sehen und alle waren in dicke Eisschichten gehüllt. Komm – komm zu mir, es fühlte sich an, als ob eine kalte Hand nach mir griff. So war es auch, eiskalte Hände nahmen die meinen und zogen sie an einen Mund. Ich kann es kaum beschreiben, in diesem Moment sah ich nur meine Hände an einem Mund. Schrecklich, ich verspürte aber keine Angst mehr. Ich wurde müde...
Schlaf nicht ein mein Lieb, rette deinen Liebsten, schenke mir etwas von deinem warmen Blut...
Mein Lieb, benetze mein Herz mit deinem Blut, nur so kannst du mich retten.
Das war das Letzte was ich hörte und sah.
Ich wurde unsanft an der Schulter geschüttelt. „Steh endlich auf du Langschläferin.“ Ich blinzelte, es war sehr hell hier, wo war ich denn nun?
Großmutter? „Was ist denn geschehen? Du bist ja so fröhlich heute.“
„Ich möchte dir danken mein Kind“, sagte sie. „Wofür denn Großmutter?“
Sie ging aus dem Zimmer und ich hörte noch als sie sagte: „Nun kann er schlafen, endlich ist er erlöst, hab Dank mein Kind.“
Ich dachte an diesen Traum und sah dabei meine Hände an und erschrak. Sie waren mit Blut beschmiert...

Nachtrag: In unseren Bergen gibt es ein wunderschönes Tal. Dieses Tal ist von Bergen umgeben und dort ist ein Wald, er heißt „Der Winterwald“, nur gibt es dort keinen Winter mehr. Es blüht und grünt dort das ganze Jahr über.
Wenn man diesen Wald betritt, stehen da zwei Bäume, sie sehen aus wie die Gestalten von einem Liebespaar.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.03.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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