Bewerbungsschreiben eines 52-jährigen

 

Hab in der Realschule Wolfenbüttel
mit sechzehn Jahren, die Reife war mittel,
den eben genannten Abschluss gemacht,
danach eine Lehre zu Ende gebracht
als Gipser und Maurer und Stukkateur.
Doch hat man mich dort leider nicht übernommen,
drum hab ich die nächstbeste Chance wahrgenommen
und um- mich geschult auf Installateur.

Doch gab es auch da der Arbeit zu wenig,
drum machte ich am Institut "Brumm & Böhnig"
das Abitur nach, Note: Zwei Komma Vier.
Studierte danach an der Uni in Trier
Sozialpädagogik und Psychologie,
Betriebswirtschaftslehre und indische Mystik,
Philologie, Latein, Germanistik,
sowie Informatik und Biologie.

Ich jobbte zur Studiumsfinanzierung
als Fachkraft zur Täter-Resozialisierung
der Jugendvollzugsanstalt "Berta" in Wittlich.
Bin äußerst erfahren, anständig und sittlich,
und komme daher wohl bestimmt in Betrachtung
für die freie Stelle zum Kinderbetreuen!
Ein Treffen mit Ihnen, das würd mich sehr freuen,
es grüßt Sie recht freundlich und mit hoher Achtung,
Dr. päd. phil. psy. ind. inf. B.W.L.
Joost-Malte Schmitt-Schnalzgerbelhuber aus Zell!

Drauf antwortet Frau Rosa Schlingensief
recht zügig (doch leider auch recht negativ):
"Geehrter (et cetera) Doktor (p.p.),
es tut mir aufrichtig im Herzen weh,
denn Sie sind gebildet und auch distinguiert,
doch stand mir für meine Kinder der Sinn
nach einer studierten ErzieherIN –
haben's denn schon mal als Lehrer probiert?"

Das hat er, doch hat er, tagein und tagaus,
nur Absagen, Absagen, flatternd im Haus.
Kein Blumentopf ist für den Doktor zu kriegen,
er bleibt auf dem Pflaster des Stellenmarkts liegen,
wie'n Kohl, der zwar schön, doch fehldimensioniert
und auch schon zu alt, nicht mehr grün genug!
Kommt bald auf den Acker und unter den Pflug –
Fürs Leben ist er überqualifiziert!