Lothar Krist

exzess

exzess

nur leben fühlen
vergessen dieses morgen
sich verlieren an die welt von heute
und man stell sich vor
das gestern hat es nie gegeben
keine vergangenheit
die einen prägt
und schon gar keine angst
vor dem was da einst wird

man könnte eindringen
selbst in den letzten winkel der gedanken
man hätte keine scheu
vor der unsicherheit des experiments
man könnte ficken
immer wieder ficken
diesen allerletzten aller letzten ficks
und dabei an seinen geilheiten
so irre geil zerfetzen

exzess

nur leben fühlen
es einrichten wie ein dauersterben
sich dabei so herzverspeeden
an jedem wahn einer jeden zeit
dabei seine seele bunt entschwammerln
in die unbekannteste unbekanntheit hinein
und sein augenlicht verlieren
im höllenheißen grellsten sonnenschein

man könnte sich aneen
bis an den limes des muts des übermuts
oder sich sogar verflügeln
ohne hilfe dieses powerdrinks red bull
sich unentwegt auch selbst verletzen
im dauertanz des ewig neuen tönebluts
und mit sich selbst
ja mit der ganzen weiten welt vernetzen

exzess

und ein duft in der luft
vom kraut der unschuldsengel
hält den wild gewordenen so neuen fluss
sich entdichtender dichterworte im klaren
du poppst dir einfach die schädeldecke weg
und ertrinkst dabei in einem sound
der noch nie zuvor gewesen

nur leben fühlen
sich täglich in es aufs neue neu verlieben
und sich so ganz ganz ohne netz
hinab werfen in seinen gierheitsschlund
selbst dann wenn es dich frisst
mitsamt deiner so hilflos
im wohlstandsrausch erstarrten zeit

exzess

und als einsamer dichter dann
an der zerreißung an der zerschmetterung
und dann neuentdeckung der sprache verbrennen
und dabei nie aufgeben
selbst dann nicht
wenn eine meute los gelassener kritiker
dich feige von hinten ins wadel beißt
und du keinen einzigen kennst
der an dich glaubt

sich seiner ganzen welt entgegen stellen
so ganz allein
ein leben lang im unrecht sein
und zuletzt dann doch noch erleben
wie endlich alles andere
so wunderbar wunderbar egal wird
sieger bleiben in einer rastlosen welt
die einem neuen untergang entgegen eilt

exzess

© Copyright by Lothar Krist (4. + 14.1.2004)

Dieses Gedicht ist eine Hommage an meinen Stil des
brutalrealistischen Exzessionismus.

Vor noch nicht ganz hundert Jahren erbrach sich die Neue Sprache der ersten Expressionisten in eine auf sie damals völlig unvorbereitete, noch so heil erscheinende Alte Welt. Diese ersten Expressionisten waren Deutsche, Österreicher oder kamen sonst wo her aus dem Vielvölkerreich der Habsburger. Die Franzosen kamen erst 1920 und auch ihnen hat ein zweisprachig aufgewachsener Deutscher, Yvan Goll, auf die Sprünge geholfen. Auch die Dichter der anderen Sprachen kamen dann nach Wien, Prag, Zürich, München, und Berlin und haben hier das Neue Dichten studiert.
Jakob van Hoddis zerschmetterte schon 1910 mit seinem “Weltende“ das herrschende System seiner Zeit, er riss mit diesem einfachen Achtzeiler dem Adel die Rechte des Bluts aus dem Leib und dem wohlhabenden Bürgertum “den Hut vom Kopf“. Georg Heym starb schon 1912, vierundzwanzigjährig, beim Schlittschuhlaufen auf der Eiffel. Und es gab noch eine ganze Menge mehr.

Sie Alle haben zwei Weltkriege kommen gesehen. Sie haben die “Bilder in ihrem Kopf“ beschrieben, die sonst kaum jemand Anderer gesehen hat, schon gar kein Gutmensch ihrer Zeit. Man liebte sie daher nicht. Und schon nach dem Ersten lebten die meisten dieser Dichter des Kriegs nicht mehr. Die anderen “Abartigen“ wurden dann von den Nazis zerbrochen. Doch ihre Neue Sprache hat Alles überlebt und eine Neue Gedankenwelt geboren.

Doch diese Gedankenwelt ist nun alt geworden. Die Rechte des Blauen Bluts beherrschen uns nicht mehr. Das Bürgertum zieht uns das Geld heute nicht mehr aus dem Sack. Heute frisst uns der Parteienadel und die “Herren der wohl erworbenen Rechte“ lassen eher die Welt untergehen, als auch nur auf ein einziges in Wahrheit gar nicht wohl erworbenes Recht zu verzichten.

Auch ich sehe zwei Große Kriege kommen. Zuerst der Weltkrieg gegen den Terror, der gerade begonnen hat, und dann liebe Leserinnen, liebe Leser, dann geht es um die Ganze Welt. Wir sind gerade dabei Big Brother zu “machen“, und zwar genau so, wie George Orwell ihn schon 1948 in seinem Kultroman “1984“ vorher geschrieben hat. Seine dann den Rest der Welt disziplinierenden Maßnahmen werden kaum Jemandem in diesem Rest der Welt gefallen.

Wer es dann wagt, dies auch laut zu sagen, als Dichter, als Musiker, als Maler oder überhaupt als Künstler und als Philosoph, o wie geil, o wie so megamegageil,
das ist dann
Exzess,
und zwar ein Neuer Exzess und wieder einmal so ganz ohne jeden Lohn zur Lebenszeit. Dichter des Friedens, wie die, die uns in den letzten Jahrzehnten angelogen haben, so was kann ein Jeder sein, eine Jede sowieso. Deshalb werden es auch nur die Tapfersten wagen. Doch dafür werden wir Dichter des Kriegs dann Alle auch zu Dichtern der Weltrevolution. Ist dies nicht geil? Megamegageil, wie unsere Kinder von Heute sagen würden.

Wenn Big Brother erst einmal klar und deutlich da ist, wenn er letztendlich dann seine uns angeblich beschützenden Hände über uns streckt, dann werden das alle Menschen verstehen. Und so ein Big Brother muss ja auch wieder weg! Das ist doch klar, oder etwa nicht? Das ist sogar sicherer noch, wie das Amen im Gebet. Der Mensch ist nicht für einen Big Brother geschaffen.
Also: Was kommt da jetzt, ob wir es wollen, glauben wollen oder auch nicht, auf uns Alle zu? Die Weltrevolution, .... und auch die wieder ist
Exzess.

Und sich dann mit der Frucht seiner Gedanken als so einsamer, exzessiv entartender, also so neuer, abartiger Künstler in diesem Exzess zu bewegen, das geht dann in die Kunstgeschichte ein als ..... Na, als was wohl? Das ist doch völlig klar! .... als
Der Exzessionismus.

Und dies heute schon zu wissen, o wie geil, das ist wieder
Exzess.

Hahahahaha! Okay, ich höre ja schon auf, ich weiß, schön langsam wird es fad. Aber ich bin so süchtig nach meinen eigenen Worten, ich bin soooo dicht! Hahahahaha!

diverse Erläuterungen:
Ich schreibe zur Zeit ein Buch über den aktuellen Zeitgeist und da gehört der Drogenmissbrauch nun einmal dazu. Da ich Prosaist bin, spiele ich natürlich auch mit diesen Drogenbegriffen ein Spiel, und dieses Gedicht heißt ja nicht umsonst “Exzess“. Drogen sind nun mal der perfekte Garant für ein exzessives Wochenende. Diese Erklärung, um nur ja keine falschen Gedanken aufkommen zu lassen.
herzverspeeden - von Speed, einer antreibenden Droge
entschwammerln - gewisse Pilze zählen zu den Drogen, sie vermitteln einem eine Halluzinationen, also Sinnestäuschungen, die Farben verschwimmen, man kann sich in einen Regenbogen hinein denken; wenn man zuviel davon isst, kann man in seinen Gedanken “hängen“ bleiben. Wenn Du einen völlig depperten Bekannten hast, der nur Unsinn redet, dann ist er sicher einmal auf Schwammerl hängen geblieben, hahaha, oder er hat einen Genfehler.
aneen - an-e-en - von E, Ecstasy - wenn man ein paar von diesen Pillen einwirft, kann man eine ganze Nacht lang durchtanzen, ohne müde zu werden. Dafür ist man dann die nächsten drei Tage mausetot, hehe. Also, liebe Eltern, falls Ihr Kinder habt, die gerne in Technoschuppen rumhängen, die angeblich das Wochenende über bei der Schulfreundin schlafen, und die dann bis Mittwoch völlig abwesend sind, sich irgendwie durch den Tag schleppen, dann könnt Ihr sicher sein, die sind auf E. So ein Eitscherl kostet zwischen € 8,-- und € 12,--, je nachdem halt, wie viele Dealer zur Zeit auf dem Markt sind. Wenn die Polizei gerade aktiv war, kosten sie meistens etwas mehr.
Red Bull - ein Powerdrink, der heute schwer in ist. Heute kennt ihn ja Jeder, aber falls dies einmal Jemand im nächsten Jahrhundert lesen sollte und es diesen Drink dann nicht mehr gibt - dieser Red Bull hat ungefähr die Wirkung von 8 - 10 Tassen Kaffee, er putscht gewaltig.
Töneblut - Musik
Kraut der Unschuldsengel - Purple Haze, das beste Marihuana, das es gibt - die getrocknete Blüte sieht dunkelpurpur bis schwarz aus. Manch Unwissender hat sich über so ein Pflänzchen schon geärgert, gedacht das wäre Mist und sie einfach weg geworfen, weil sie nicht so dreckig grün aussah, wie der Rest des Krauts, das er gekauft hat.
poppen - “du poppst dir einfach die Schädeldecke weg“ - von Poppen, Popper, einer legal in Sexschuppen oder Schwulenlokalen erhältlichen Schnüffeldroge (Preis zwischen € 20,-- und 25,--), die dich für ein, zwei Minuten völlig abheben lässt. Vor lauter Glück schnappst du gierig nach Luft, deine Gurgel zieht sich zu, deine Ohren verbrennen, deine Haare stehen zu Berge. Dabei hast du ein Gefühl, als würde dein ganzer Körper “weich gespühlt“. Diese Droge ist eine Art “Weichmacher“. Sie wird gerne von Prostituierten kurz vor dem Analverkehr genommen, wenn einem Kunden danach ist.
Man sieht oft, wie die Kids in Gruppen zusammen stehen, sie schauen dabei immer vorsichtig, vom schlechten Gewissen erfüllt, über ihre Schultern. Es soll ja nicht auffallen. Doch wenn man Bescheid weiß, dann kann man beobachten, wie das Fläschchen die Runde macht. Diese Droge heimlich am Klo zu nehmen, hat keinen Sinn, habe ich mir sagen lassen, denn sie erzeugt nur dann ihre ganze, irre Wirkung, wenn man in diesen ein, zwei Minuten über allen anderen im Raum steht. Sie “fährt“ nur dann so saugeil, wenn man abheben kann von seiner Umgebung. Man ist ja dann noch irrer drauf, als all die anderen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.01.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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