August Sonnenfisch

REIME UND METRIK - zum Jan-Wagner-Preis von Leipzig



Reime und Metrik
* anlässlich eines Buchpreises in Leipzig *


DICHTUNG

Die Einen reimen virtuos, und
sie dichten im Versmaß.
In freien Rhythmen
die Anderen sich ergehen -
jenseits von Reimen und
jenseits der Gesetze einer Metrik.
Doch in lustvollem Spiel
von Alliteration und Assonnanz.

Spüre das kraftvolle Wesen von Versmaß
und Reim! Spüre das beschwingte
Schwingen von freifließenden Rhythmen!

*

MUSIK

Die Einen komponieren im musikalischen
Raum der Fünf, der Pentatonik.
Die Anderen komponieren
in den Räumen der Acht, der Oktave
mit ihren Tonarten in Dur und in Moll.
Dritte kreieren ihre Werke in den
Sphären einer Gleichwertigkeit der Töne:
in den Sphären der Zwölf Töne eines
Matthias Hauer wie eines
Arnold Schönberg gleichermaßen -
frei von liebgewonnenen
Tonartdiktaten, frei von Tonalitäten.

Lausche der Schwingung der Pentatonik! Fühle sie!
Höre die Eigenart der Achttonmusik mit ihren Grundtönen
(gleichsam ihren Königen und Kaisern),
ihren Tongeschlechtern und ihren Leitern
(gleichsam ihren Hierarchien)
von Ganztönen und Halbtönen! Spüre sie!
Höre das Wesen der Zwölftonmusik
der Weimarer Republik mit ihren Halbtönen:
alle im gleichen Respekt und gleichen Recht
ihres Seins! Empfinde sie!

*

TANZ

Die Einen tanzen tradierte Figuren:
eine Cadena im Tango Argentino,
ein Opening-Out in der Rumba,
eine Schwebe im Englischen Walzer!
Die Anderen tanzen authentische Expressionen:
sie improvisieren aus ihren ureigen inneren Musen!

Fühle das Wesen tradierten Tanzens!
Empfinde das Wesen der
im Augenblick kreierten Improvisationen!

*

ZEN-BUDDHISMUS

Doch erfahre die Dinge mit dem Auge
des Zen eines asiatischen Buddhisten:
nimm sie wahr
erlebe sie - ohne
die Spur eines Urteilens,
ohne ein Jota von Kommentar und Vergleich!

*

HOCHKULTUR DER LEISTUNGSMORAL

Doch wir leben in einer Zivilisation
der Konkurrenz, der Kontrolle und der Dominanz,
in einer Hochkultur der Vorherrschaft des Verstandes
über Intuition und Gefühl. Wohl bekomm's!

Daher ist das argwöhnische Auge einer Staatssicherheit
nicht mehr vonnöten. Längst schon
kontrollieren eine Jede und ein Jeder sich selbst
und einander. Bei Tag und bei Nacht.
Darüber klagen und ächzen unsere Seelen:
doch sie ächzen und jammern
still in sich hinein. Denn
Keiner und Keine
wird sie jemals er-hören!
So scheint es anscheinend.

*

ZWEIKLASSEN-LYRIK

Dichtest du also als ein Freier unter Freien
in einer von Reimen
und Metrik entwöhnten Rhythmik,
so stürzen sich gar manche
der ehrbaren Traditionalisten
auf deine Poeme
und bezichtigen dich leichthin
einer Schwäche im Reimen,
wähnen gar, dir ermangele es eines
erklecklichen Talents
zum Vermaß. Mithin seiest du maßlos.
Und einen Reim auf dich zu machen
sei gänzlich unmöglich!
Mithin sei deine Kunst (einer
von Versmaß und Reimen entblößten Lyrik)
nur eine Lyrik zweitrangiger Güte -
trotz all deiner Alliterationen und all deiner Assonnanzen:
mag sein, eine Prosa-Lyrik möglicherweise -
unter Freunden gesagt.
Gleichsam das Fleischpflanzerl
unter den Köstlichkeiten
von allerlei gedünstetem Fisch und gebratenem Fleisch!

*

LEIPZIGER BUCHPREIS

Selbst ein Jan Wagner oder die griechischen Urlyriker
seien armselige Dilletanten
in Sachen Reimen und Versmaß!
Also von den Göttern und Göttinnen
elaborierter Sprachdichtung
doch ziemlich stiefelterlich behandelt.

*

NACHSITZEN

Daher, bitte schön, jetzt das Vorstehende
noch einmal von vorne!
Doch diesmal in gekonnten Reimen und
unter geflissentlicher Beachtung der Metrik!

Auf den Schreibtischstuhl ... an den Computer ... Los!

*

NUN DENN

Nicht jedoch im Namen von Marcel,
dem Reich-Ranicki von der Weichsel:
in seinen, nach seinem Gusto
BESTEN GEDICHTEN
DEUTSCHER LYRIK
fand ich Hans Magnus Enzenbergers
Letztwillige Verfügung.
Reiner Kunzes Erste Liebe.
Wie auch Bei den weißen Stiefmütterchen
einer Sarah Kirsch.

Kuck mal einer an. Lauter Fleischpflanzerl!





(c) August Blödelgern Sonnenfisch,
     am 17. März 2015 ff


"Die besten deutschen Gedichte" Ausgewählt von Marcel Reich-Ranicki (1920-2013),
(c) 2012, 5. Auflage 2014, it 4186, 10 Euro

 

Jan Wagner

GIERSCH

Nicht zu unterschätzen: der Giersch
mit dem Begehren schon im Namen — darum
die Blüten, die so schwebend weiß sind,
keusch wie ein Tyrannentraum.

Kehrt stets zurück wie eine alte Schuld,
schickt seine Kassiber
durchs Dunkel unterm Rasen, unterm Feld,
bis irgendwo erneut ein weißes Wider-

standsnest emporschießt. Hinter der Garage,
beim knirschenden Kies, der Kirsche: Giersch
als Schäumen, als Gischt, der ohne ein Geräusch

geschieht, bis hoch zum Giebel kriecht, bis Giersch
schier überall sprießt, im ganzen Garten Giersch
sich über Giersch schiebt, ihn verschlingt
mit nichts als Giersch.

August Sonnenfisch, Anmerkung zum Gedicht

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