Germaine Adelt

Ein braves Mädchen

   Noch ehe ich mich versah, hatte er das Tier an die Kette gelegt. Dann nahm er die Peitsche und ließ sie wie ein Dompteur kurz auf dem Boden aufschlagen. Ich sah ihn flehend an und hoffte noch immer auf sein Einsehen. Es war klar, dass er mit dieser Aktion eigentlich mich bestrafen wollte und so gesehen hatte er sein Ziel erreicht. Ich wusste, was nun kam, und ich wollte es auch nie wieder sehen müssen. Aber er grinste mich nur an und dann ließ er mit voller Wucht die Peitsche auf das Tier niedergehen.

   Noch nie hatte er derart zugeschlagen. Der Hund jaulte so laut auf, dass ich vor Schreck erstarrte, und dann verwandelte sich Dundee in eine Bestie. Mit gefletschten Zähnen sprang er zielgerichtet auf die Kehle seines Peinigers zu. Martin, der gerade zum zweiten Schlag ausholte, wich instinktiv zurück, blieb dann aber großkotzig stehen. Es bereitete mir schon eine gewisse Genugtuung, zu sehen, dass er sich diesmal verkalkuliert hatte und seine Arroganz endlich einmal bestraft werden würde. Er hatte Dundee an die falsche Kette gelegt. An die lange, die für den Auslauf. Als er seinen Fehler erkannte, war es schon zu spät. Der Hund sprang ihn an und packte zu. Dann kam er zu mir und legte sich regelrecht vor meine Füße. Martin blieb wie versteinert stehen und starrte mich fragend an.

   Wie in Zeitlupe färbte sich sein Hemd rot. Mit der hohlen Hand fing er sein Blut auf und begann bedrohlich zu wanken. Ich konnte nicht anders und ging auf ihn zu, um ihm zu helfen. Er war auffallend blass und sein Blick wurde glasig. Ich überredete ihn, sich hinzusetzen, denn wenn dieser große, schwere Mann ohnmächtig werden und umfallen sollte, würde er sich am Ende noch mehr verletzen.

   Ich ging in die Küche, um eine Schüssel mit Wasser und einen Lappen zu holen. Schließlich konnte die Wunde nicht allzu groß sein und vielleicht konnte ich sein wertvolles Hemd un-auffällig reinigen, bevor er einen seiner Wutanfälle bekam. Als ich zurückkehrte, hatte er sein Hemd schon geöffnet und entfernte mechanisch aus der Wunde kleine Kügelchen, die wie Styropor aussahen.

   Es war Fettgewebe, dessen war ich mir sicher. Zwar war ich nicht im Bio-Leistungskurs, was meine Lehrerin immer wieder erneut bedauerte, aber soviel hatte ich in der Neunten beim Thema Hautschichten mitbekommen.

   Ich wollte seine Verletzung vorsichtig auswaschen, aber er wehrte mich wie ein Betrunkener mit fahrigen Bewegungen ab. Als ich dann die Wunde sah, wusste ich warum. Dundee hatte nicht nur einfach zugebissen. Was auch immer der Hund getan hatte, in Martins Brust hatte es einen Krater hinterlassen, in den ich meine Faust hätte legen können.

   „Was hast du getan?“, flüsterte ich und fing an zu weinen. Er würde ihn töten. Er würde ihn einfach totschlagen. Wenn auch nicht hier und heute, war es nur eine Frage der Zeit. Dundee hatte ihm in seiner Notwehr den Grund gegeben, den er brauchte. Selbst den offiziellen Weg konnte er beschreiten. Kein Tierarzt würde jetzt zögern, Dundee einzuschläfern. Martins Wunde war groß genug, um eine tödliche Injektion zu rechtfertigen.

 

   Dundee hatte mich vom ersten Tag an zu seinen Alphawolf erklärt und das, obwohl ich es nicht wollte. Ich mochte ihn einfach nur und hatte ihn vor Martins Launen in Schutz genommen. Manchmal bin ich regelrecht verzweifelt, wenn der Hund nicht die absurden Kunststückchen vollführte, die Martin so oft von ihm verlangte, und somit eine Bestrafung sicher war. Dundee gehorchte nur mir aufs Wort und das war das Schlimmste, was er tun konnte. Martins Wut war dann grenzenlos.

 

   Ein Alibi musste her. Das war die Lösung. Wenn man mich und Dundee irgendwo da draußen sehen würde, könnte ich alles abstreiten. Ich musste nur das Hoftor auf lassen. Dann könnte es irgendein streunender Hund gewesen sein.

   Es war nicht ungewöhnlich, dass ich mit Dundee zur Schleuse ging, weil er dort so gern badete. Warum also nicht auch heute? Vielleicht würde ich auch diesen Frank wiedertreffen. Der junge Polizist, der definitiv ein Auge auf mich geworfen hatte. Wenn er mich heute wieder zu einem Eis einladen sollte, würde ich bestimmt nicht nein sagen.

   Aber letztlich war es egal, wem ich begegnete. Es ging nur darum, gesehen zu werden und erst in ein paar Stunden zurückzukehren. Niemand würde Dundee so eine Tat zutrauen. Und selbst die geringsten Zweifel würden sich zerstreuen, aufgrund der Tatsache, dass ich ja dann sofort Hilfe geholt hätte. Martin konnte sagen, was er wollte. Niemand würde ihm glauben.

   Dieser Plan beinhaltete zwar, ihn hilflos zurückzulassen und für einen Moment tat er mir auch fast leid. Aber wer wehrlose Tiere quälte, hatte es wohl nicht anders verdient.

   „Hilf mir“, lallte er schwach. Er blutete unaufhörlich weiter und seine Haut war nun beängstigend blass. Aber mein Mitleid hielt sich in Grenzen. Er war ein großer, starker Mann. Und wenn es stimmte, dass die Blutmenge eines Menschen proportional zum Körpergewicht war, stand ihm mehr als genug zur Verfügung.

   Wenn ich Dundee schützen wollte, musste ich jetzt sofort los. So brachte ich die Schüssel und den Lappen zurück in die Küche und war ganz froh, dass nichts davon mit Martins Blut in Berührung gekommen war.

 

   Leise öffnete ich das Hoftor und ließ es nur angelehnt. Ansonsten wäre das Risiko zu groß gewesen, dass jemand ungefragt hereinplatzte und so meinen Zeitplan gefährdete.

   Martin saß noch immer wie ein Buddha im Sand und betrachtete mit glasigen Augen seinen immer größer werdenden Blutfleck. Nur mit Mühe widerstand ich dem Impuls, ihm zu helfen und endlich einen Krankenwagen zu holen. Ein Blick auf Dundee holte mich zurück in die Realität. Martin würde es mir nie danken, wenn ich hier bliebe, und seine Rache würde diesmal barbarisch ausfallen. So verließ ich durch die Vordertür das Haus. Dundee hatte ich natürlich angeleint. Immerhin war ich ein braves Mädchen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.03.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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