Ingo Baumgartner
Tausend Jahre
Vor tausend Jahren wählten Dörfler eine Mitte,
Um die sich Häuser, Höfe, Kirche drängten.
Sie pflanzten einen Laubbaum nach Germanensitte,
Die Linde, der sie Achtung, Urvertrauen schenkten.
Der Heumond sah die ersten Blätter, klein und zart.
Das dünne Stämmchen, noch gestützt vom Haltepfahl,
Traf jeder Sturm im bitterkalten Winter hart,
Gewann jedoch an Stärke mit der Jahre Zahl.
Das Gotteshaus daneben hörte Christen beten,
Doch Wotans Rabe war noch immer nicht vergessen.
Ins Joch geschlagen sah man Ochsen Furchen treten,
Dem Sonnenstand oblag es, Werk und Rast zu messen.
Der Linde tiefer Schatten wuchs von Jahr zu Jahr.
Es morschten Mauern, neue schuf die Menschenhand.
Sie sah den Wandel hin von blond zu grauem Haar
Und auch der Räuberbanden feigen Mord und Brand.
Die Reiche blühten auf und Fürstentümer schwanden,
Soldaten ruhten unter ihrer breiten Krone.
Es kamen Menschen, Leute oft aus fernen Landen,
Ein Handwerk übten sie zu meist bescheid'nem Lohne.
Jahrhunderte verstrichen, sahen Throne leer,
Despoten, weise Herrscher, Frieden oder Krieg.
Es wuchs der Ort, an Köpfen gab es mehr und mehr,
Gelehrsamkeit und Recht verhalfen sich zum Sieg.
Nach tausend Jahren noch das Zentrum dieses Ortes,
So steht der Baum, Geschichte in der derben Rinde.
Die Chronik schreibt er ohne Klang des Menschenwortes,
Die Feder führt die Würde dieser alten Linde.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.06.2009.
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