Yvonne Habenicht

Buchvorstellung: Keine Spur von Mirko (Kriminalroman)

 

  Ein Kriminalroman ohne Leichen, Blut und die übliche Klarsicht von Gut und Böse. Dafür geht hier um menschliche Schicksale, die nur allzu vorstellbar sind. Im Mittelpunkt ein ergreifendendes Schicksal von Mutter und Kind.

Inhalt
Der kleine Mirko verschwindet plötzlich spurlos aus dem elterlichen Garten. Offensichtlich ist er entführt worden. Monatelang führt die Suche nach Mirko quer durch Deutschland, und das Leben aller Beteiligten gerät dabei völllig aus den Fugen. Erst der Hinweis eines Ex-Häftlings bringt die Polizei schließlich auf eine heiße Spur. Die Entführerin glaubt scheinbar in ihrem Wahn, ihr totgeborenes Kind wiedergefunden zu haben.
Aber Gerichtsprozess gelangt die ganze unfassbare Wahrheit ans Licht. Eine Geschichte um die gewissenlosen Intrigen mächtiger Männer und die Liebe einer Mutter.


Leseprobe

Wie es begann

Keinem von ihnen hatte sie je geglaubt. Nicht den Ärzten auf der Entbindungsstation, nicht den Psychiatern in der psychiatrischen Klinik in den Monaten danach und schon gar nicht ihrer Familie. Nach wie vor war sie der festen Überzeugung, dass ihr Sohn am Leben war. Sie hatte gespürt, wie sie ihn geboren hatte, gespürt, dass er lebte und seinen ersten Schrei gehört. Dann hatte man ihr das Kind gestohlen, geraubt, fortgebracht.
Alle hatten behauptet, das Kind war tot. Es habe überhaupt nicht gelebt und auch nie geschrien. Aber Julia wusste es besser. Eine Mutter wusste, ob sie ein lebendes oder ein totes Kind gebar, und eine Mutter wusste auch, ob sie tatsächlich oder im Traum - wie man ihr weismachen wollte - ihr Kind nach der Geburt schreien hörte. Sie hatte das tote Kind nicht gesehen. Man sagte ihr, sie habe nur geschrien, man habe ihr starke Medikamente geben müssen. Ja, sie hatte geschrien, aber weil alle gelogen hatten, weil ihr Kind fort war. Bis zur Entbindung war alles normal gewesen. Jede Untersuchung hatte bestätigt, dass es dem Kind gut ging. Sie hatte auf dem Ultraschall die kleinen Ärmchen und Beinchen gesehen, den Herzschlag gehört und hatte seine Bewegungen gespürt. Julia war Heilpraktikerin, davor Krankenschwester gewesen, sie wusste doch Bescheid, es gab keinen vernünftigen Grund für eine plötzliche Totgeburt.
Sie war der festen Überzeugung, dass Max dahintersteckte. Er hatte das Kind von Anfang an nicht gewollt, hatte auf sie eingeredet, es abtreiben zu lassen. Er hatte ja schon zwei Kinder und eine Frau. Als Julia darauf bestand, das Kind zu bekommen, hatte er ihr gedroht, sich schließlich von ihr abgewandt. Max hatte genügend Einfluss, ein Kind rauben und verstecken zu lassen. Einfluss und Geld. Geld hatte sie auch, das Erbe der Mutter und die Aktienpakete ihrer Lieblingstante. Wenn sie als Heilpraktikerin tätig war, verdiente sie gut. Aber bei weitem war das nicht mit dem Vermögen eines Mannes wie Max zu vergleichen. Und er hatte ja nicht Geld, sondern viel Einfluss. Es würde schwer sein, ihm auf die Schliche zu kommen. Aber Julia war überzeugt, es zu schaffen, sie würde ihren Sohn wiederfinden, gleich, wo man ihn verborgen hielt.
All die Jahre danach lebte sie nur für die Suche nach ihrem Kind. Seit sie die Psychiatrie verlassen hatte, hatte sie immer wieder die Wohnorte gewechselt, immer wenn sie meinte, es gäbe Anzeichen, in diesem oder jenem Ort könne ihr Kind leben. Es war eine planlose Suche, die verrückt und hoffnungslos anmutete. Sie sah kleine Jungen, die ihr ähnlich sahen, bemühte sich, mit den Müttern ins Gespräch zu kommen und Näheres zu erfahren. Doch stets musste sie nach kurzer Zeit schon feststellen, dass diese Kinder nicht in jener Kieler Klinik zur Welt gekommen waren, dass sie von Nahem besehen eben doch anders aussahen und entweder jünger oder älter waren als ihr Sohn. Dann zog sie weiter, von Rastlosigkeit getrieben. Es gab so viele Kinder.
Trotzdem war sie hundertprozentig sicher, ihren Sohn zu finden, ihren kleinen Benjamin, den man ihr genommen hatte. Zu ihrer Familie hatte sie keinen Kontakt mehr. Jene, die noch lebten, hielten sie schlichtweg für verrückt. "Die hat das mit der Totgeburt nicht verkraftet", hieß es, "da ist nichts zu machen, hat den Verstand verloren". Keiner hatte Lust, sich ihre ewigen Tiraden über Benjamins Entführung und seinen letzten Geburtstag anzuhören.
Das tat sie nämlich, all seine Geburtstage feierte sie. Sie buk einen Schokoladenkuchen, steckte die entsprechende Anzahl Kerzen darauf, baute rings herum kleine Geschenke auf, Bilderbücher und Bausteine, Plüschtiere, Holzeisenbahnen, Malstifte. Dann saß sie in der jeweiligen Wohnung oder einem Hotelzimmer am Tisch und sang Kinderlieder für ihr verschwundenes Kind. Und in diesem Frühling war es schon der sechste Geburtstag gewesen, den sie so verbracht hatte.
Doch diesmal war sie ganz sicher. Die Geschichte stimmte von Anfang bis Ende. Sie hatten sich durch Zufall kennen gelernt, als sie, wie so oft, mit einem Buch auf dem Schoß an einem Spielplatz saß. Die junge Frau saß neben ihr. Der Junge spielte mit anderen Kindern. Die junge Frau hatte angenommen, Julia sei auch mit einem Kind hier. Sie waren ins Gespräch gekommen und Julia hatte erfahren, dass der Junge im April sechs Jahre geworden war. Im April, wie ihr Benjamin.
Während der ganzen Zeit, in der sie mit der Frau redete, beobachtete sie das Kind. Die Frau sah dem Jungen überhaupt nicht ähnlich. Er war strohblond, während die Mutter eine Brünette war. Auch seine Gestalt hatte nichts von der leicht gedrungenen Figur der Mutter. Er war langgliedrig und hatte eine kleine gerade Nase mit vielen Sommersprossen, genau wie Julia. Sie versuchte, es unauffällig zu machen, aber sie konnte kaum noch die Augen von dem Kind wenden. Sie prägte sich jede Einzelheit seines Gesichts, seines Körpers, seiner Bewegungen, seiner Hände und Füße ein. Die Frau fragte, welches Kind das von Julia sei, und Julia meinte, es sei zurzeit bei den Großeltern, sie habe es einfach lustig gefunden, den Jungen beim Fußballspiel zuzusehen. Sie trafen einander noch zwei Mal wieder, schon, weil Julia nun täglich hier auf der Bank saß. Im Laufe der Gespräche erfuhr sie, dass Mirko ein Adoptivkind war und die Familie früher in Kiel gelebt hatte. "Aber er ist wie ein eigenes Kind für uns", sagte die Frau, "er war ja ein Baby, wir hatten Glück."
Julias Herz schlug so heftig, dass sie meinte, die Frau neben ihr müsse es hören. Das musste ein Wink des Schicksals sein, noch mehr Fragen wollte Julia nun nicht stellen. Es könnte auffallen und alles verderben. Dafür ging sie daran Mirkos Familie zu beobachten, Gewohnheiten und Tagesabläufe zu erkunden. Sie tat es unauffällig, trug in der Regel einen Hut, war unterschiedlich gekleidet. Zwei Wochen später zog sie aus Pennewitz fort und richtete sich in einem Dorf im Landkreis Sonneberg eine Wohnung und eine kleine Praxis ein. Sie bewohnte die untere Etage eines kleinen Hauses. In der oberen lebte ein stark schwerhöriger, ehemaliger Dozent für Musikgeschichte. Die ersten Patienten konnte sie an einer Hand abzählen. Doch das spielte auch keine Rolle, denn häufig fuhr sie nach Pennewitz, um weiter die Familie Wohlfeil zu beobachten, die Menschen, bei denen der Junge lebte. Sie tätigte auch eine ganze Reihe von Einkäufen in den unterschiedlichsten Städten und Orten. Nie mehr als eine Besorgung in einem Geschäft und auch nicht an einem Ort.
Mirkos Mutter vergaß die kurze Bekanntschaft schnell wieder. Sie glaubte, die Frau nie wiedergesehen zu haben. Sie konnte nicht wissen, wie oft sie ihr über den Weg gelaufen war. Julia war mal eine Dunkelhaarige mit Brille, mal durch eine rote Perücke verändert. Mit genügend Geschick konnte sie sogar Gang und Stimme verstellen. Sie wollte nichts dem Zufall überlassen.

Der kleine Mirko verschwand am 10. Oktober des Jahres 2000, knapp zwei Wochen nach seiner Einschulung. Es schien, als habe er sich im elterlichen Garten in Luft aufgelöst, während urplötzlich ein heftiger Wolkenbruch und dichte Hagelschauer niedergegangen waren. Die Eltern hatten bei dem Wetter den Jungen im Haus vermutet und waren erst stutzig geworden, nachdem er auf ihre Rufe nicht reagierte. Im strömenden Regen machten sie sich im Garten auf die Suche an allen möglichen Stellen, wo man unterschlüpfen konnte. Doch vergeblich.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 2009-08-08. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).