August Sonnenfisch

STIRB UND WERDE! - Der Gekreuzigte und die Marterl


 

Stirb und werde!

Der Gekreuzigte und
die Marterl


............................................................................................................................................................


(1)

SELIGE SEHNSUCHT

Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.


(Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832))

(2)

Am Urkarfreitag vor zweitausend Jahren:
festgenagelt an den
Balken dieser Welt,
festgenagelt an Händen
und Füßen, die Beine
übereinandergekreuzt!
Infernalischer Schmerz!
Zynische Schmach!
Gegeißelt.
Gefoltert.
Verspottet.
Verhöhnt.

Weil sie ihn mitnichten ertrugen!

Doch am dritten Tag nach seinem
leiblichen Tod
ist er wiedererstanden.
In einem Phantomleib wiedererstanden,
welchen seine
Jünger geschaut.

(3)

Von uns, den Nachfahren jener
Teufelsknechte,
wird er millionenfach aufs Neue
gefoltert
gemordet
verhöhnt:
Mit jedem Marterl am Weg

von Neuem,
mit jeder Rosenkranzkette
aufs Neue!

Denn in jedem Marterl ist
der Christus ohne
sein Auferstehungsgelächter,
in jeder Rosenkranzkette
ohne seinen
österlichen Triumph!

Doch indem wir den Gekreuzigten seiner
Auferstehung berauben,
berauben wir uns selbst,
berauben wir uns
der Macht
des Christus in uns!

(4)

Wir fixieren uns auf die Passion,
indem wir sie als Passion ohne die ihr
innewohnende Auferstehung
musizieren in den großen Passionen:
der Johannespassion,
der Lukaspassion,
der Matthäuspassion!
Ein lüttes Oster-
Oratoriem von Johann Sebastian Bach
steht dem kleingläubig entgegen.

Wir fesseln uns an die Passion,
indem wir uns widersetzen,
sie zu durchleiden:
unsere Furcht im Mut der Demut
zu durchfürchten,
unsere Wut in den Räumen unserer
Seele zu durchwüten,
unseren Schmerz im Mut der Demut
zu durchleiden,
unsere Ohnmacht im Mut der Demut
zu durchschmachten!

Wir widersetzen uns
mit all der Macht und der List unseres
gleicherweise tüchtigen
wie hoffärtigen Verstandes -
der so vieles vermag, doch unsere Seele
zu transformieren,
vermag er mitnichten!

(5)

Im Grunde sind wir beides:
Erde und Himmel,
Materie und Geist,
sterbliche Hülle und Gottheit!
Niederes Ich und Höheres Ich,
Intellekt und Genius!
Beides: Karfreitag und
Ostersonntag,
Schmerzensschrei und Auferstehungsgelächter!

(6)

Durchleben wir Goethes
"Selige Sehnucht":
Durchfürchten wir unsere Furcht vor dem Tod!
- auf die Gefahr, dass sie zur Panik anschwillt
und wir darin umkommen!

Durchwüten wir unsere Wut in den
Räumen inserer Seele -
auf die Gefahr, dass wir das das
Wüten nicht fassen!

Durchleiden wir unseren Schmerz
- auf die Gefahr, dass er nicht endet
und uns überwältigt!

Durchschmachten wir unsere Ohnmacht!
Auf die Gefahr, dass sie uns lähmt
und entmündigt!


Dann wird unsere Ohnmacht
gewandelt die Macht
des göttlichen Seinsgrundes in uns,

Kehrt sich unsere Wut
in Schmerz,
wird unser Schmerz
gewandelt in Frieden und Stille,

wird unsere Furcht
verwandelt in Courage!

Durch den Christus in uns:
Denn der Auferstandene-in-uns
befähigt uns,
aufzuerstehen
aus unserer Furcht, aus
unserer Wut, unserem Schmerz,
aus unserer Ohnmacht!

(7)

SELIGE SEHNSUCHT

Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.


(Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832))








(c)  August Sonnenfisch: Langenargen, 12.9.2008 ff

Siehe dazu auch das Sonnenfisch-Gedicht "Triumphkreuze"



 

Im folgenden einige Fakten zum Gedicht "STIRB UND WERDE":

(I) Auf dem 8. ökomenischen KONZIL ZU KONSTANTINOPEL (869 nach Christus) wurde das Geistige im Kanon der Kirche abgeschafft, indem man verfüge, dass der Mensch nicht mehr aus der Dreiheit von Geist - Seele - Leib bestehe,
sondern nur eine Zweiheit sei aus Seele und Leib -
mit einem kleinen Anhängsel von Geistigem in der Seele.

(II) Zu den großen Passionen - der Johannespassion, Lukaspassion, Matthäuspassion - gibt es nur ein kleines OSTERORATORIUM (von Johann Sebasian Bach).

(III) Vom 14. bis 19. Jahrhundert war im Brauchtum
des Ostergottesdienstes das OSTERLACHEN verankert (auch Ostergelächter genannt), als Ausdruck der Osterfreude.

(IV) In den Kirchen der anthroposophischen "Christengemeinschaft" ist der Altarraum überstrahlt
von einem (großen) AUFERSTEHUNGS-GEMÄLDE, welches hervorgeht aus einer (kleinen) Kreuzigungsszenerie.

(V) Im katholischen Rosenkranz-GEBET folgen auf die fünf "schmerzreichen Geheimnisse" (in welchen die Passion betrachtet wird) die fünf "GLORREICHEN GEHEIMNISSE" (in welchen die Auferstehung Christi betrachtet wird).
Hingegen ist die Rosenkranz-KETTE eine fünfmal 11 Perlen umfassender Perlenkranz, mit einem vier Perlen langen Fortsatz, an dessen Ende ein Kruzifix sich befindet.
Darüber verfügte Papst Johannes Paul II. am 16.10.2002:
"Der Rosenkranz läuft auf das Kreuz hin zusammen,
welches das Gebet eröffnet und abschließt."
(Apostolisches Schreiben "Rosarium Virginis Mariae")

(VI)

SELIGE SEHNSUCHT

Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.

(Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
in seinem Gedicht "Selige Sehnsucht")

Zu Goethes Zeit (1749-1832) war es also schon eingefleischt, sich gegen das demütige Durchleben von Schmerzen, Angst und Ohnmacht zu sträuben (der Mut der Demut war oftmals abhanden gekommen).

(VII)

ZWEIERLEI HANDZEICHEN

Ich bekreuzige mich
vor jeder Kirche,
ich bezwetschgige mich
vor jedem Obstgarten -

wie ich mich bekreuzige,
weiß jeder Katholik.
wie ich mich bezwetschgige
ich allein.

(Ernst Jandl (1925-2000)
in seinem Bändchen "Laut und Luise")


August Sonnenfisch, Anmerkung zum Gedicht

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.05.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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