August Sonnenfisch

Verstand ist stets bei Wenigen nur gewesen



Verstand ist stets bei
Wenigen nur gewesen


- Friedrich Schiller -
 

ALLE sind mit dunklen Brillen maskiert -
verborgen ihre Augen:
die Tore zu ihren Seelen.
ALLE sind mit Fahrradhelmen bewehrt -
verborgen ihre Haare,
verborgen ihre Stirn!
MÄNNER sind in Sakkos gepackt,
in Sakkos mit aufgeposterten
Schultern verpackt -
verborgen ihr Leib.

*
SOLISTEN wandeln Worte sprechend,
durch die Straßen!
Sprechen sie mit sich selbst?
An ihrem Ohr
ein Kästchen:
sie nennen es "Smartphone".
Ein Kästchen, welches sie mit einem
jeden Ort auf
dieser Erde
in blutleerer Weise
verbandelt und verbindet.

Und klingelt dich dieser
Handschmeichler in unserem Kaffeehaus
in seiner apodiktischen Weise
plötzlich einaml an,
dann fliehst du mich - mich,
der ich leibhaftig bei dir!
Du lässt mich fallen:
ich bin dir jählings ein Nichts:
Geladen und verladen!
Fragenlos, gnadenlos!
Ich halte an mich -
in zivilisatorischer Devotheit
mich fügend.

*
ALLE saugen an ihrer Television:
fünf Stunden
lang tagtäglich.
Eine Schüssel scheint ihnen der Schlüssel
zur Welt. Dergestalt schüsseln
sie sich voll: bis
zum Beschusseltsein voll.

*
ALLE rennen wie von einer
Treibjagd
Getriebene
durch die Straßen.
Wie fürchten sie den Müßiggang
und die Muße!
Wäre doch der Müßiggang
aller In-
wändigkeit Anfang!

*
ALLE reisen
kurz einmal für etliche Tage,
auf einen Trip
in die Ferne:
flugs mit einem Jet nach Konstantinopel.
Dann mit dem Schiff:
Mykonos und Jerusalem,
Kairo und Athen und Konstantinopel -
und flugs mit dem Flieger
wieder in die Heimat zurück:
Drei Kontinente in zehn Tagen:
Braungebrannt - doch
nirgends etwas wirklich gesehen!
Alles jedoch gespeichert
auf einem Chip.

ALLE verschrieben sich der
Magie der Effizienz
(gleich Goethes Faust,
welcher der Faszination des
Mephisto erlegen):

Fünfzehn Meldungen
  auf dem Schirm in fünfzehn Minuten -
Alles und nichts von der Welt
vernommen - Für Gefühle
und eigene Gedanken blieb
keine Zeit!
Benommen sackst du in deinem
Sessel zusammen.

*
ALLE hören das Wesen
deiner Worte nicht:
denn sie hören sich selber nicht!
Doch sie widersprechen
dir mit Verve!
Abgetaucht sind ihre Seelen!
- Wann und wohin?
- Sie wissen es nicht.

*
ALLE setzen auf Arzeneien,
auf Operationen,
auf Rehabilitationen des Leibes!
Unversehens

krachte
ihre Fähigkeit zu malochen
in sich zusammen.

Doch mit sich selber
sich zu befassen,
seine eigene Seele zu sein -
wie das ängstigt!
"Krankheit als Weg" oder "Schicksal als Chance" -
wie das schmerzt!
Doch unser Zittern davor: wir
bemerken es nicht!


*
GROßMÜTTER färben ihre Haare:
Niemand will alt sein - und daher
auch nicht weise.
Unser Outfit, unsere Leistung,
unsere Reputation
ist uns alles -
unser Inneres ist nur zum Fürchten!
Doch unsere Panik davor: wir
bemerken sie nicht!

*
ALLE spielen die Tüchtigen,
die Dynamischen,
die Robusten.
Perfettissimo!
Unser Bethlehemstern:
Dazugehören und Dabeisein!
Leistung
und Sieg!
Ellenbogen auch im Tanzssaal.
Und immer nur lächeln.

*
ALLE taxieren dich, taxieren
dich ohne Scheu und
ohne Scham:
Liegst du richtig - liegst du falsch?
Sind deine Tanzkünste respektabel?
Deine Manieren kultiviert?

ALLE wissen,
was dir geziemt:
Liegst du im Trend - oder daneben?
Bist du intelligent?
Bist du von ansehnlicher Statur?



.............................................................................

Unser Leben: ein Plagiat vom Scheitel
bis zur Sohle.
Ein Plagiat in unseren Gedanken!
Ein Plagiat in unserer Seele!
Plagiatissimo!

Wenige nur sind in jene
"Zwiegespräche" vertieft,
zu denen Michael Lukas Moeller
uns geladen ...
Wenige nur erforschen Moshé
Feldenkraisens Bewusstheit
für unseren Leib ...
Wenige nur sind zu gange
mit Marshall Bertram Rosenbergs
"empathischen Dialogen" ...
Wenige nur erforschen Ilse Middendorfs
"Erfahrbaren Atem" ...
Wenige nur wagen Byron Katies
"Kehre deine Gedanken
doch einmal um!"


***

Doch BEPPO, jener Straßenkehrer
in Michael Endes
dramatischen Werk von MOMO,
dem Mädchen mit
der "Stundenblume",
einem Mädchen, das mit dem Herzen hört -
jener BEPPO lebt fort:
"Ein Schritt, ein Atemzug, ein Besenstrich!"
Jene "seltsame Geschichte um die
gestohlene Zeit"
und das wieder errungene Sein -   
sie lebt fort und fort.

"Ein Schritt, ein Atemzug, ein Besenstrich!"








(c) August Sonnenfisch, 22. April  2011 ff

Michael Ende: "Momo. Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben
und von dem Kind, das den Menschen
die gestohlene Zeit zurückbrachte", 1973.
Thorwald Dethlefsen und Rüdiger Dahlke: "Krankheit als Weg", 1989.
Thorwald Dethlefsen: "Schicksal als Chance", 1998.
Michael Lukas Moeller: "Die Wahrheit beginnt zu zweit.
Das Paar im Gespräch", 1988.
Marshall Bertram Rosenberg: "Konflikte lösen durch
gewaltfreie Kommunikation.
Ein Gespräch mit Gabriele Seils", 2004.
Ilse Middendorf: "Der erfahrbare Atrem. Eine Atemlehre", 1985.



 

Wikipedia: HOMUNCULUS

"Homunculus" (männlich, lateinisch "Menschlein") bezeichnet einen künstlich geschaffenen Menschen.
Die Idee des "Homunculus" wurde im Spätmittelalter im Kontext alchemistischer Theorien entwickelt - oft unter Verwendung des Begriffes "Arcanum". Häufig erscheint der "Homunculus" als dämonischer Helfer magischer Praktiken.
Das Motiv des "Homunculus" wurde in der Literatur oft aufgegriffen, insbesondere um die Ambivalenz der modernen Technik zu illustrieren. Die vielleicht bekannteste Verwendung der Homunculusidee findet sich in Goethes "Faust II".
August Sonnenfisch, Anmerkung zum Gedicht

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.05.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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