Wolfgang L. Mayr

Das Begräbnis

 

Er stand inmitten dem Meer aus Tränen und Trauer. Sein Gesicht war bleich und die Ringe unter seinen Augen waren so dunkel wie sein Anzug. Die Haare waren ungekämmt und ungewaschen, erinnerten an ein Weizenfeld in das der Sturm gefahren war. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und er hatte sie tief in seinen Hosentaschen vergraben. Er konnte kaum noch atmen, wie ein eiserner Gurt schnürte die Trauer seine Brust zu. Den Blick hatte er gesenkt und mit seinen Gedanken war er auf der Reise in seinen Erinnerungen an sie.
Von der Zeremonie bekam er nichts mit, nur hin und wieder riss ihn das laute Wehklagen der anderen aus seinen Hirngespinsten. Doch das Unglück der anderen kümmerte ihn nur wenig.
Er konnte nur an Andrea denken. Die Zeit mit ihr war, im Nachhinein betrachtet, die schönste Zeit seines Lebens gewesen. Er hatte schon viele Frauen gehabt, sie aber war die schönste von allen. Er hatte sie geliebt, doch das hatte er erst begriffen, als sie nicht mehr da war. Verzweifelt versuchte er sie in Gedanken wieder zu fassen. In seinem Kopf geisterten aber nur Bildfetzen  von ihr herum. Ihr wunderhübsches Gesicht, ihr wundervolles Lachen. Plötzlich war ihr Antlitz unerwartet vor Schmerzen verzerrt. Dann wieder ihr perfekter Körper, ihre göttlichen Brüste. Sie bewegte sich so geschmeidig, wie sich eine Frau nur bewegen konnte. Ohne Vorwarnung zappelte ihr Körper wie wild, wie in Panik, als wollte er sich gegen drohende Gefahr wehren.
Als der Sarg mit einem dumpfen Geräusch an seinem endgültigen Ziel, dem Boden des Grabes, ankam, war er plötzlich wieder in der Wirklichkeit. Er blickte in die Menge. Der Schmerz über den Verlust hatte tiefe Furchen in ihren Gesichtern hinterlassen. Ihre Augen schienen so tot wie der Körper von Andrea zu sein. Einer nach dem anderen erwies Andrea nun die letzte Ehre. Jeder warf Erde und seine mitgebrachten Blumen in das Grab. Ein kläglicher Versuch die peinigenden Schmerzen unter der Erde zu begraben. Beim Verlassen der Trauerstätte gingen sie an ihm vorüber, doch keiner würdigte ihn auch nur eines Blickes. Jeder hatte von ihm und Andrea gewusst, gekannt hatte ihn aber keiner von ihnen wirklich. Als nach einiger Zeit dann alle den Friedhof verlassen hatten, stellte er sich noch einmal allein an ihr Grab, um ihr gebührend Lebe Wohl zu sagen. Unvorbereitet wurde er von der Trauer übermannt, sie kam über ihn wie plötzlicher Schlaganfall. Tränen liefen in Strömen aus seinen Augen und benetzten Andreas letzte Ruhestätte. Er zitterte am ganzen Leib. Von seelischen Schmerzen gepeinigt schwankte er hin und her, bis er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Er stürzte auf seine Knie nieder und vergrub seine Hände in der noch frischen Erde. Die schmerzenden Erinnerungen und die quälende Gewissheit, dass er Andrea nie wieder sehen würde, ließen ihn fast verrückt werden. Er stieß einen lauten Schrei aus, der die Menschen außerhalb des Friedhofes noch zusammenzucken ließ. Speichel rann unkontrolliert aus seinem Mund und vermischte sich mit den Tränen zu einem Gebräu endloser Trauer. Er schlug sich mit der Faust selbst auf den Kopf, riss sich seine Haare büschelweise aus und schrie voll Zorn mit sich selbst.
Warum habe ich mich dieses eine Mal nicht beherrschen können?
Warum habe ich sie nicht am Leben gelassen…?

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.04.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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