August Sonnenfisch

Im Straßencafé

 


Im Straßencafé


Eine Dame mit Cappuccino und Mineral-
wasser und Brötchen
auf einem gefälligen Tablett:
Flotten Schrittes schreitet sie
aus der duftenden Bäckerei
an das Tischchen neben
dem meinen.
Keck ihre Frisur, gelb
ihr Pullover.
Rasch setzt sie sich nieder -
ohne mit einem der Sitzkissen
sich zu verwöhnen.
Zu meiner Rechten auf den über=
nächsten der Stühle.
Von mir nimmt sie keine Notiz.

Hantiert sie doch mit ihrem Handschmeichler
(landläufigerweise unter
dem Namen Handy bekannt).
Keine Verbindung. Ein
rascher Brötchenbiss.
Dann einen Brief öffnen
und überfliegen.
Einen Cappuccinoschluck sich gönnen.
Fortfahren in der
Schnelllektüre des Briefes.
Und schon
kommt der Rückruf,
zur Halbwertzeit des Nebenbeibrötchens.
Sie wendet sich in einer Viertel-
drehung nach außen.
Mit dem Rücken zu mir,
spricht sie - lauter als vonnöten - mit einer
Abwesenden.
Im akustischen Raum aller.
Thema Gesundheit:
Praxistermine, Gutachten, Rehabilitation ...

Die umliegenden Tische
beschallt sie
usurpatorischerweise gleich mit.  
Getrieben ihre Sprache.
Ihr köstliches Brötchen
und ihr Gaumen und ihr Magen verwaist.

Zwei Leben in einem:
das Gedeck hier - und das Gespräch
mit einem abwesenden Menschen weitab.
Ein zweiter Biss von ihrem Brötchen.
Sie kaut und spricht weiter.
Den Daumen ihrer Rechten
schützend in
ihren Fingern geborgen.

Zwischendrin ein rascher Schluck
aus der Tasse.
Das Ferngespräch
scheint endlos.
Im akustischen Raum aller.

Doch irgendwann kommt es dann doch
zum Schlusspunkt.

Sich erheben. Tablett
wegschaffen. Ihre Cafénachbarn
weiterhin nicht
bemerken. Weilte sie doch
eigentlich in der Ferne.
Ihre Siebensachen
wegpacken in die Fahrradbox.
Fahrrad losschließen.
Rote Regenjacke anziehen. Losradeln.
Weg ist sie, die geistig
und seelisch woanders war.

Ich spüre einen Schmerz
und eine Art Wirbel in mir.
Ich halte inne, beobachte
und fühle diesen Schmerz und die Unruhe
bis zur Neige.
Mählich allmählich klingen sie ab.
Ich kehre zurück zu mir.
Frieden sich breitet.

*
Wir Heutigen leben  
zwei Leben in einem.
Und wenn unser missbrauchter Leib und
unsere missbrauchte Seele
dagegen rebellieren,
ziehen eine Operation und eine Rehabilitation
uns wieder aus der
peinvollen Patsche.

Wir proben unser
Menschsein in diesen digitalen Tagen.
Mit seinen Freiheiten
jenseits alter Werte,
mit seinen Glücksverheißungen
im Außen, mit seinen
Zügellosigkeiten und Süchten
im Medium technischer und
sozialer Systeme,
deren Meisterung
uns entglitten.
Zauberlehrlinge der Moderne.





(c)  August Sonnenfisch, 27. August 2013 ff

Literatur: Manfred Spitzer,
DIGITALE DEMENZ, Droemer-Verlag 2012


 

 

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