August Sonnenfisch

Heute einmal

 

 
H e u t e    e i n m a l
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1. Heute einmal

(1)

Du könntest ja heute einmal ohne
deine Rückengymnastik sein ...
weil deine Gattin, dich dabei wiederum stört
und dir missbilligend rät,
dein Rücken bedürfe der Liebkosung, nicht
solcher Technik!

(2)

Du könntest ja heute einmal ohne
deine Philosophielektüre sein ...
weil deine Gattin dich darin
wiederum unterbricht
und dir erklärt,
solche Bücher zu goutieren sei blässlich,
angesichts eures Talents,
von Eros beflügelt, euch zu lieben!

(3)

Du könntest ja heute einmal ohne
deine frühmorgendliche Promenade sein,
wozu die junge Sonne dich lädt:
wachliegend könntest du noch verweilen
in eurem schönen großen Bett ...
weil deine Gattin dich dort zu liegen begehrt,
um schon bei ihrem Erwachen,
sich eures Beieinanderseins zu erfreuen.

(4)

Du könntest ja heute wieder einmal zu Hause
bleiben - statt alleine über den
großen Pass
zu fahren
in die große Stadt Puerto de la Luz
mit seinen Parks und Cafés -
obgleich es seit Tagen dich dorthin zieht! ...
du könntest in eurem Hause bleiben, weil
deine Gattin deine Nähe sich wünscht -
in eurem schmucken Dorfhaus
mit der fazinierenden Sicht auf die kanarische See.

(5)

Du könntest ja heute wieder einmal
dich redigieren und kritisieren lassen
von deiner Gattin, wenn
du dich ihr mitteilst ...
weil sie danach trachtet, das
von ihr Unterschiedene in dir zu bekämpfen,
seien es Gefühle oder Gedanken:
du könntest deine Gattin als Zensorin auch heute
einfach nur hinnehmen.

(6)

Du könntest ja heute wieder einmal dein
Leben mit deiner Gattin
nur beschweigen -
weil sie sagt, der Quell aller
Missverständnisse und Knoten
seien Worte -
nur die wortlose Liebe sei weise.

(7)

Du könntest ja heute wieder einmal in eurem Heim
bleiben -  statt an deinen Musenplatz zu
ziehen unten am Meer,
um zu malen,
zu schreiben und zu sein -
weil deine Gattin, deine Gesellschaft begehrt
in eurem schönen weißen Haus
im Fischerdorf, turmhoch über den Wassern.


2. Reflexion

Doch wenn du dies alles
wieder und wieder
verrätst:

deine Rückengymnastik,
dein Philosophiebuch,
den jungen Morgen,
die große Stadt Puerto de la Luz,
den Raum für deine Rede,
Zwiegespräche mit deiner Gattin,
deinen Musenplatz unten am Meer ...

dann bist du nicht
mehr du,
dann bist du nicht mehr du
auf eine
dir gemäße Weise!

Doch heute bist du des
Verrates
satt!

Auch verliebte deine Gattin sich in dich -
nicht in eine
Verfremdung von dir,
auch war ihr Verlangen ein Vis-à-Vis,
nicht ein Abklatsch
ihrer selbst,
den zu missbilligen es sie drängt,
zu missachten und
zu missbrauchen.

3. Die Wand

Da! jählings wirfst du die Fröschin
gegen die Wand!
wirfst du
die Domina
aus
Leibeskräften
gegen die weiße Wand!

Jetzt darfst du  d i r  zu Gefallen sein:
das Abenteuer wagen, welches
du selber dir bist:
deine Kräfte entfalten, deine
Talente erproben,
deinen Schatten begegnen, deine
Wahrheiten achten!
Auf stößt du das Gefängnistor:
das eiserne Tor eurer
ängstlich-wollüstigen Symbiose!

Dich selber erschaffend, den
ammenhaften Schößen und Brüsten
du entsagst:
Einsamkeit nicht fürchtend,
Missbilligung nicht scheuend:
du willst und du musst!

4. Die Wahl

Nach deinem Wurf gegen die weiße Wand,
liegt die Fröschin darnieder:
sie wird fliehen
oder ...
sie wird wüten
oder ...
sie wird zur Fürstin sich wandeln.

5. Reflexion

Erkannt und benannt ist der Fröschin sadistisches
Herrschen und Beherrschen,
erkannt und benannt ist des Frosches beflissenes
sich Beugen und Verbeugen -
Vorvorhöfe erwachsener Begegnung!
erkannt und benannt ist die
Dyade, in
welcher ihr ineinander
verwoben und vermengt und verschmolzen -
und somit jeder nur eines von
zweien gelebt:

Die Gattin war nach außen hin der Tyrann,
du warst nach außen hin der Lakai -
doch im Innern seid ihr beides:
Lakai und Tyrann!

6. Das Neue

Mit deinem vulkanischen Wurf
gegen
die weiße Wand
bist du dem Frosche gestorben:
der Fürst in dir
ist geboren!

7. Fortgang

Neun Jahre später du wohl weißt:
die Wandlung vom Frosch zum Fürsten
will kühn und entschlossen
viele Male
vollzogen sein -
denn wer heute schon handelt wie ein Fürst,
in dem quakt morgen aufs Neue
sein innerer Frosch: zwar
geschrumpft,
doch nicht verwandelt
bis zur Neige.
Und es bedarf aufs Neue der Kühnheit
zum "Stirb und werde!".
Nur in vielen Taten vermag
das Kleine Ich
sich zu wandeln
in das Große Ich, seinen Meister.

8. Gretchen und Faust

Zum anderen sehe ich zweierlei Menschen:

die Wenigen ich sehe, die mit ihren Partnern
darum ringen,
aus symbiotischem Gemenge
sich wieder und wieder zu erlösen
und zum Fliegen sich zu erkühnen -
aus dem Genien in uns
und aus den uns hüllenden Göttern darüber ...

und die Vielen ich sehe , die schon dem begreifenden
Gedanken
sich verschließen
und dem sich mitteilenden Wort,
um sechshundert Jahre nach Luther
und Kolumbus,
Jahrzehnte nach Pawlowa
und Kollwitz
in anachronistischer Symbiose
noch zu verharren -
ihre knospenhafte Ichkraft ignorierend:
diesen Leitstern
unserer Zeit! ...

... gleich Goethes Gretchen in "der Tragödie erster Teil",
jenem Gretchen,
welches an Mutter und Kirche
sich klammert,
und die befreiende Hand
nicht ergreift,
die der Geliebte nächtens im Kerker ihr reicht:
sich aufzumachen in ein Leben,
welches in Vergebung, Ausgleich und neuem Beginn
um seine Menschwerdung ringt!
Das Kindlich-Gestrige sie wählt:
den alttestamenlich weglosen Schuldspruch
und ihren unchristlichen Tod durch den Henker!

So bleibt sie das Gretchen,
wandelt sich nicht zur Margarete,
lässt - für diesmal -
die Frau in sich nur erahnen.

9. Ziel

Aus uns selbst uns zu wandeln sind wir geladen:
aus dem Frosche zum Fürsten,
aus der Fröschin zur Fürstin -
weder Beifall erhoffend,
noch den Untergang fürchtend,
unserem inneren Genius nur folgend -
geleitet von den lichten
Göttern im Diesseits und Jenseits.

10. Dank

Als Szenario für dieses Drama
erbot sich euch
die schmerzlich-wollüstige Symbiose
zwischen dem Frosche und der Fröschin:
an der Gattin Gebaren erwuchsest du
durch deine Wehen hindurch:
durch deine Raupen-Puppen-Schmetterlings-Wehen hindurch.

Dank sei also der
fürstlichen Fröschin,
dass sie das äußere Hemmnis dir bot,
welches in dir selbst du verborgen!


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(c) .. August Sonnenfisch: Sommer 1991 ff,
zwischen den Welten auf den Kanarische Inseln

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.08.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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