Inge Offermann
Das stille Haus am Brunnen
Heiter leuchtete mir das
helle Haus am Brunnen
mit roten Geranienblüten
an Sommertagen entgegen,
wenn ich bei der Schulfreundin läutete
und die gebohnerten Holzstiegen
zu ihrem Zimmer erklomm,
wo mich heimelige Atmosphäre
empfing und in Küche und Wohnzimmer
die verträumte Nostalgie der fünfziger Jahre.
Und im Frühherbst grüßten
goldene Maiskolben in der Scheuer
und der süßherbe Duft reifen Obstes
wehte mir entgegen, als ich durch das Hoftor trat.
Gastlich bewirtete uns ihre Mutter
mit leckerer Brotzeit nach
gemeinsamen Hausaufgeben.
Man spürte Familienglück
in diesen vertrauten Räumen.
Als vorbildliche Hausfrau
verbreitete sie Gemütlichkeit,
Güte und Herzlichkeit.
Einfühlsam nahm sie Anteil
am Leben ihrer Kinder,
an deren Freuden und Sorgen,
sie war immer für ihre Familie da.
Harmonische Familienjahre vergingen
im Hause meiner Freundin.
Auf Geburtstagsfeiern
und bei Weihnachtslichtern
erzählte ihre Mutter gerne
Episoden aus der Jugendzeit ihrer Kinder.
Gespannt lauschte ich ihren Geschichten,
bei funkelndem Wein und Kerzenschein
als hätte ich diese selbst miterlebt.
Ihr freundliches Gesicht verstrahlte
Augenleuchten und inneres Lebensglück,
bis ihr geliebter Ehemann verstarb
und sie tapfer dieses Schicksal trug,
jedoch ihr heiteres Wesen nahm
den verhaltenen Ernst der Trauer an.
Lange lebte sie allein im Haus am Brunnen,
besucht und umsorgt von ihren Kindern,
bis auch sie in einem Krankenhausbett
im Kreise ihrer Lieben ihr Leben verhauchte.
Nun ruht sie unter den Blumen und den
grünen Sommerkiefern des Friedhofes.
Wie ein Lichtfalter nahm ihre Seele Abschied
von den geliebten Räumen ihres Hauses
und entschwebte in ein Regenbogenreich,
und in die Arme ihres verstorbenen Gatten,
der sie dort schon lange erwartete.
Die Wärme des Hauses erkaltet,
in dem einst das Leben wohnte.
Stille kehrt ein in verlassene Räume.
Diesen Winter werden keine
goldenen Lichtstreifen mehr
durch Fensterläden in blaue
Flockendämmerung dringen
und kein Weihnachtsbaum
im Vorgarten erstrahlen.
Schneesterne tanzen dann
auf dezemberdunkler Straße.
im silberkühlen Laternenschein.
© Inge Hornisch
Dieses Gedicht schrieb ich für eine Freundin, deren verstorbene Mutter, die ich lange kannte, heute bestattet wird.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.07.2014.
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