Katja Heinrich

Sodbrennen - 4. Der Einkauf

 

Ich muss einkaufen! Es geht nicht anders, ich habe nichts mehr da.
Nervös gehe ich in die Küche, checke, ob der Herd aus und die Tür vom Tiefkühler anständig geschlossen ist. Auch die Mikrowelle ist aus. Hektisch laufe ich ins Bad, die Waschmaschine ist auch aus, der Wasserzulauf abgedreht. Ich hetze in den Flur, schnappe mir meine Jacke, prüfe noch einmal, ob ich Handy, Schlüssel und Portemonaie eingesteckt habe, atme tief durch, entriegle meine Wohnungstür und trete hinaus - noch bevor diese wieder zufällt, reiße ich in atemloser Hysterie den Schlüssel aus meiner Tasche, stecke ihn rasch ins Schloss und lasse dann aufatmend die Tür zufallen, schließe zweimal ab.
 
Schon als ich in der Tiefgarage meines Miethauses zum Ausgang fahren will, bin ich gereizt, denn vor mir fährt eine Frau!
Sie fährt augenscheinlich einen Panzer durch ein Nadelöhr - natürlich hat sie Zeit. Tief atmend versuche ich Ruhe zu bewahren (ich möchte mir die Haare ausreißen ob dieser beispiellosen Fahrkunst), die mir aber sogleich auf der Straße abhanden kommt. Die Frau hat denselben Weg.
Ich werde wahnsinnig.
Schneckengleich zuckelt sie in Seelenruhe vor mir die Straße entlang - und ich kann nicht überholen - natürlich reichlich Gegenverkehr. Die Frau fährt 30 - HIER IST 50 - brülle ich ihr aus dem Fenster zu und gestikuliere wild. Ich stehe kurz vorm Schlaganfall.
 
An meinem Supermarkt angekommen (nach einer Unzahl von Flüchen und schier endlosem Geschleiche ist diese Frau endlich abgebogen) - ich gehe immer hier einkaufen, ich kenne jedes Regal, jeden Winkel, jede Ware und alle Mitarbeiter - ist meine Laune im zweistelligen Minusbereich und mein Puls im dreistelligen Plusbereich.
Wütend vor mich hin zischend steige ich aus meinem Auto, knalle die Tür zu, reiße einen Einkaufswagen an mich und stürme den Laden.
 
Ich atme auf.
 
Nahezu entspannt schlendere ich an der Obstauslage vorbei, greife hier und da zu, lege reichlich Fleisch in mein Wägelchen (manchmal habe ich eine solche Fleischgier, dass ich meine Zähne in ein rohes Rind rammen möchte), etwas Käse, Rotwein, dies und das.
Als ich in den Gang komme, in dem normalerweise meine Energydrinks zu finden sind, bleibt mir das Herz stehen und mein Blick krampft sich in die leere Stelle im Regal.
Ich bekomme Atemprobleme, sehe Doppelbilder und beginne zu schwanken. Da ist nichts - mein Lebenssaft ist ausverkauft. Wer in diesem verfluchten Ort außer mir säuft dieses Zeug?
Panik.
Hinter mir schiebt sich eine tranige fette Kundin an das Regal und ihren Einkaufswagen zwischen mich und die leere Stelle.
Ruckartig kehre ich in diese Welt zurück und weiche der Frau aus, bevor sie mich berührt.
Ich kriege Herpes, wenn fremde Menschen mich anfassen, alleine die Vorstellung davon lässt mich dieses Kribbeln an der Oberlippe spüren!
Hysterisch sehe ich mich nach einem Mitarbeiter um, entdecke sogar einen und frage nach meinen Energydrinks. Mit freundlich-mildem Lächeln erklärt er mir, dass sie immer etwas im Lager für mich aufbewahren, seit ich diese Panikattacke hier im Laden hatte (huch sowas, naja - man muss eben wissen, wie man zu seinem Willen kommt!).
Das Schicksal hat also doch noch ein Einsehen mit mir (ich spiele gerne mein eigenes Schicksal) und ich bekomme eine Palette meines Lebenssaftes.
Glückselig schiebe ich mein Wägelchen zur Kasse, überhole frech einen Mann im besten Alter (wann sind sie das je?) - um dann abrupt wie hypnotisiert zu bremsen, so dass der Kerl in mich hineinrennt (hat der Depp keine Augen im Kopf?).
Zwei Kassen geöffnet, an keiner sitzt jemand bekanntes. Ich kann so nicht zahlen. Da muss eine meiner beiden Kassiererinnen sitzen. Ich zahle nur bei denen. Ich kenne die mit Namen!
Manchmal kommt es knüppeldicke.
Ich lasse meinen Wagen vor der Kasse stehen und verlasse fluchtartig den Laden.
Unterwegs rufe ich vom Handy aus den Marktleiter an, er kennt mich. Ich erkläre ihm, wo meine Einkäufe zu finden sind und bestehe darauf, sie in spätestens einer Stunde bei mir zuhause zu haben.
Kaum betrete ich meine Wohnung, klingelt es auch schon an der Tür. Der Azubi bringt meine Einkäufe - er kennt mich.
Kurze Zeit später sitze ich glücklich mit einem Energydrink und einer Zigarette am Computer.
Meine Welt.
Die Tür habe ich zweimal verriegelt!

Ich gehe nie mehr einkaufen.
 


(c) Katja Heinrich

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.03.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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