Eckart Schloifer
Orchesterprobe
So kurz nach 9 fängt es schon an,
wenn Musiker zur Probe gehen.
Sie kommen an und herumstehn
mit den Kollegen, so man dann
Minuten hat zu reden schnellst,
was Du vom Dirigenten hältst.
Um 5 vor halb ist es soweit,
davor man prüft Geig' und Posaune,
ob Saiten drauf, Mundstück bereit
für Bass und Horn und gute Laune.
Dann muss man sitzen auf dem Sitz
für arco, Air, cis-moll und pizz.
Begrüßt werd'n vom Konzertmeister
die Musiker auf breiter Bühne.
Der Soloflötist, er hat noch Mühe
mit seinem Platz, und plötzlich reißt er
ganz aus Versehn das Notenpult
des Nachbars um. Ist seine Schuld!
Dann ist der Oboist bereit
zu blasen fein den Kammerton,
das A. Die Streicher warten schon.
Die Bläser üben Duldsamkeit.
Für sie gibt die Obo(e) das B,
und dann ist's aus mit der Ru-he.
Im großen Durcheinander wird
gestimmt, und das nicht leise,
weil jeder hat so seine Weise:
er sucht die Tön und präludiert,
bis bald der Dirigent auftaucht
und uns ein „Guten Morgen“ haucht.
Und schon ist es mucksmäuschen still,
weil jeder was verstehen will.
Es steht im Dienstplan, was wir proben,
der Chef sagt „Anfang“, sein Arm ist oben
zu geben uns den Einsatz klar
für die Musik, die hehr und wahr.
Der erste Satz ist schnell vorbei.
Aufs Neue mit Konzentration
auf das, was Dirigent jetzt schon
zu sagen hat. Und zu den Gei-
gen dreht er sich mit einer Bitt':
„Piano zu laut, das bitte nit!“
Bei den Trompeten fragt er an,
ob mit mehr Strahl man spielen kann.
Die kleine Trommel bittet er,
recht prominent zu sein, bis der
Tubist sein großes Solo hat.
Dann darf sie wieder matt.
Der Chef voll Herz und ohne Scharfe
fragt dann die Dame an der Harfe,
ob überhaupt
die Frag' erlaubt,
ob sie denn Noten hat, denn ein D-dur
steht hier in seiner Partitur.
Das Problem wird sehr schnell gelöst,
die Künstlerin hat leicht gedöst.
Die Probe viel zu rasch begann,
eh Harfenistin nachsehn kann,
ob sie die Noten mitgebracht
und eingepackt noch gestern nacht.
Nun wird probiert zum zweiten Mal
der erste Satz, bis Chef muss hal-
ten bei Buchstabe Ypsilon,
weil dort das forsche Vibraphon
zu früh einsetzt. „Du hast noch Zeit!
Ich hört', Du warst zu früh bereit.“
So geht sie hin die Probe,
mal mit Kritik, auch Lobe.
„Im großen Ganzen wird’s sehr gut,“
sagt Dirigent mit etwas Mut
den Musikern, sie zu begeistern,
die Sinfonie am End' zu meistern.
Wer jetzt noch zweifelt, hat selbst Schuld,
man braucht natürlich viel Geduld.
Der Dirigent mit Phantasie
hat nur im Kopf die Sinfonie,
so, wie sie sein soll ganz am Schluss,
die Fehl - er jetzt ertragen muss.
Die Pause als Erlösung kommt
von Konzentration und steifem Bein.
In die Kantine geht’s hinein.
Der eine oder andre sommt
noch Melodie vom ersten Satz
zu Brötchen und Café und Schwatz.
„Wo warst Du gestern, Lubomir?
Ich hatte telefonisch Dich
erreichen wollen, damit man sich
mal treffen könne auf ein Bier.
Lass es uns heut' verschieben
auf morgen um halb sieben.
Wie geht’s der Frau, den Kindern nur?“
„Ach, Sebastian macht Abitur,
da ist Nervosität im Haus.
Und Clara nervt und ewig mäult
von früh bis spät das Aug' ausheult,
weil Kevin SMSte, es sei aus.“
So ist es mit Fami-li-e,
fast immer gibt’s Querelie,
zur Zeit ist's nicht so einfach.
Auch mit der Rente, die man erhält,
ist's nicht so sicher, wie man bellt.
Viel sicherer ist unser Dach.
Die Paus' ist aus, die Zeit verengt,
sich, weil Prob' zweiter Teil anfängt.
Noch schnell aufs Klo und dann geschwind,
bevor der Dirigent beginnt
mit zweitem Satz der Sinfonie,
wo im Fagott die Melodie.
Er spielt sie schön auf dem Fagott,
auch Klarinett' und Bratschen
sind heut gut drauf und latschen
nicht so wie sonst im trägen Trott.
Das Largo sostenuto birgt
nicht Schwierigkeiten, aber wirkt.
Der letzte Satz, genannt Finale,
ist furios und schnell und schwer.
Die Musici schon schwitzen sehr, -
ist keine Pastorale!
Mit Tempo, stop und go jagt er...-
ach! Wenn er schon zu Ende wär'!
Die Violinen werden heiß,
die Celli sitzen unter Strom.
Zum Glück hat jeder ein Diplom,
und jeder Musiker, der weiß,
dass manches Werk ist zum Erschrecken;
es ist nicht allein Zuckerschlecken.
Man rast und düst durchs Studio
per Instrument con furio.
Der Dirigent ist schon ganz jeck,
jetzt springt er hoch bis an die Deck
und brüllt dabei „Fortissimo!
Con forza! Vivo!“ oder so.
Denn bei dem Lärm verstehn wir nichts.
Es ist der Tag des Jüngst' Gerichts.
Der Teufel schreit, es tönt Geläut,
die Schlagzeuger es sehr erfreut
zu schlagen Glock' und Becken
und Trommel, Pauken, Triangel,
die Leute aufzuschrecken
bis Schuft am Galgen hangel.
Dann bricht's zusammen, nur musikalisch,
das Dies Irae fern verklingt,
während der eitle Dirigent
das Handtuch nimmt, mit zwei, drei Wisch
den Luzifer auf Stirn bezwingt - - -
indes die Harfe träumt und gähnt.
Zu Ende geht die Sinfonie
und damit auch die Probe.
Der Dirigent dankt und reicht sie,
die Hand, zum großen Lobe
dem ersten Mann der Geigen hin,
der noch die Geig' hat unterm Kinn.
Die Höflichkeit und hier und da
mit einiger Begeisterung
klopft man mit Geigenbögen gar
aufs Notenpult für großen Schwung,
den er abrang, der Dirigent,
der Sinfonie am Höllen-End.
Noch ganz betäubt von Rauch und Lärm,
vielleicht auch Grummeln im Gedärm,
von Feuersbrunst und Höllenqual,
wie es gezeigt ward im Final,
wird nun die Geige eingepackt.
Die Dies-Irae-Melodie
klingt nach, sie endet nie -
im AUDI im Achtviertel-Takt.
Die ganze Fahrt lang bis nach Haus
geht diese Melodie nicht raus
aus dem Gehirn – es ist ein Graus.
Zu Haus hat Frau das Radio an
und hört verhext die „Symphonie phan...“.
Ich glaub' es nicht. Es ist exakt das Opos
von diesem Hector Berlioz.
20.03.2016
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.03.2016.
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