August Sonnenfisch

Die Wandlung des Checkpoint Charlie

 


Die Wandlung des Check-
point Charlie


Kontrollpunkt in Berlin-Mitte von 1961 bis 1990



*
Vier Jahrsiebte trieb er
sein Unwesen:
der Drache des Checkpoint Charlie.
Barrikaden,
Kontrollen bis ins Letzte,
Schüsse auf Menschen.

*
Dort an des Drachen
einstigem
Unort
lädt jetzt
der Snackpoint Charlie
zum schnellrestaurativen Rasten
auf hochbeinigen
Stühlen und Tischen
mit Gläschen, mit Häppchen, mit Tässchen.
Aus viererlei Küchen locken sie dich:
mit deutschen, italienischen,
mit türkischen, mit
chinesisch-asiatischen Auslagen und Düften!
Westlich und markt-demokratisch!

*
Lieber werd ich verlockt, zum Snacken verlockt
als verdonnert: zu des Checkens
Objekt verdonnert,
eines Checkens
bis auf die Knochen -
auf dass nicht einer
der "Ihren" seiner
Internierung entkäme!

Lieber ein Verführter, ein zum Snacken Verführter,
als ein Genötigter, ein zum
Durch-und-durch-Checken Genötigter -
drohten dir doch beim Checken am Charlie
durch die graugrimmig
Uniformierten aus
jener jenseitigen Welt
die Gitter und die Pritschen von Bautzen.

*
Und an die gnadenlos Gemordeten von einst
gemahnt ein musealer Ort,

der unweit des
Snackpoint errichtet.
Weißgekalkt erhebt sich dort eine Wand
vor dem Betrachter, mit einer
Heerschar von Golgathakreuzen davor:
schwarzen, doppelt mannshohen Kreuzen,
für jeden der Ermordeten
eines. Für die Ermordeten,
die ohne Tadel ... ausgenommen
ihre als Staatsfrevel verteufelte Flucht.

Die Geister der Toten betrachten vom
Himmel herab unser Treiben
- falls nicht mit Gewichtigerem
sie gerade zu Gange -
und wir Begnadeten von heute
süffeln und löffeln und schwatzen.
Und wir denken
vielleicht auch an Charlie:
an seine kriegsverbrecherisch tödlichen
Bombengeschwader
und an die Befreier
und an die Bundesgenossen
von jenseits des Atlantik.

Oder vielleicht auch nicht.
Denn Snacken ist bequemer als
Denken und Bedenken.






(c)  August Sonnenfisch, 31. Oktober 2004 ff
 

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