Wolf-Alexander Melhorn

Die Straße - Erzählung: Ein im KZ gerissenes Schaf

 

 

Arbeit macht frei!



In Fünfer-Reihe wankten wir ihr zu.
Ein jeder für sich selbst,
das Schweigen von Kommandos aufgebrochen.

Geleinte Hunde
- beiderseits -
als jagdbereite Wächter dieser Herde;
erzogen,
sich auf Befehl
ein Schaf daraus zu reissen!





Kaum,
dass wir in den Augenwinkeln
daher die Gebäude sahen,
an denen wir vorüberzogen;
die Lider abgesenkt,
kein Blick den beiden Frauen,
die flüchtig die Gardine hoben,
um sich Geräusche dafür abzusichern,
dass alles war wie jeden Tag.





Längst hatte sich die Hoffnungslosigkeit
der Angst hinzugesellt;
die meisten gaben daher früher auf.
Nur wenige ertrotzten Wochen,
bevor auch ihre Stärke brach
- und ihre Zeit gekommen!





Entschieden wurde dies am Morgen.
Nach der letzten Nacht!
Durch knappen Wink der Gerte.



Kaum einer,
der dann aufbegehrte!
Denn wozu?
Als Beweis von denen,
wie töricht solches Bäumen war?


Zuvor war jeweils noch ein Graben auszuheben
- als Reststück Zeit;
in Spatenlängen abgemessen,
daher zu klein,
sich darauf einzustimmen.

Die Wache stellte Dich dann auf
und schoss,
- kurz aufgesetzt -
in das Genick!
So war es wenigstens vorbei!


Die meisten hielten daher still,
damit der Schuss auch ja gelinge!
Sonst lagst Du,
- eine Warnung! -
Deine Zeit im Todeskampf!







Wir waren überhaupt bemüht,
es denen recht zu machen,
auch wenn,
- nach unserm Stoß ins Dunkel! -
die
unser Licht
danach für ihren Schein missbrauchten!







Schwierigkeiten gab es daher nicht,
mit uns!
Für die.
Da jedermann,
- zu jeder Zeit! -
von denen
auch ganz anders konnte!
Denn wer Befehl Vollzug erschwerte,
der zweifelte an ihnen!
Bekam mit einem Kolbenstoß,
- so richtig in die Fresse! -
die Antwort,
die es brauchte!

Das ist auch nicht persönlich!
- Keineswegs! -
Dachten die.
Fehlt einem Untermenschen
dafür doch Empfinden!
Dem ist Gehorsam die Erfüllung.
Denn einer musste schließlich ihre Heimat schützen!
Und dafür waren nun mal sie die Besten!
Doch war,
In diesem Stolz
manchmal einer auch bereit
- in wahrerGutheit rauher Männer! -
nur einfach seinen Dienst zu tun!





Und solcher Geist
trieb uns're ausgezehrten Leiber!
Hinauf,
die schmale Straße,
auf den Berg!
Vorbei an jenem Dorf,
mit seinem namenlosen Namen,
in dem nur ein paar unerfüllte Frauen
die Arbeit jener Männer taten,
die irgendwo,
„im Feld“ .
- für ihre Ehre und ihr Vaterland;
auf einer Steppe;
zwischen Steinen,
Eis;
im Sand.



Die hier die Straße aufwärts schwankten,
die hatten gleichfalls nicht gewählt!
Auch ihnen war das so entschieden.

Von fünfzehn Kreaturen!

Die formten anderswo Befehle,
die dann
- wie flüssig Teer -
in sechszehnhundert Lager tropften!
Dort mengten sie,
aus Blut und Leid
und schwarzem Dreck,
sich einen Brei,
der längst schon
in die Ewigkeit hinüberfaulte!



Von solcher Zukunft der Geschichte
wusste aber keiner!
Wir standen reglos beim Appell;
verbrauchten uns durch Arbeit,
bis der Wink der Gerte
unsre Endlichkeit befahl.









Wir zogen folglich diese Straße hoch;
gespiegelt in geputzten Fenstern,
begafft von Kindern,
die ihre Neugier stumm gemacht
- Ereignis einer Kinderwelt;
geleitet von Maschinenwaffen,
die
- wie selbstbewusst! -
nicht mal entsichert waren,
nach Vorschrift aber stets Gewähr,
dass nichts den Tagesfrieden störe.







Da strauchelte der eine!

Diesen Tag,
den hatte er noch haben wollen,
wohl ahnend,
der werde dann sein letzter sein!
Nur wollte er sich selbst beweisen,
dass er
die Gerte selber wählte;
noch ein Mal selbst bestimmte,
bevor es die Pistole tat!



Und hatte es auch noch geschafft,
wieder vor das Tor zu kommen;
die endlos lange Steigung hoch;
vorbei an diesen Häuserhöhlen,
die sich beschämt ans Pflaster duckten.



Das aber hatte nun
den Rest an Kraft aus ihm gebrochen!
Für die kroch eine Schwäche in die Brust
und presste stechend in sein Herz!





Er stürzte daher;
fiel seitwärts auf den Hund,
den einer an der Leine führte.







Das Tier sah seinen Angriff kommen;
die Arme,
die bedrohlich um sich schlugen;
den Körper,
der gewaltsam etwas tat!

Und in weggeduckter Furcht
und Zwängen der Erziehung,
verbiss es sich in diese Kehle
und riss mit jähem Ruck
die Gurgel aus dem Feind heraus!

Dessen Blut verpulste,
als er mit klagend weiten Augen,
lautlos
nun um Hilfe schrie!









In jähem Schrecken prüfte sich der Herr,
ob ihm der Hund nun noch gehöre!

Verdammte Weibischheit,
der Ekel drohte ihn zu würgen!
Dann hatte er sich neuerlich im Griff,
zog sich jedoch
- wie in Bedrängnis vielen eigen! -
als Stütze auf die Pflicht zurück
und ruckte herrisch an der Leine.

Und der Befehl tat seinen Dienst:
Das Tier,
den Fetzen Mensch in aufgewölbter Lefze,
stand in dem Blutgeruch,
der dem Röchelnden entströmte!

Klackend wurden Waffen scharf;
Hunde jaulten aufgehetzt,
als sie der Hass durchglühte,
der jählings alles überflammte!









Ein Unterführer kam heran,
Erregungsflecken im Gesicht.

„Was’ denn los, Mann?“
fuhr er den Kameraden an.

„Der Scheißkerl hat ihn angefallen!“
Verlegen,
weil das ihm geschehen,
wandte er sich danach ab.
„Aus!“
Das Tier ließ ab
vom Brocken Fleisch,
die Zähne jedoch weiter scharf,
um auf Befehl
erneut Gehorsam zu beweisen.

„Brav, mein Lieber! - Gutes Tier!.“
Das Streicheln war dem Lohn genug.





Der Unterführer sah sich hastig um.
Es maßen sich,
- in angsterfülltem Hass! -
nun beide Seiten.



Da wollte sich aus der Kolonne,
zu dem,
der zappelnd auf dem Pflaster lag,
tatsächlich so ein Schwein herunterbeugen!

„Zurück!“
Die Wache hatte die Bedrohlichkeit erkannt!
Als der nicht gleich gehorchen wollte,
schlug eine Salve in ihn ein!

Die andern standen danach stramm.
ihr Widerstand gebrochen.









Noch ein paar Augenblicke
und wieder drängte sich der Gleichmut
zwischen die Gemüter.
Unabänderliches
hat sein eigenes Gewicht!

„Maßvoll“,
wie es im Kasino später hieß.







Der Unterführer trieb sie danach kraftvoll an.
„Aufschließen!“
Und schrie danach,
erleichtert
- in entstauter Wut,
weil ihm der Dienst
hier wirklich Schweres abverlangte! -
„Da gibt es nichts zu glotzen! - Weiter!“













Ein Kind,
auf gleicher Höhe mit all dem,
stand starr,
in unbegreifendem Entsetzen!

Ein Wachmann stieß es zögernd an:
„Nichts für Dich! Das hier!
- Na, geh’ schon, Kleines!
- Zu der Mama...“



Da löste sich die arme Seele
aus dem Anblick dieses Grauens!
In einem menschenleeren Schrei,
der endlos aus dem Wesen quoll,
fand sie zu sich selbst zurück.











Die Mutter fing es schließlich ein,
erstickte diesen Schrei
dann irgendwann mit Tränen.





Jahrzehnte später sagte sie,
erneut bewegt,
in längst verdrängtem Schmerze:
„Das war entsetzlich! Damals!
- Kann ich Ihnen sagen!“

Die Frage nach dem andern
überraschte sie:
„Erschossen.
 Klar!- Was sonst?“

 

 

 

Geschichtensammlung  von Wolf-Alexander Melhorn
unter
http./www.melhorn.de/Geschichten.htm 

 

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Wolf-Alexander Melhorn).
Der Beitrag wurde von Wolf-Alexander Melhorn auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.03.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Wolf-Alexander Melhorn als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Manchmal schief gewickelt von Hermine Geißler



Die Gedichte des Bandes „Manchmal schief gewickelt“ handeln von der „schiefen“ Ebene des Lebens, den tragikomischen Verwicklungen im Alltagsleben und der Suche nach dem Sinn im scheinbar Sinnlosen.
Sie erzählen von der Sehnsucht nach dem Meer, von der Liebe und anderen Leidenschaften und schildern die Natur in ihren feinen Nuancen Beobachtungen aus unserem wichtigsten Lebenselexiers.
Die stille, manchmal melancholische und dennoch humorvolle Gesamtstimmung der Gedichte vermittelt das, was wir alle brauchen: Hoffnung.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Mensch kontra Mensch" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Wolf-Alexander Melhorn

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Aussichtslose Hoffnungen - eine Erzählung von Wolf-Alexander Melhorn (Spannende Geschichten)
Nazis, Stasi und andere verdiente Bürger von Norbert Wittke (Mensch kontra Mensch)
Ängste eines jungen GI von Rainer Tiemann (Krieg & Frieden)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen