Viola Huber

RabenSeele

RabenSeele

Gedämpfter Hufschlag auf einsamen Pfad,
Ein Reiter, so jung, doch vom Leben geschlagen,
Gezeichnet durch des Schicksals Verrat.
Ach, keiner kann helfen, diese Last zu tragen!

Einst war stark der Wille, blühte der Stolz.
Er, ältester Sohn, erster der Erben,
Trug das Wappen, geschnitzt in der Rotbuche Holz.
Doch was ist geblieben? Sein Leben in Scherben!

Als der Lord verließ seine Landen auf Zeit,
Übertrug er dem Sohne Recht sowie Pflicht:
“Du bist alt genug, für Verantwortung bereit,
Herr statt meiner zu sein - enttäuschst mich sicher nicht.“

Der Knabe nahm das Wappen an,
Gab acht auf Familie, Hof und Gesind´.
Er selbst damals fünfzehn, fast schon ein Mann,
Die jüngste Schwester ein achtjährig´ Kind.

Am Abend, da er kam nach Haus´ von der Jagd,
Nichts ahnend er ritt gen Erbhof voll Lebensmut,
Erfaßte sein Blick plötzlich Rauch - er verzagt:
Vor ihm liegt in Flammen des Vaters Gut.

Voll Angst und Hast trieb er an das Pferd,
Nahm der Knabe kaum wahr die brennenden Pfeile.
Er spürte kaum Schmerz, nah am glühenden Herd,
wollt öffnen die Haustür mit Eile.

Die Holztür zerbarst unter des Knaben Tritt,
Er holte zwei der Geschwister heraus aus der Glut.
Der Erbsohn geschwächt, es schwankte sein Schritt,
Doch den dritten Bruder zu retten verließ ihn nicht der Mut.

Das Feuer schlug Wunden durch Hemd und Haut,
Ein Balken krachte auf den Knaben hernieder,
Dennoch trug er den Bruder nach draußen und schaut:
Die brennenden Pfeile, wieder und wieder.

Die Geschwister im Walde, in Sicherheit,
Den Ältesten verließ beinahe all seine Kraft.
Er hörte wie Schwester und auch Mutter schreit,
Fühlte im Nacken das Eisen: des Gewehres Schaft.

Vier Jahre her, die Erinnerung eine Qual,
Was geschehen, holt in heut noch ein bei Nacht.
Ein Mann, neunzehnjährig, es ist ihm egal -
seine Seele gab auf die lange Schlacht.


Vier Jahre gefangen im Kerker er darb,
Was inzwischen passierte, kann er nicht sagen.
Der gefolterte Körper, es schien fast, daß er starb.
Doch nicht nur außen hat er Narben getragen.

In den Jahren des Leidens war ungebeugt der Geist,
Bis der Tag kam, an dem der Gefangene entkommen.
Der Erbsohn - einst stolz, nun einsam und verwaist,
Umklammert das Wappen, aus Vaters Hand genommen.

“Nie wird er vergeben, was damals geschah,
Daß Mutter und Schwester von den Flammen geholt.
Was ich sagte dem Feind, als ich im Fieber war,
Daß das Anwesen zu schwarzer Asche verkohlt.“

Der Sohn - ohne Namen, ohne Zukunft nun,
Will nicht wissen, was mit seiner Familie jetzt ist.
Selbst seine Vergangenheit läßt er ruh´n,
Wenngleich er dies alles nie mehr vergißt.

Er sehnt sich nach Liebe, Geborgenheit,
Doch glaubt er, dies hätt´ er nicht länger verdient.
Drum reitet er weiter, schert sich nicht um die Zeit,
Die Tag um Tag mit jeder Stunde verrinnt.

Nur in der Nacht zählt er jede Stunde,
Am Boden kauernd, vor Angst wie erstarrt.
Der Schmerz sitzt tief in der inneren Wunde,
Es scheint, als ob die Dunkelheit über ihm verharrt.

Vor Erschöpfung versunken in tiefem Schlaf,
Erwacht der Junge beim ersten Morgenlicht.
Die Dämonen der Angst, die er im Traum traf,
Sind verschwunden - der Schmerz jedoch nicht.

Zerlumpt das Gewand, auf bloßen Füßen im Gras,
Geht er zögernden Schrittes voran.
Sein Pferd - treuer Freund, der ihn niemals vergaß,
Steht am Bache und sieht ihn an.

Ein Pfiff nach dem Roß, es kommt näher im Trabe,
Der Junge berührt das schwarze Fell.
Hoch über ihm kreist am Himmel ein Rabe,
Im Gefieder sich spiegelt das Sonnenlicht hell.

Der Vogel läßt sich nieder auf dem Ast einer Eiche,
Beäugt den einst stolzen Lordssohn genau.
“Was wäre, wenn ich nie mehr von dir weiche,
Oh Bruder, und zeige, daß ich dir vertrau´?“

Der Junge starrt in die Augen des Raben,
Voll Wissen und Wärme blicken sie auf ihn herab.
“Vertrauen ist eine der schönsten Gaben,
Doch ich kann nicht sagen, daß ich sie jemals erwarb.“

“Du hattest es immer, oh mutiger Krieger,
Das Vertrauen des Pferdes ist dir gewiß.
Warst du im Vergangenen auch nicht immer Sieger,
bedenke, daß du des Blutes Band nicht vergißt.“

“Du nanntest mich Bruder, oh Vogel der Nacht,
Sag, wie komm ich zu dieser Ehre?
Mein Auftrag vor langer Zeit war: Gib acht,
Steh deinen Mann und bewähre...“

“Du hast mehr gegeben als ein anderer je könnte“,
Sagte der Rabe ruhigen Blickes.
“Hast überlebt, bekämpftest dein Ende,
Drum stell dich der Zukunft, der Güt´ des Geschickes.“

“Mein Geist ist schwach, mein Körper geschunden,
Wie lange soll ich dies noch ertragen?
Ich habe gesucht, doch keine Hoffnung gefunden -
Wie sollte ich deswegen nicht verzagen?“

“Dein Führer werde ich sein, falls dies dein Wille.
Doch zunächst horche in dich hinein.
Schließe die Augen, hör auf die Stille,
Und erkenne: deine Seele ist schuldlos und rein.“

“Vogel der Nacht, du willst mich begleiten,
Selbst wenn ich bin nur der Schatten von einst?“
“Ich werde dir helfen, voran zu schreiten,
Da sein für dich, wenn du vom Gram gepackt weinst.“

Der Junge zog sich auf den Rücken des Rosses,
Darauf der Rabe schon auf seiner Schulter saß.
Der Weg dieses kleinen, doch entschlossenen Trosses
Führt hinab ins Tal, welches jenen Knaben nie vergaß.

Erstaunten Auges blickt der Lord auf,
Als er sieht, daß ein Reiter kommt dort.
Er scheint von weit her, doch blickt zur Buche hinauf,
Als ob ihm bekannt sei dieser Ort.

Der Vater schaut das pechschwarze Haar,
die Augen, so braun wie die seinen.
“Vier Jahre her, ist´s denn wirklich wahr?
Es scheint Ewigkeit gewesen, will ich meinen.“

Noch zaudert der Erstgeborene scheu,
Doch der Rabe raunt ihm aufflatternd ins Ohr:
“Fürchte dich nicht, bleib deinem Herzen treu,
Das niemals die Liebe zum Clan verlor.“

Der Lord reicht dem ältesten Sohne die Hand
Und führt ihn sicheren Schrittes ins Haus.
Der verlor´ne Reiter hatte sich selbst verbannt,
Doch sein Pfad führt aus dem Dunkel heraus.

Von Brüdern und Schwestern freudig empfangen,
Spürt er, was er so lange vermißt:
Die Liebe und Treue, die nie vergangen,
Seine Familie, die niemals vergißt.

In den schattigen Zweigen der roten Buche
sitzt ein schwarzer Vogel verborgen.
Wer in seine Augen blickt - wonach immer er suche:
Jener Rabe teilt des einsamen Reiters Sorgen.

(© 02. 02. 2003 by Viola Huber)

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.10.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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