Norbert Friehe

Morgenstimmung mit Hund

‚Es ist wieder so weit’, spricht der kleine Traumsoldat in meinem Kopf. So teilt er mir jeden Morgen mit, dass ich aufstehen soll. Der kleine Kerl spaziert so lange in meinem Hirn hin und her, bis ich mich endlich erhebe. Ich gebe nach und stehe auf, zwar noch ziemlich knurrig, aber ich habe auch meine Pflichten. Wenigstens versuche ich, diese wahr zu nehmen und wenn sie auch nur in Gestalt unseres Hundes Charlie daher kommen. Mein ‚Junge’ ist Pflicht genug. Sein Hecheln sagt mir: ‚Alter, gib Gas, ich will raus.’ Und während seine Aufforderung langsam in mir verhallt, lausche ich nach den sonst üblichen Geräuschen wie zum Beispiel den vorbei fahrenden Autos mit den Nachbarn auf dem Weg zur Arbeit. Aber ich höre nichts.
 
Ist das Fenster zu? Bin ich taub geworden?
 
Als wenn die Welt in Watte gepackt wäre. Es riecht ein wenig merkwürdig und ich stelle fest, dass das Schlafzimmerfenster doch geöffnet ist. Mich erreicht ein Luftzug mit Schneegeruch, kann es kaum glauben. Ich habe keine Ahnung, wann ich das letzte Mal Schnee gerochen habe. Trotzdem ist dieser Geruch in meinem Wahrnehmungsspeicher vorhanden, wie eingebrannt. Erinnerungsfragmente einer unbeschwerten Kindheit.
 
Ich beginne, mich wohl zu fühlen, irgendwie beschützt, eingehüllt in ein ekühleRuhe,diedochinnereWärmeerzeugt.Ohneeseigentlichzumerken,habeichmeinemorgendliche‚ Katzenwäsche’ erledigt, weil mein bester Kumpel schon wartend vor der Tür sitzt. Duschen werde ich nachher, denke ich und streife dem Hund sein Halsband über, spüre dabei sein seidiges, warmes Fell und fühle mich immer besser.
 
Wir haben ihn, seinen ursprünglichen Instinkten entsprechend, als Wolf erzogen und ich wünsche ihm von ganzem Herzen, dass er ein einziges Mal in seinem Leben durch eine unendliche, schneebedeckte Landschaft laufen kann. Irgendwo in Alaska, zusammen mit seinen Urvätern, den Wölfen. Es ist mein Traum, gemeinsam mit meiner Frau und ihm irgendwo in der kalten Einsamkeit vor einer Holzhütte zu sitzen und sich gegenseitig Wärme spendend einfach nur gut zu fühlen, fernab jeglicher Zwänge und einer kranken Zivilisation, die Zeit nicht als Qualität erkennt sondern zur Quantität verkommen lassen hat.
 
Und nun geht es hinaus in die Morgenkälte. Der Neuschnee knirscht unter den Sohlen, die eisige Luft trifft meine nikotinverseuchten Bronchien wie Nadelstiche und ich beschließe zum was weiß ich wievielten mal, das Rauchen aufzugeben. Charlie steht der Dampf seines Atems wie eine Nebelwolke vor der Schnauze. Er ist übergangslos einem Freudentaumel verfallen und tollt wie ein Verrückter über den verschneiten Fußweg, findet gar kein Ende, rollt und schiebt sich gleichzeitig durch den Schnee und schnappt nach den herab rieselnden Flocken.
 
Ich beobachte sein Treiben und freue mich für ihn, denke aber auch wehmütig daran, dass er vielleicht mal irgendwann nicht mehr da ist und schwöre mir, mich dann darüber zu freuen, dass ich oder besser wir, ihn haben durften. Immerhin hat er unser Leben in den letzten beinahe neun Jahren unglaublich bereichert und nach vielen Tiefschlägen erst wieder lebenswert gemacht.
 
Als wenn er meine aufkommende Melancholie spürt, kommt er wie ein Wahnsinniger angesaust, bremst kurz vor mir ab und rutscht auf seinem dicken Hintern wegen der Glätte an mir vorbei. Ich muss unwillkürlich lachen. Genau das ist seine unbekümmerte Art, die mich immer wieder fröhlich stimmt und unter anderem Lieferant zahlreicher Geschichten ist. Er lebt jeden Tag von Anfang bis Ende vollkommen bewusst und denkt nicht an das Morgen. Jede Sekunde ist für ihn ein Erlebnis. Ich beneide ihn um diese Fähigkeit.
 
Mittlerweile wird das Schneetreiben immer dichter, während ich Kaffeedurst verspüre. Charlie bekommt von mir einen seiner Lieblingsbrocken und wir stapfen gemeinsam durch die weiße Pracht nach Hause. Das schwarze Lebenselixier ist schon fertig und wartet nur darauf, von mir getrunken zu werden.
 
Mein vierbeiniger Freund hat es sich, einem morgendlichen Ritual folgend, bereits auf dem ‚Hundesofa’ bequem gemacht und wartet, dass der Alte endlich wie jeden Morgen die Glotze einschaltet, um die neuesten Nachrichten aus einer allzu kaputten Welt aufzusaugen. Mein Sessel steht genau neben seinem Lieblingsplatz im Wohnzimmer und sein Kopf liegt wenige Zentimeter von mir entfernt, also zum Streicheln nahe, auf der Couchlehne. Der alte Schlemihl weiß genau, was er will.
Ich ziehe die Vorhänge ein wenig zur Seite, weil ich es gern sehe, wenn draußen allmählich der Tag erwacht und die Flocken fallen. Es ist diese eigenwillige Farbgebung, die mich fasziniert. Grau, halbdunkel und doch wieder nicht, durchzogen von violetten Streifen der am Horizont langsam aufsteigenden Sonne, reflektierend auf dem Weiß des gefallenen Schnees. Daran kann ich mich so sehr erfreuen, dass ich heute sogar die Nachrichten ignoriere. Sie existieren nur als Geräuschkulisse einer morgendlichen Zeremonie, die meine inneren Wogen glättet und kommen mir langweilig vor. Darum schalte ich auf einen  anderen Kanal um, in dem vornehmlich Tierdokumentationen gezeigt werden. Charlie schaut auch gern Fernsehen.
 
Heute gibt es einen Bericht über Wölfe und Büffel. Beides erweckt unser Interesse, die wir einsam und verlassen - Frauchen schläft noch - vor dem Schirm sitzen.
 
Karlchen, wie ich ihn manchmal auch nenne, döst zufrieden vor sich hin und öffnet nebenbei ein Auge, um zu schauen, wer oder was da so grässlich heult. Als er die Wölfe sieht, stellen sich die Ohren auf und seine Augenbrauen heben sich aufmerksam, mal rechts, mal links. Meine Hand verirrt sich zu seinem Kopf und streichelt ihn, während er wohlig aus tiefer Brust knurrend, den Schädel in den Nacken legt, um den vollen Umfang der Streicheleinheiten besser genießen zu können, tauscht so seine Energie mit meiner aus. Mir wird warm ums Herz. Dies sind Momente, die, wie ich glaube, durch kein Geld der Welt zu ersetzen sind und mir fallen die Worte aus der Bergpredigt wieder ein, in der Jesus sagte: ‚Was hülfe es, wenn ich die ganze Welt gewinne und nehme doch Schaden an meiner Seele’.
 
Nach meiner Überzeugung ist es viel wichtiger, in seinem Inneren zufrieden und mit sich selbst im reinen zu sein, als steinreich und seelisch verkrüppelt, blind von der Jagd nach Liebe, Macht und Reichtum durchs Leben zu laufen und dabei auszubrennen. Mir würde die unglaubliche Vielfalt des Lebens in seinen Erscheinungsformen entgehen. Ich könnte mich wahrscheinlich nicht einmal mehr über das Lächeln eines Kindes freuen oder über ein schlichtes ‚Dankeschön’. Aber gerade das ist aus meiner Sicht der Dinge Lebensqualität.
 
Mit diesen Gedanken wende ich mich wieder Charlie zu, der wohl auf unerklärliche Weise meine Stimmung aufgefangen hat. Er liegt völlig entspannt und friedlich neben mir. Ganz selig ist er eingeschlafen und schnarcht vor sich hin.
 
 
 
Ich habe es nicht einmal mitbekommen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.04.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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