Auf dem tristen
Hinterhof einer Firma
wuchs eine magere Platane,
die sich bei jeder
Witterung wendete.
Anfangs streckte sie sich
vorwitzig zum blauen Himmel,
dann hingen ihre Blätter schlaff
und angegilbt herab.
Sie wartete lustlos
auf ihren Winterschlaf.
Straßenlärm störte sie nicht,
dafür ödeten sie
kahle Wände an.
Gerne stünde sie
in einem sonnigen Park
neben anderen Bäumen,
neben einer Eibe mit
leuchtenden Herbstbeeren,
einer Trauerbirke
im Goldgewand
und einem Tulpenbaum
mit runden Früchten,
die wie Schiffchen
in Pfützen schwammen.
Ein Mädchen erzählte ihr
von einem solchen Platz,
ein Mädchen, das sie
jeden Tag besuchte,
war es doch so unglücklich
und einsam wie die Platane.
Das Mädchen erzählte
ihr von Gärten mit
violetten und gelben Astern
und braunen Zinnien,
von roten Geranien
auf dem Marktplatz
und rostgelben Buchen
im Springbrunnenlicht
und dem steinernen Paar,
das Hand in Hand
durch ein Getreidefeld
der sinkenden Sonne
entgegenging.
Es wünschte sich,
eines Tages ebenfalls
mit einem Mann
durch ein Kornfeld zu wandern
und einen Feldblumenstrauß
für ihn zu pflücken.
All diese Geheimnisse
vertraute es der Platane an,
diese rauschte mit den Blättern
und tröstete das Mädchen,
bis es eines Tages fern blieb,
und die einsame Platane
traurig in den Winterschlaf fiel.
© Inge Hornisch