Rico Graf

Rilkes Panther: Übertragungen

Der Panther von Rainer Maria Rilke

 

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe

so müd geworden, dass er nichts mehr hält.

Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe

und hinter tausend Stäben keine Welt.

 

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,

der sich im allerkleinsten Kreise dreht,

ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,

in der betäubt ein großer Wille steht.

 

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille

sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,

geht durch der Glieder angespannte Stille –

und hört im Herzen auf zu sein.

 

 

 

Übertragung, die erste

 

Die Stäbe sind ins Aug hineingegangen,

so müd der Blick davon, so müd das Herz,

selbst tausend Gitter mehr, er ist gefangen,

könn ihm nicht mehr sein als sein Tausendschmerz!

 

Wie majestätisch dreht von Pfot zu Pfote

der Müde schmerzerfüllt sein Sehnsuchtsreigen,

in mattem Felle glänzte einst die Note

von Freiheitsduft und stolzem Lebenseigen.

 

Und trotz der abertausend Gitterstäbe,

die wie ein schwerer Vorhang Welt verriegeln,

da sich ein Wind, ein Bild doch bahnt den Wege

vom Drauß’ – kann ihm ein Brief der Hoffnung siegeln.

 

 

 

Übertragung, die zweite

 

Der Käfig sperrt die Welt vorm Blicke weg,

den er mit blinzelnd Wimpern sucht zu haschen,

doch durstend, hungernd liegt das Aug im Dreck,

kann er sich weder laben oder waschen.

 

Dem Irren gleich zieht tausend Kreise er,

als wollten tausend Geister ihn erheben,

als wollten sie erwecken tausend Heer’,

zum Kampf, zum Ausbruch einen Willen geben.

 

Nur leider, leider fehlt der Kreatur –

trotzdem ihr Anmut, Stolz, Geschmeidigkeit

gegeben wohl – dem Willen jede Spur –,

das Schicksal bleibt die Weltenlosigkeit.

 

 

 

Übertragung, die dritte

 

Es klimpern Wimpern blinzelblauer Blicke,

die müde werfen zu den Gruß den Stäben

und Gitterstangen, welche Stück für Stücke

den engen Raum zum Knast zusammenlegen.

 

Von draußen flattern tausend Blicke ein –

Geglotz’ von tausend freien Weltenwesen –

umtanzen, kreisen sie des Panthers Sein,

als wär er taub und blind, nie frei gewesen.

 

Und so entschließt er sich nun aufzuwachen,

das blaue Aug gefärbt vom tiefen Willen,

durchbeißt die Stäbe er mit Ach und Krachen,

bei Gitterbruche freit die Flucht ihr Brüllen.

 

 

 

Fortsetzung der dritten Übertragung

 

In Freiheit springt er kraftvoll in die Welt,

er faucht, o, jagt den Blicken hinterher,

da er ist auf die andre Seit gestellt,

muss wiegen Panthers neues Glücke schwer.

 

Doch nach der Weile stört ihn, ei, der Hunger,

das Jagen seines Futters nie geprobt

hat er! Ach, all die vielen Herzensbilder,

die fülln den Bauche nicht. Ein Panther tobt!

 

Was tun? das fragt er sich, und denkt: „Nu geh

ich besser rück, wo Rilke einst mich sah,

in den Pariser Pflanzengarten! Weh!

Da sättigt mich das Fleisch mit Müh so rar.“

 

 

 

Sonderübertragung unter zusätzlicher Zugrundelegung von Paul Celans „Sprachgitter“

 

Sein Augenrund ist zwischen Stäben müd,

das Flimmertier heißt Lid und rudert nieder

und hoch gleich einem Boote aus dem blüht

das Wimpernpaddel – tausendfache Glieder.

 

Des Panthers Vorhang manchmal schiebt sich auf,

lässt ein das Licht, das Bild in die Pupille –

vielleicht ein Herzgrauhimmel, Sternenhauf? –,

Die Iris, Schwimmerin, sie dient als Tülle,

 

in der ein Lichtsinn in die Seele weht

hinab zum End, wo Grauherz liegt und Stille

ein Mundvoll nimmt, sich kreisend, tanzend dreht

Geschmeidig um die Mitt der Kraft, ohn Wille.

 

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